9
Dez

9.12.2002

Auf der anderen Seite des kleinen Dachbodenflurs, von dem aus diese Kammer zu betreten war (rechts vor ihrer Tür ging ich manchmal in die enge Toilette hinein), liegt der sehr viel größere Teil des Dachgeschosses, ein langer Raum, in dem das Observatorium eingebaut worden war. Das „Filmtheater“ vorne an der Waldseerstraße war in den Jahren 1939 bis 1941 erbaut worden; die lange Bauzeit erklärte sich daraus, daß zu Kriegsbeginn die Rohstoffe knapp geworden waren. Ein Luftschutzbunker befindet sich noch heute unter dem Kino. Das „Urania“-Kino war am 31. Dezember 1955 mit dem vom Kinoerbauer, Filmregisseur und Astronomen Anton Kutter Mitte der fünfziger Jahre fertig gestellten Film „Das Lied von Kaprun“ eingeweiht worden. Anton Kutter war der Erfinder des „Kutterschen Schiefspieglers“, was Sternguckern etwas sagen dürfte. Die Sternwarte war zunächst von einem Professor Strauß – wie oft denke ich an die Gaststätte gleichen Namens! – und Anton Kutter in Pullach – Kutter sen. hatte sich während seiner Zeit bei den Bavaria-Studios oft in München aufgehalten – errichtet und einige Jahre später, als wegen der unklaren Nachatmosphäre über der kleinen Großstadt München die Sicht ins Weltall nicht mehr möglich gewesen war, zeitgleich mit dem Bau des „Urania“-Kinos an die Saudengasse geschafft worden, wo sie für etliche Jahre, bis in die Sechziger, noch in Betrieb blieb, freilich nur für Privatforscherzwecke. Dann war eine Sternbeobachtung auch in Biberach, wegen der zunehmenden Helligkeit des nächtlichen Stadtgebiets, neben anderen Gründen auch, nicht sinnvoll, die Sternwarte hatte ausgedient. Ihre silber glänzende Kuppel charakterisiert das Gebäude. „Urania“, „Sternchen“, „Stardust“ – diese Kinonamen leiten sich natürlich aus dem astronomischen Interesse des Regisseurs Anton K. ab, den ich noch als alten Herrn zuweilen sah, als ich Ende der Siebziger meine Vorführerexistenz allmählich begann. Also besitzt dieses Kino einen mythologischen „Urgrund“. Urania, die Muse der Sternkunde, wacht über ihm, und da Uranismus in früheren Zeiten das Wort für „Homosexualität“ war, paßte ich ja ganz gut in dieses Haus ... Auch in der Liebe tat sich hier etwas, unter der Dachschräge ..., und vielleicht, weil „Urania“ der Beiname der Aphrodite, der Göttin der Liebe, ist? Übrigens schuf Anton Kutter 1937 einen der ersten „utopischen“ Filme: „Weltraumschiff 1 startet“. Es startete und landete nach dem Flug zum Mond am Bodensee, weil dort die Zeppelin-Werke standen. Ich führte die alte Kopie einmal im „Sternchen“ vor, sie knatterte und schnatterte in der Lautstärke eines startenden Zubringerschiffs, dessen Antrieb nicht weiß, ob er nun auf volle Kraft schalten oder den Start abbrechen soll. Dann wurde sie wieder sorgfältig, denn sie ist eine echte Rarität, in ihre braune Schachtel gelegt und aus dem Vorführraum getragen.
- Sonnig, blaue Atmosphäre, Kälte.
9.12.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Ein wichtiges Projekt!
Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
Tadellöser - 20. Dez, 13:02

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