12
Dez

12.12.2002

Und noch etwas sagte meine Mutter in jener Nacht zu mir: „Ich will doch auch, daß du glücklich wirst.“ Es war dies ein Satz, der sich aus dem Gespräch heraushob; das nicht nur eine nicht besonders bedeutende Wendung hin zur Gottesfrage genommen hatte, sondern auch, wahrscheinlich, weil ich, unglücklich über Tills Unauffindbarkeit und verweigernde Haltung, eben auf das Glücklichsein auch kam, und ich, erbittert und vom Wein nicht gemildert, sagte, daß ich mir schon einen anderen „angelacht“ hätte; sie hatte vom Affärchen mit T. natürlich nicht die geringste Ahnung gehabt; und es stimmte auch gar nicht, was ich da behauptete. Wieso sagte ich es dann? Um mir selbst eine Illusion aufzubauen? Es war einer dieser Augenblicke, in denen man sich selber einredet, es müsse doch so sein. Ich vermutete in jenen Jahren, daß meine Mutter sich Vorwürfe machte, daß ich „so“ geworden sei, eben diese „Neigung“ hatte, schon immer gehabt und nicht erst „erworben“ hatte, denn sie hatte einmal herausgelassen, was sie in meiner Erziehung falsch gemacht habe. „Nichts“, hatte ich darauf geantwortet, um ihr wenigstens diesen Kummer auszureden. Es gebe verschiedene Theorien darüber, niemand wisse im Grunde darüber etwas Verbindliches, etwas Gültiges, es sei eben, wie es sei, und keiner könne auch dafür. Was aber in jener Nacht zutage trat, war, so begriff ich es auch sofort, ihre Akzeptanz meiner „Veranlagung“. Es muß lange in ihr gearbeitet haben, bis sie sich zu dieser mütterlich-liebenden Einstellung hatte durchringen können. Ich wußte auch, daß sie seit Jahren darunter litt (eine Sorge und Enttäuschung mehr), daß aus mir „nichts wurde“, wie es ganz offensichtlich den Anschein hatte. Obwohl sie nie ein Wort darüber verlor, konnte ich mir denken, daß sie meine Filmvorführerexistenz nicht eben als das ansah, zu dem ich in ihrer Vorstellung befähigt war. Sie dachte, ich sei vom Weg abgekommen und fände nun nicht mehr auf einen anderen; oder dachte sie das nicht? In jener Zeit benahm ich mich nicht immer so, wie ein Sohn, mit seiner Mutter, die zudem leidend war, umgehen sollte. Ausbrüche von Jähzorn ließen sie in Tränen zurück. Ich haßte mich dann nur noch mehr. Es war eine sehr schwierige Zeit. „Früher warst du so nett, und jetzt bist du so böse“, hatte sie an einem Tag irgendwann vor dieser Nacht traurig gesagt. Mein Gemüt war verfinstert. Und ich wußte ja: an dieser Entwicklung war ich selber schuld; insofern man schuldig wird, wenn man versucht, andere Wege als die Herde zu gehen und an etwas festzuhalten, trotz aller Widrigkeiten, das man als seine Lebensbestimmung sieht. Meine Mutter war aber auch halbwegs froh, daß ich wenigstens diesen Job hatte, wenn er auch kaum Geld einbrachte. Das war das Unbefriedigende an dieser Arbeit: keine Zeit mehr und dennoch kein ausreichendes Geld zu haben; denn natürlich zahlte ich vom kargen Gehalt, das weit unter tausend D-Mark betrug, meine Schulden ab, und was ich hatte, wurde versoffen, oder, selten genug, in Bücher investiert. „Ich werde nie glücklich werden“, war meine Antwort auf ihre Hoffnung, und ich fürchte, so kam es auch. Wobei man sich freilich darüber unterhalten kann, was als „Glück“ zu bezeichnen wäre; was dem einen als Glück gilt, ist für einen anderen nur eine abgeschmackte Selbstverständlichkeit, nicht des Redens und Schreibens, in Form von Liebesbriefen vielleicht, wert; jeder hat seine eigene Vorstellung vom Glück und seinen Ingredienzien, wenn er sie nicht sowieso unerfragt sofort aus den Klischees des Alltäglichen nimmt.
- Schönes Wetter, kalt, blaue Dämmerung.
12.12.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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