2
Sep

Fenstergucker

K.D. Diedrich

1
Sep

1.September 2002

Die Tage der chaotisch gewordenen WG in der Karpfengasse waren im Frühjahr 1978 gezählt. Plötzlich hausten Leute in den Kammern des obersten Stockwerks, deren Gesichter mir zwar bekannt waren, über deren Einzug aber nie gesprochen worden war und die nicht zu denen gehörten, die hier etwas zu suchen gehabt hätten. Mir war’s wurscht, ich soff ständig nachts in den Kneipen, war frustriert bis in die Knochen hinein. Endzeitstimmung machte sich bemerkbar: die Mieten wurden nur noch von drei oder vier Bewohnern gezahlt, auch ich hatte wieder kein Geld dafür. Ich fristete mein ungut gewordenes kleines Leben, das hauptsächlich den Kneipenbesuchen gewidmet war (immerhin las ich mit einiger Regelmäßigkeit), von spärlichen Zuwendungen, die meine arme Mutter, die doch selbst nicht viel hatte, mir ab und zu gab. Ich war in meine erste wirkliche Lebenskrise geraten. Wie ging man damit um? Im Mai oder im Juni flatterte die Kündigung des Mietverhältnisses für das Haus auf meinen Schreibtisch. Der ausstehende Betrag war beträchtlich, und mehr als das: astronomisch hoch. Das Gefühl, das sich im Bauch ausbreitete, nennt man „mulmig“. Ein Zustand zartest aufsteigender Irrealität umfing mich für einige Stunden, bis er mit der Unterstützung von ein paar kräftigen Drinks verscheucht war. Ich wußte ja, was auf mich zukam: alle Mietschulden landeten bei mir. „Irgendwie bewältige ich das auch noch“, redete ich mir besänftigend zu. Ich informierte die Hausbewohner. Die, die illegal sich eingenistet hatten, waren am schnellsten wieder verschwunden. Zwei, drei Leutchen gaben mir maulend zu verstehen, ich habe die WG herunterkommen lassen. Ich verwies auf die Mietschuldner, von denen mir einer im Januar frank und frei erklärt hatte: „Ab sofort zahle ich nichts mehr!“ Er war den Murrenden wohlbekannt. Fakt war Fakt; das Haus mußte bis Mitte Juli spätestens geräumt werden. Ich hatte ja das Zimmer in der Hermann-Volz-Straßen-Wohnung, andere machten sich auf die Suche. In den Tagen nach dem Schützenfest klopfte ich – andere Bewohner waren schon fort – bei Heinrich S. wieder an, ob er meinen Krempel transportieren könne. Ich kam wieder bei Muttern unter; was sie nicht ungern sah, nie war sie damit einverstanden gewesen, daß ich „in dieser Bude“ hauste. Mir paßte es nicht, doch mußte ich mich der Notwendigkeit fügen. So verstauten wir meine Möbel im VW-Bus, in zwei Fuhren brachten wir alles auf’s Hühnerfeld und stellten das meiste davon in den Keller, in dem meine Mutter selbst die leeren Pralinenschachteln aus der Lindelestraßenzeit noch aufbewahrte. Bei dieser Aktion war ich natürlich auch nicht sehr nüchtern; ich hatte die Beifahrertür schlecht geschlossen, während der Fahrt schwang sie auf, ich sagte „Huch!“ und Manfred S. – der ein paar Sekunden des Auszugs mit seiner Super-8-Kamera filmte – packte mich eben noch rechtzeitig am Arm und zog mich ins Fahrerhaus zurück, wo wir zu dritt vorne hockten. Panama der Kater hatte sich in jenen Tagen einen Ausflug gegönnt; so ging ich jeden Tag hinab in das nun öde und leere Haus, in dem noch allerlei Kleinkruscht herumlag und zurückgelassen wurde, um ihn in die Finger zu bekommen. Ich machte mir wieder Sorgen um ihn. Tatsächlich erschien er eines sonnigen heißen Tages im Haus, als ich in ihm herumstrich, zu dessen Fenstern Sonnenstrahlen hereinstachen und wie durchsichtige Messer den von meinen Schuhen aufgewirbelten Staub durchschnitten und in dem außer dem Staub nur noch Erinnerungen in den Räumen schwebten. In meinem Zimmer, in dem es eineinhalb Jahre lang nach Katzenpisse gerochen hatte (Katzen und Kater markieren ihren Bereich), und dieses etwas strenge Odeur war geblieben – lag seit Tagen eine große Tasche. Ich packte das gar nicht so leichte Tier und verfrachtete es in die Tasche, ließ den Reißverschluß etwas offen und transportierte den Kater rasch mit dem nächsten Bus zur Wohnung. Sie war nun Panamas neues Zuhause. Nicht lange danach, Ende Juli, spazierte ich in einem Sommertag hinab zur Stadtmitte zum Büro des Hausbesitzers, der im Grunde, als Eigentümer einer kleinen Baufirma, ein Faible für „Lebenskünstler“ (gehabt) hatte, und übergab die Schlüssel. „Da wohnt aber noch immer einer!“, schnaufte er kurzatmig. „Der muß ganz schnell raus, sorgen Sie dafür!“ Ich wußte von nichts. Es stellte sich heraus, daß Manfred als einziger der alten Mannschaft oben unter dem Dach mit seinen Tieren geblieben war. Er fand keine Unterkunft, arbeits- und mittellos, wie er war. Wenn ich mich richtig entsinne, blieb er sogar noch bis in den August hinein, bis er endlich eine neue Bleibe gefunden hatte. An einem der Nachmittage, in denen ich auf Panama den Kater gewartet hatte (eine Schüssel mit Futter und eine mit Wasser wurde täglich aufgefüllt), war ich mit meiner Instamatic durch die Räume gegangen und hatte fotografiert; die Reste von fünf Jahren Freakleben. Diese letzten Dokumente einer freien Zeit wurden dann im Fotoladen irgendwann einmal fortgeworfen, denn ich hatte nie genug Geld, um sie abzuholen. Warum habe ich nicht einmal auf ein paar Gläser Wein verzichtet? Heute bedauere ich, diese Fotos mir nicht vorlegen zu können und ärgere mich über meine Wurschtigkeit.
- Nach wie vor sommerlich.
1.September 2002

31
Aug

31.8.2002

Der junge Rauschgoldengel, der zwanzig Jahre früher im Mai 1976 eines Abends vor meinem Schreibtisch saß (auch er), war der Typ, dem ich im Sommer zuvor die langen Haare zerwühlt hatte. Er rauchte eine Zigarette und sagte: „Freunde können wir werden, aber Sex ist nicht drin.“ Ich nahm es zur Kenntnis und wollte ihn dennoch kennenlernen. „Von was lebst du eigentlich?“, wollte er – auch er, meine Existenzform ließ wohl solche Fragen aufkommen – wissen. Er sah die rote IBM, die vor mir auf der Schreibtischplatte behäbig ruhte. Ich tätschelte sie und entgegnete: „Schreibe ab und zu etwas.“ „Honorare?“ Ich zuckte, von dieser unangenehmen Frage gestört, die Schultern. „Manchmal“, war die Antwort. Es stimmte ja. Manchmal hatte ich für das Geschriebene Geld erhalten. Das letzte Mal, daß dies wahr geworden war, lag allerdings ein Jahr oder länger zurück. „Ich warte in diesen Tagen auf meine Bafög-Nachzahlung.“ „Aber du studierst doch nicht.“ „Nicht mehr.“ Die Rückmeldefrist für das Sommersemester war abgelaufen. Der junge Typ war neugierig. Ich erzählte, vom Wein animiert, eine ganze Menge, er trank wenig. Was er sagte, machte mir klar, daß er was im Kopf hatte. Das war schon mal etwas. Mal sehen, was daraus wird, dachte ich, als er ging und vor dem Karpfengassenhaus auf sein Mofa stieg. Wir sahen uns dann hin und wieder, auch im „Strauß“, mir war es angenehm, mich mit ihm zu unterhalten, sein schnelles Denken fand ich nicht weniger attraktiv wie sein Äußeres; zuweilen ging er mir auf die Nerven, wenn meine erotische Unruhe ins Leere laufen mußte. Viel wurde daraus nicht. Er wurde – leider – mein Favorit, allerdings nur in platonischer Weise. Viel sagen ließ er sich auch nicht. Auch er stammte aus gehobenem Hause und das trat aus jedem Satz hervor. Besonders „progressive“ Ansichten hatte er nicht, was mich immer wunderte, denn mir war unverständlich, wie man als intelligenter junger Mann sich in reichlich konventionellen Strukturen wohl fühlen konnte. War auch das nicht ein Zeichen dafür, daß die linke Zeit der Siebziger in Agonie lag? Noch fünf Jahre zuvor wäre er (vielleicht) bei Demos mitgelatscht. Später schaffte er sich eine Freundin, die ein paar Jahre älter als er war, als er noch immer zur Schule ging, an, was meine ersten Eifersuchtsgefühle evozierte, die ich gelegentlich schlecht im Griff hatte. Einmal waren beide bei mir, in der Zeit, in der ich das große Zimmer bewohnte; sie begannen vor meinen Augen mit Zärtlichkeiten, und für einen flotten Dreier war ich nicht zu haben, ich schmiß sie wütend raus. Sie nahmen mir das aber danach nicht übel, im März 1978 grillten wir zu dritt im noch nicht warmen Sonnenlicht vor der Stadt und auch in die Wohnung dieser Freundin wurde ich, in kleiner Runde, zum Essen eingeladen, zu der Zeit, als das „Sternchen“ schon eröffnet war und ich einmal nach so einem Essen dort in der Zwanzig-Uhr-Vorstellung saß. Er schrieb mir Postkarten aus den USA und Frankreich, trennte sich von der Freundin, die die Stadt verließ, machte sein Abitur; meine Gefühle waren abgeflaut, endlich, und als er zum Studium ging, war auch diese manchmal für mich schwierige Freundschaft Vergangenheit geworden.
- Sommerwetter, nachmittags der blaue Äther stärker von Wolken abgedeckt.
31.8.2002

30
Aug

30.8.2002

Valérie fuhr mit dem Zug, ich mit Bruno B. nach Berlin. Schon seit 1993 hatte mir Stefan Heidenreich, der jüngere Bruder von Ralph H., den ich 1988 in Biberach über Mario K. kennen gelernt hatte, seine Wohnung im fünften Stock im Hinterhaus Alte Schönhauser Straße 19 (mit Ausblick auf die Berliner Dächerlandschaft) als Logis für meine knapp einwöchigen Urlaube in Berlin angeboten, die ich – auch nicht jedes Jahr in den Neunzigern – im Frühjahr, Sommer, Spätsommer in der Hauptstadt genossen hatte, und zu Stefan fuhren Bruno und ich nun auch Mitte Juli 1996, bei ihm, in der noch unsanierten Wohnung eines ehemals besetzten Hauses, war unser Basislager für die dreitägigen Dreharbeiten. Schon in davor liegenden Jahren war ich mit Bruno nach Berlin gefahren, denn die Fahrt mit dem Benz war unvergleichlich billiger als mit der Bahn. Am späten Nachmittag im Juli parkte er das Auto in der Alten Schönhauser, wir griffen uns die Bestandteile unseres Gepäcks und Equipments und trugen alles die steile Treppe hinauf. Am nächsten Tag (Valéries Aufenthaltsort war ebenfalls in dieser Wohnung) fuhren wir zum Rosenthaler Platz und Bruno stellte den Benz ein paar Meter weiter in der Brunnenstraße ab.Wir drehten Material für die Anfangssequenz unseres Films, wie die Straßenbahnen der beiden verschiedenen Linien sich auf dem häßlichen Platz kreuzten. Das dauerte wieder einige Zeit, bis V. zufrieden war. Um uns brauste der Verkehr, schlichen die Passanten vorüber. Dann nahm V. die Kamera vom Stativ, ich verkürzte dessen Beine und trug es ihr hinterher. Dann machten wir Aufnahmen im Innenhof eines noch immer besetzten und völlig heruntergekommenen Hauses, filmten Graffiti und Müllcontainer und ein rot angemaltes Fensterkreuz in der Fassade. (Auch heute ist dieses Haus nicht saniert und noch bewohnt.) Wir kehrten zum Auto um, das vor dem Eingang zu diesem Hof stand. Bruno erschrak: war es das Fenster auf der Beifahrer- oder auf der Fahrerseite, das halb herunter gekurbelt offen stand? Bruno schloß auf, alles im Auto war in Ordnung. Er und ich atmeten auf. „Das wär’s noch gewesen, wenn mir das Auto geklaut worden wär“, sagte er, für den Moment verärgert. Er hatte sowieso schon in Biberach mit Valérie Ärger gehabt und sich von den Dreharbeiten, für die ich ihn ganz zu Anfang hinzu gezogen hatte, weil auch er ein Filmkenner war, im Juni endgültig absentiert, nur die Fahrt nach Berlin nahm er mir zuliebe noch auf sich. Dann waren für diesen Tag die Drehs beendet, V. nahm sich für Berlin frei. Am dritten Tag stiegen sie und Bruno von der Wohnung hinauf auf das flache Dach und V. filmte von oben, wie ich unten mit einer orange-farbenen Reisetasche durch den kleinen Hof ging: Lost verließ seine Behausung und ging auf ungeliebte Lesereise. V.s Oberkörper mit der Kamera ragte über den Dachrand, der große kräftige Bruno hielt sie an den Beinen fest. „Laß sie bloß nicht fallen“, hatte ich, in Abwesenheits V.s, zu ihm gesagt, „wir brauchen sie noch.“ Anschließend fuhren wir über den Prenzlauer Berg weit hinaus in den Osten, zur Rhynstraße, wo wir an einer Kreuzung weiterdrehten – „sieht aus wie in Rußland“, sagte Monate später beim Einsatz des Films im „Sternchen“ einer der älteren Zuschauer, was ich hörte, weil ich in dem Winkel, den einer der Pfeiler entlang des schmalen Ganges links, hat, stand – , wo wir die bunten Wohnblocks nach Osten hin, die von Mahrzahn, zu Bildern machten, und vor dem S-Bahnhof Lichtenberg, auf der Brücke, die dort die Fahrbahn bildet, filmte V. in Richtung Fernsehturm; der Verkehr flimmert im Film im Dunst eines Sommervormittags vorbei. Am Nachmittag vor der Abreise sollte noch Losts Einstieg in den Zug im Bahnhof Zoo gefilmt werden. V. fuhr wieder im Zug zurück, auch deshalb, weil sie aus dem fahrenden Zug heraus aufnehmen wollte. V. drehte in dem Zeitschriftenladen, der viele Jahre an der Ecke vor dem Bahnhof an der Hardenbergstraße in der sich dort befindenden Ladenzeile die Druckerzeugnisse aus aller Welt verkaufte, wie Lost eine Zeitung für die Reise erwirbt. Als wir dann auf dem Bahnsteig standen und filmen wollten, war der Akku leer. Und in wenigen Minuten fuhr der Zug ab. Ich hastete zu Brunos Auto vor dem Bahnhof, aus dem Kofferraum entnahmen wir die anderen, glücklicherweise aufgeladenen Akkus, ich eilte zum Bahnsteig. Schnell stellte ich einen Schuh auf das Waggontrittbrett, einmal, zweimal, Großaufnahme. Die Ansage, daß der Zug nun abfahre, schallte durch die Halle. Schnell stieg Valérie ein, ich winkte kurz und kehrte um. Während der ICE mit V. noch durch Berlin fuhr, steuerte Bruno über die Potsdamer Straße Schöneberg an. Fuhren wir in Berlin ein, kamen wir immer über die Bundesstraße 1, und auch für die umgekehrte Richtung bis zur Autobahn vor dem früheren Kontrollpunkt Dreilinden nahmen wir sie. Auf der Autobahn drückte Bruno auf’s Gas, wir jagten nach Biberach.
Im Dezember 2001 fiel mir etwas auf, und ich schrieb wieder davon für die Biberacher:
"BC, Brunnenstraße 23
Klaus-Dieter Diedrich spekuliert über das „BC“-Sgraffito in der Berliner Brunnenstraße.

Wer hat das nicht schon erfahren: man geht durch eine Straße, eine Stadt, und der „mitlaufende“ Blick bleibt plötzlich an einer Stelle irgendwo im topographischen Gefüge hängen. Etwas irritiert, oder hat das Interesse tieferliegender Bewusstseinsschichten erregt, und erst das dann absichtsvolle Hinsehen verdeutlicht die Situation. Etwas „fiel einem ins Auge“, vielleicht zeigt sich etwas Vertrautes in einem ungewohnten Zusammenhang, den man so oder an solchem Ort nicht vermutet hätte. Dieser Augenblick, im Sinn des Wortes, wirkt wie ein kleiner, feiner Schock, der das im Grunde längst Vertraute in ein Licht rückt, das aus einer rätselhaften Quelle scheint.
Vor einiger Zeit ging ich von meiner Wohnung zur Strassenbahnhaltestelle und mein Blick, der nicht nur mir stets ein wenig voraus ist, schlenderte zur anderen Straßenseite, schweifte weiter, stockte, kehrte um. BC steht dort geschrieben, registrierte er. Zwei große, fette Buchstaben an einem der unansehnlichsten Häuser der Straße: BC. Noch nie zuvor waren sie mir aufgefallen. In jenem Moment jedoch musste ich innerlich bereit gewesen sein, sie wahrzunehmen; hatte plötzlich mein Biberachbewusstsein, das sich in Berlin vernachlässigt fühlte, eine Chance „gesehen“, schnell mal wieder berücksichtigt zu werden?
Bei genauer Betrachtung sah ich nun die kleine Schrift über dem Kaugummi- und Krimskramsautomaten. Dieses Ding erinnerte mich sofort – die Sinnmaschine begann anzulaufen – an jenen Kaugummiautomaten, der viele Jahre lang am unteren Ende der Biberacher Königgasse an einer Hauswand hing, hinter der sich in den ersten Siebzigerjahren am Marktplatz eine Spielspelunke mit Flipperautomaten und Tischfußballgeräten befand, die ich fast täglich frequentierte. Die kleine Schrift an dieser Berliner Wand, wie zur Bekräftigung: „BC 99“, ein Pfeil daneben weist nach vorn, ein anderer Krakel ist unleserlich. Eine Signatur?
In der Malerei und in der Literatur des 20. Jahrhunderts gibt es den Begriff und die Gattung des Magischen Realismus, der, für die Malerei, 1925 vom Kunsthistoriker Franz Roh eingeführt wurde. Diese Form der Kunst widmet sich zwar der gegenständlichen Welt, verzichtet jedoch darauf, sie wirklichkeitsgetreu, realistisch zu formen. Im Banalen, Nüchternen und Objektiven wird das Geistige und Unheimlich-Unerklärliche zu erfassen versucht. Die Literaturtheorie definiert den Magischen Realismus als „ausgebildete moderne Form des Realismus, die die konkreten Erscheinungen, Bilder und Figuren der Wirklichkeit als Chiffren eines geheimen Sinnes, Symbole des Elementaren auffasst und den realistisch hergestellten Befund ins Innere umschlagen lässt zu einer seltsamen metaphysischen Transparenz“, so G. von Willperts Sachwörterbuch der Literatur.
Urplötzlich enthüllte sich mir das Sgraffito als ein „Zeichen an der Wand“ - Berlin hat ja etwas Babylonisches. Welches Menetekel hatte der unbekannte Sprayer verkünden wollen? BC: Be cool, Berlin Capital, Baby Cinderella, die Initialen seines Namens? War ihm etwa das Autokennzeichen des Landkreises Biberach bekannt gewesen? Ziemlich ausgeschlossen, hier in Berlin-Mitte. Was der Sprayer übermitteln wollte wirst du nie ergründen, sagte ich mir. Oder doch?
Südlich mündet die Brunnenstraße in den Rosenthaler Platz, wo 1996 die Anfangssequenz des Films „Lost in Illusions“von Valérie Lasserre und mir gedreht worden war, aus der hervorgeht, dass der Protagonist Lost in dieser Gegend wohnte. Damals hatte ich freilich „nicht im Traum daran gedacht“, dass ich selber, der ich im Film den Schriftsteller Lost darstellte, eines Tages gerade hier wohnen würde ... Von der Brunnenstraße führt die Veteranenstraße hinauf zum Prenzlauer Berg. 1999 war ich, aus Biberach kommend, zunächst in die Veteranenstraße gezogen. Um die Ecke stand, vermutlich, schon dieses „BC 99“ mit dem Pfeil nach vorn.
Als ich aus der Tram stieg, hatte sich das dunkle Menetekel also aufgehellt. Jemand – und wer war dieser sprayende Hauptstadtprophet? Lost in Nacht und Nebel? – hatte eine Beschwörungsformel hier angebracht, die besagte, dass 1999 ein Weg „nach vorn“ aus Biberach fortführen würde. Für wen oder was geht zunächst nicht aus ihr hervor; aber man hatte mich ja schon 1996 und auch in den Jahren danach, während meiner Berlin-Besuche, in diesen Straßen gesehen, in denen auch von Biberach geredet wurde. Jedenfalls hatte jemand etwas geahnt, oder provoziert.
Jemand? Nein. Berlin selbst hatte die Lockung an eine seiner Wände geworfen, um mich auch wirklich anzuziehen – nachdem die Stadt meine Absicht, hier leben zu wollen, aus meinen in der Luft schwebenden Gesprächen gehört hatte. Die beiden Großbuchstaben dienten als Blickfang für jenen Augenblick, der mir das Sgraffito zukommen lassen würde, denn ich sollte es eines Tages sehen und enträtseln, um zu wissen, dass Berlin mein Vorhaben mit einer magischen Botschaft unterstützt hatte.
So baut man sich die – imaginäre – Welt, in der das Wünschen noch stets half.“


- Keine nennenswerte Witterungsveränderung.
30.8.2002

29
Aug

29.8.2002

In der nordwestlichen Ecke (auch vor ihr stapelte sich das Baumaterial), im Sand des wie ausgeschlachtet wirkenden Hohlraums des Erdgeschosses standen nun die Scheinwerfer und leuchteten die Ecke aus; vor die rohe staubige Backsteinmauer war ein Hocker in den Sand gestellt worden, und diese Mauer war für das kerkerhaft-krude Ambiente, das Lost umgeben sollte, genau die richtige Deko. Es dauerte wieder eine Weile, bis das Licht so fiel, wie V. es wünschte. Ich saß abseits, schon etwas erschöpft, es ging auf vier Uhr zu. Im höhlenhaften Museum roch es nach Alter und Bau. Wie unbeteiligt sah ich den Vorbereitungen für die zu drehende Szene zu, sinnierte in mich hinein. Ich saß auf einem kleinen Holzstapel; Achim, der Standfotograf, blitzte Aufnahmen vom Set. Raphael ging vorbei. „Ich muß jetzt gehen“, sagte er leise mit seiner schönen Stimme. Ich dankte ihm, daß er so lange Ausdauer gezeigt hatte. Der Junge mußte in wenigen Stunden zur Schule und jetzt noch nach Äpfingen, zu einer kleinen Ortschaft nördlich von Biberach, radeln. Ich sah ihm versonnen nach. Auch andere vom Team und auch die Darsteller der „linken Gruppe“ waren längst gegangen. Ich hatte es aufgegeben, V. davon zu überzeugen, daß wir alle inzwischen müde waren und daß die Aufnahmen nun nichts mehr erbringen würden. Sie wollte aber diese Szene unbedingt noch filmen. Dann war die Reihe an mir, auch einmal etwas Produktives beizutragen. Ich zog das Hemd aus, das Unterhemd, setzte mich auf den Hocker, ließ die langen Haare verzweifelt-resigniert vom gesenkten Kopf hängen; übte das mehrfach. So schwer fiel mir das nicht. Herbert, immer noch Mephisto, stand seitlich hinter mir, schlug mir spöttisch eine Haarsträhne zurück, während er – ich sah es in diesem Augenblick nicht, wußte aber, wie es aussehen mochte – sardonisch grinsend mir seinen Text, Mephistos höhnische Sentenzen, ins rechte Ohr säuselte. Erster Take, zweiter Take, dritter ... Mich fror auf sehr unangenehme Weise. Ich wurde ungehalten. Valérie stand gebeugt hinter der auf das Stativ aufgesetzten Kamera und wollte immer noch eine Aufnahme mehr. Ich wurde wütend, erhob mich plötzlich, brüllte: „Mein Hemd!“ Jemand von den im Halbdunkel außerhalb der Szene Stehenden reichte es mir, ich zog es über. Valérie protestierte. „KD, wir müssen das noch machen!“ „Ich friere, verdammt noch mal, und ich habe keine Lust dazu, mich zu erkälten, das ist der Sache nicht dienlich, wenn ich demnächst ausfalle!“ Solche Worte, und noch einige dazu, schleuderte ich von mir. Die Umstehenden sahen betreten drein. „Noch zwei Takes, dann ist aber Schluß!“, befahl ich herrisch, zog das Hemd aus, hockte mich hin, Herbert stellte sich wieder in Positur. Rasch waren nun die beiden Aufnahmen beendet; ich zog mich an und sah sehr wohl, wie sauer „meine“ Regisseurin war. Das Team beeilte sich jetzt, alles abzubauen, hinaus zu tragen in einen schon hell aufdämmernden Morgen. Das geschah, ohne daß viel geredet worden wäre. Mein Auftritt war wohl unpassend gewesen. V.s Freund, der als „Supervisior“ auch bei anderen in jenen Wochen entstehenden Filmen des städtisch/baden-württembergischen Kulturprojekts behilflich war und in dieser Nacht beim Lichtaufbau geholfen hatte, und der mir in einer Januarnacht von 1996 auf dem sonst menschenleeren Marktplatz der Stadt zugesichert hatte, daß ich Ausschnitte aus seinem Film, in dem der brennende „Strauß“ zu sehen war, haben könne, fuhr mich vor den Wohnblock auf dem Hühnerfeld. Ich sagte ihm, daß ich wüßte, daß mein Verhalten vorhin Valérie wahrscheinlich nicht gefallen hatte; ich würde sie nachmittags anrufen. Er meinte, das sei vielleicht eine gute Idee. Mit dem Lift stieg ich hinauf in den fünften Stock und legte mich ins Bett. Am späten Nachmittag stand ich in der Telefonzelle am Eingang zum Mali-Weg – zwischen Mali- und Braith-Weg rinnt der von steilen Böschungen gesäumte „Ratzengraben“, vor und auf dessen abfallenden Wänden im Jahr 1996 noch mehr Bäume und Sträucher als im inzwischen renaturierten Zustand ihr Blattwerk verbreiteten – und versuchte, Valérie mit einer Entschuldigung zu besänftigen; aber ich hörte nur das Freizeichen und nicht ihre Stimme.
- Stetige Hitze, blauer Äther, blaßweiße Wolken.
29.8.2002

28
Aug

28.8.2002

„Wir drehen die Szene jetzt, die Atmosphäre hier inspiriert mich!“, sagte Herbert Meise mit Nachdruck neben mir. Unwirsch hatte ich davon gemurmelt, die zwei noch vorgesehenen Szenen an einem andern Abend abzudrehen, um dem finster-hallenden Gebäude entfliehen zu können. Das war, ich sah es ja auch ein, nicht vernünftig. Nach Herberts Entgegnung schickte ich mich also mürrisch darein, daß die Nacht lang werden würde. Der Set wurde an die Südwand des Stockwerks verlagert. Hinter Baumaterialhaufen aus Balken und Brettern stellten die Lichtleute die Scheinwerfer auf eine uralte Balkenkonstruktion, in die sich Herbert zur Lichtprobe hinaufsetzte. Sabine hatte seine Mephisto-Maske perfekt gestylt, geschminkt und mit Hörnchen in den schwarzen Gel-Haaren versehen, schmal- und scharfgesichtig hockte H. mit mephistophelischem Lächeln auf dem dicken Balken. Valérie sah durch den Kamerasucher. Nach mehrmaliger Positionskorrektur ging’s los. Erster Take, Raphael schlug die Klappe. „Du bist gescheitert, gesteh’s dir ein! Was mich erheitert! Nun bist du klein!“ Die Worte von Losts ganz persönlichem Teufel kamen scharf akzentuiert über die schwarzen Lippen. Das wiederholte sich ein paar Mal. Beim letzten Take pustete Herbert zu einem Lost endgültig den Niedergang verheißenden Spruch die flaumigen Federn, die er vor der Aufnahme in die Handflächen bekommen hatte, mit einem dämonischen Mephistogrinsen davon. Das war das Ende des Films; am ersten Drehtag aufgenommen. Und fast hätte dieser Teufel mit seinem zynischen Gerede vom Scheitern Losts ja auch recht behalten; denn diese allererste Drehnacht schon hatte das Filmprojekt an den Rand des Mißlingens gebracht; und ich, der ich den Lost gab, wäre daran schuld gewesen, wenn es so gekommen wäre.
Mitternacht war vorüber, die Dreharbeiten dauerten an. Valérie nahm ihren Job sehr ernst, ich wurde inzwischen ernsthaft säuerlich, obwohl ich sah, daß etwas heranwuchs. Schaudernd dachte ich daran, daß ich in der nächsten, der dritten in dieser Nacht zu drehenden Szene mit nacktem Oberkörper die Aufnahmen über mich ergehen lassen mußte. Die Dreharbeiten im oberen Stockwerk waren beendet, das Team schleppte die gesamte Ausrüstung und Ausstattung die zitternde Treppe hinab. Zumal der Tisch in der Morgenfrühe abtransportiert werden mußte. Ich sah ja, daß ich nicht der einzige war, der unter den niedrigen Temperaturen zwischen den alten Mauern leiden mußte, und niemand beklagte sich. Doch ich kann Kälte nun einmal schlecht ertragen. Auch aus einem anderen Grund war ich schlechter Laune: ich hatte mir von Valérie noch einmal en passant anhören müssen, ich solle mich mit meinen Regieeinfällen bitte zurückhalten. Und das gefiel mir nicht.
- 30° C.; nach 20.30 Uhr Gewitter, das aber nicht richtig nach Mitte gelangte. Etwas Regen.
28.8.2002

27
Aug

27.8.2002

Am Abend vor zwanzig Uhr des Montags nach dem vorletzten Juniwochenende im Jahr 1996 ging ich zum Braith-Mali-Museum in der Innenstadt, das in jener Zeit saniert und neu ausgebaut wurde; ich ging zum ersten Drehtermin des Films, den ich mir ausgedacht hatte. Das Team war, ohne Valérie und mich, schon mit einigen Vorbereitungen beschäftigt gewesen, die auch den Transport des Equipments und der Ausstattungsutensilien in die Höhe des dritten Stockwerks dieses alten Gemäuers umfaßten. An die provisorische Bautür führte ein breites Brett als Ersatz für Treppenstufen oder einer gemauerten Schräge heran, und über dieses Brett wurde alles, was an Gegenständen für den Film im Hof abgelegt worden war, neben anderem die schweren Beleuchtungsteile für das Filmlicht, in einen weiten, dunklen, von ein paar Baulampen notdürftig erhellten Raum mit aufgerissenem und sandigem Boden (und in diesem großen Raum standen viele Baumaterialien) geschleppt und eine aus einfachen Brettern ohne Geländer zusammengezimmerte Bautreppe, die sich mit Treppenabsätzen aus der Mitte des Raums in Zickzacklinie nach oben streckte, hinaufgetragen. Die Treppe federte unter jedem Tritt. Die Team-Mitglieder, die, wie alle Darsteller, unentgeltlich schufteten, waren fleißig und unermüdlich, und als Valérie eintraf (ich unterhielt mich mit zweien der Darsteller über ihre Rollen), war alles auf den ebenso schwingenden, für Bauzwecke eingezogenen Bretterboden im hohen Gewölbe des dritten Stocks unter dem Dach hinaufgebracht worden. V. und ich begutachteten den Set: vor einem Dachgaubenfenster stand ein hölzerner Wirtshaustisch, um ihn waren etliche einfache Stühle gestellt worden und daneben, außerhalb dieses Drehorts, ein Kasten Bier, und soeben dekorierte Sabine den Tisch mit Aschenbechern und Biergläsern. Allmählich war für den Dreh alles fertig. Die jungen Mitglieder der „linken Gruppe“ nahmen am Tisch Platz, Bier wurde in die Gläser gefüllt, V. erteilte Instruktionen, hockte sich schließlich – Raphael malte die Einstellungsnummer auf die Holzklappe – hinter ihre Hi8-Videokamera, alles Reden erstarb neben und hinter mir; Raphael sagte die Einstellungsnummer, schlug die Kappe vor der Kameralinse; „action!“ Es brauchte mehrere Wiederholungen der Szene (die eine Sitzung der linken Gruppe im „Strauß“ darstellen sollte, doch nie tagten wir von der SDAJ und DKP im „Strauß“, dort trafen wir uns nur zum geselligen Beisammensein), bis die Regisseurin zufrieden war. Im ausgehöhlten Gebäude war es kalt, nur halbwarme Tage und kühle Regennächte hatten das ausgedehnte Museumshaus auskühlen lassen, und mich fror ständig. Ich nahm Martin Heiligs Ledermantel, den er, wie eine Schlaghose und T-Shirts aus den Siebzigern, der Produktion ausgeliehen hatte, und hängte ihn mir über die Schultern, über die Lederjacke, die ich sowieso schon trug. Ich bin kälte-empfindlich. Außerdem war meine Laune angekratzt, denn Valérie ließ sich nicht viel von mir sagen. Wir hatten Co-Regie vereinbart und ich merkte schnell, daß das nicht funktionierte. Der Film war doch meine Idee! Ich nahm es hin, weil ich sah, daß etwas geschaffen wurde, das aus meiner Phantasie und meiner Erinnerung entstand; und freute mich ja doch. Der „Strauß-Film“, so hieß das „Projekt“ vorläufig in Ermangelung eines besseren Titels, wurde gedreht! Die „linke Gruppe“ setzte sich aus den Realpersonen Philip Kühn, Markus Kimpel, Ralf Heidenreich, Klaus Grimm – aus Konstanz, er spielte den Gruppenhäuptling – und seiner Freundin, deren Namen ich vergessen habe und der nun aus dem Nachspann des Film zu sehen wäre, hätte ich einen Videorecorder und sähe ich den Film jetzt an, zusammen, und der Tisch, an dem sie tagte, ähnelte natürlich nicht im entferntesten an einen der „Strauß“-Tische. In der Szene wird ein Genosse der Gruppe, der am Sinn der Zusammenkünfte zweifelt und der mehr Zeit für seine anderen intellektuellen Bedürfnisse haben will, von den anderen Gruppenmitgliedern rhetorisch niedergemacht, wobei Philip Kühn, wieder ein hübscher junger Mann, der mir natürlich gefiel, den Wortführer spielt. Und auf diese Weise war es in unserer wirklichen Gruppe freilich nicht zugegangen. Zwei Stunden hatte es gedauert, bis diese eine Szene endlich abgedreht war. Mich fror, und der Tee ohne Rum wärmte mich kaum. Meine Stimmung verdüsterte sich.
- Sommer wie gehabt.
27.8.2002

26
Aug

26.8.2002

Im August 1996 drehten Valérie Lasserre und ich die letzten Szenen unseres Films „Lost in Illusions“, assistiert von Sabine R., die für die Ausstattung zuständig war. Sabine, gelernte Dekorateurin, die in den achtziger Jahren in München für die damals berühmte Gruppe „Münchner Freiheit“ das Bühnenbild erstellt hatte, war zwei Tage, bevor Valérie und ich den Nachtdreh hinter uns brachten, beim Chefdekorateur des Kaufhauses X – so hieß es wirklich, letztes Jahr wurde es geschlossen – vorstellig geworden, mit der Bitte, am Abend, für den der Dreh geplant war, die breiten hohen Schaufenster an beiden Fronten, zum Parkplatz und zur Saudengasse hin und entlang des Bürgersteigs der Rollinstraße, länger als üblich beleuchtet zu lassen; denn wir wollten unsere Aufnahmen nach zweiundzwanzig Uhr drehen, weil wir auch das große Ziffernblatt einer Normaluhr, die nur wenige Meter vom Kaufhaus entfernt steht, mit seiner Zeitanzeige brauchten und ihre Zeiger mußten im Film aus bestimmten Gründen des Anschlusses an die Geschichte, die er erzählt, eine Zeit nach zweiundzwanzig Uhr angeben. Wir trugen Stativ, Videokamera, Kabel von der Wohnung in der Innenstadt, in der Valérie bei ihrem damaligen Freund U. Stöckle, einem Journalisten und Filmemacher, lebte, vor das Kaufhaus und begannen mit dem Dreh. Im Licht der Schaufenster gucke ich in diese hinein, was allmählich mit Musik unterlegt ist (wurde natürlich später hinzugefügt). Das Kameraauge guckt – mein subjektiver Blick, der Blick des Filmprotagonisten – die Normaluhr an. Dann männliche, stumme Schaufensterpuppen. Ich wußte nicht mehr, ob ich in der Szene, die dieser in der Filmhandlung vorangestellt ist, die weiße Schiebermütze aufhatte, denn diese Szene war Wochen zuvor gedreht worden, und Raphael, unseren Continuity-Mann, hatten wir für diesen Drehtermin in einer lauen Augustnacht nicht hinzugezogen. Ich setzte die Kappe auf, scherte mich nicht um dieses Detail. Die zweite location befand sich nur ein paar Meter entfernt, wir überquerten die Rollinstraße, verharrten vor den beiden gelben Telefonzellen. Sabines Unterstützung wurde nicht mehr gebraucht, sie fuhr nachhause. Valérie – zierlich, sehr hübsch, um etliche Zentimeter kleiner als ich, mit einer großen dunkel gelockten löwenkopfähnlichen Haarhaube – und ich quetschten uns in eine der engen Telefonzellen. Lost, also ich (oder wer?) mußte eine Nummer in Berlin anrufen. Das tat Lost. Ich wählte nicht die Nummer von Losts Lover in Berlin, Lost wählte die Nummer meiner Kusine im Prenzlauer Berg. Denn mir war bekannt, daß sie in diesen Augusttagen irgendwo in nördlichen Ländern ihren Urlaub verbrachte. Wir benötigten das Tüüt-tüüt am anderen Ende, an dem niemand abheben durfte. Wir wiederholten die Szene, auch in ihr mußte ich nur gucken, zunächst erwartungsvoll, dann zunehmend enttäuscht. Das fiel mir ja nicht schwer. Dann war die Szene fertig. Valérie nahm die Kamera vom Auge. Nun waren tatsächlich alle Szenen des Films abgedreht. Ich hatte nichts mehr für den Film zu tun, Valérie standen viele Stunden Schnittarbeit am Computer bevor. Ich war doch froh, daß wir bis jetzt durchgehalten hatten; denn während der Dreharbeiten war es mehr als einmal zu – nun ja, Spannungen zwischen meiner talentierten Co-Autorin, Kamerafrau, Regisseurin und Schnittmeisterin gekommen. Nun, seit wir beide seit einigen Jahren in Berlin leben, verstehen wir uns sehr gut.
- Gleichmäßiges ruhiges Sommerwetter.
26.8.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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