27
Aug

27.8.2002

Am Abend vor zwanzig Uhr des Montags nach dem vorletzten Juniwochenende im Jahr 1996 ging ich zum Braith-Mali-Museum in der Innenstadt, das in jener Zeit saniert und neu ausgebaut wurde; ich ging zum ersten Drehtermin des Films, den ich mir ausgedacht hatte. Das Team war, ohne Valérie und mich, schon mit einigen Vorbereitungen beschäftigt gewesen, die auch den Transport des Equipments und der Ausstattungsutensilien in die Höhe des dritten Stockwerks dieses alten Gemäuers umfaßten. An die provisorische Bautür führte ein breites Brett als Ersatz für Treppenstufen oder einer gemauerten Schräge heran, und über dieses Brett wurde alles, was an Gegenständen für den Film im Hof abgelegt worden war, neben anderem die schweren Beleuchtungsteile für das Filmlicht, in einen weiten, dunklen, von ein paar Baulampen notdürftig erhellten Raum mit aufgerissenem und sandigem Boden (und in diesem großen Raum standen viele Baumaterialien) geschleppt und eine aus einfachen Brettern ohne Geländer zusammengezimmerte Bautreppe, die sich mit Treppenabsätzen aus der Mitte des Raums in Zickzacklinie nach oben streckte, hinaufgetragen. Die Treppe federte unter jedem Tritt. Die Team-Mitglieder, die, wie alle Darsteller, unentgeltlich schufteten, waren fleißig und unermüdlich, und als Valérie eintraf (ich unterhielt mich mit zweien der Darsteller über ihre Rollen), war alles auf den ebenso schwingenden, für Bauzwecke eingezogenen Bretterboden im hohen Gewölbe des dritten Stocks unter dem Dach hinaufgebracht worden. V. und ich begutachteten den Set: vor einem Dachgaubenfenster stand ein hölzerner Wirtshaustisch, um ihn waren etliche einfache Stühle gestellt worden und daneben, außerhalb dieses Drehorts, ein Kasten Bier, und soeben dekorierte Sabine den Tisch mit Aschenbechern und Biergläsern. Allmählich war für den Dreh alles fertig. Die jungen Mitglieder der „linken Gruppe“ nahmen am Tisch Platz, Bier wurde in die Gläser gefüllt, V. erteilte Instruktionen, hockte sich schließlich – Raphael malte die Einstellungsnummer auf die Holzklappe – hinter ihre Hi8-Videokamera, alles Reden erstarb neben und hinter mir; Raphael sagte die Einstellungsnummer, schlug die Kappe vor der Kameralinse; „action!“ Es brauchte mehrere Wiederholungen der Szene (die eine Sitzung der linken Gruppe im „Strauß“ darstellen sollte, doch nie tagten wir von der SDAJ und DKP im „Strauß“, dort trafen wir uns nur zum geselligen Beisammensein), bis die Regisseurin zufrieden war. Im ausgehöhlten Gebäude war es kalt, nur halbwarme Tage und kühle Regennächte hatten das ausgedehnte Museumshaus auskühlen lassen, und mich fror ständig. Ich nahm Martin Heiligs Ledermantel, den er, wie eine Schlaghose und T-Shirts aus den Siebzigern, der Produktion ausgeliehen hatte, und hängte ihn mir über die Schultern, über die Lederjacke, die ich sowieso schon trug. Ich bin kälte-empfindlich. Außerdem war meine Laune angekratzt, denn Valérie ließ sich nicht viel von mir sagen. Wir hatten Co-Regie vereinbart und ich merkte schnell, daß das nicht funktionierte. Der Film war doch meine Idee! Ich nahm es hin, weil ich sah, daß etwas geschaffen wurde, das aus meiner Phantasie und meiner Erinnerung entstand; und freute mich ja doch. Der „Strauß-Film“, so hieß das „Projekt“ vorläufig in Ermangelung eines besseren Titels, wurde gedreht! Die „linke Gruppe“ setzte sich aus den Realpersonen Philip Kühn, Markus Kimpel, Ralf Heidenreich, Klaus Grimm – aus Konstanz, er spielte den Gruppenhäuptling – und seiner Freundin, deren Namen ich vergessen habe und der nun aus dem Nachspann des Film zu sehen wäre, hätte ich einen Videorecorder und sähe ich den Film jetzt an, zusammen, und der Tisch, an dem sie tagte, ähnelte natürlich nicht im entferntesten an einen der „Strauß“-Tische. In der Szene wird ein Genosse der Gruppe, der am Sinn der Zusammenkünfte zweifelt und der mehr Zeit für seine anderen intellektuellen Bedürfnisse haben will, von den anderen Gruppenmitgliedern rhetorisch niedergemacht, wobei Philip Kühn, wieder ein hübscher junger Mann, der mir natürlich gefiel, den Wortführer spielt. Und auf diese Weise war es in unserer wirklichen Gruppe freilich nicht zugegangen. Zwei Stunden hatte es gedauert, bis diese eine Szene endlich abgedreht war. Mich fror, und der Tee ohne Rum wärmte mich kaum. Meine Stimmung verdüsterte sich.
- Sommer wie gehabt.
27.8.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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