26
Jul

26.7.2002

In einem anderen Sommer, als meine Großmutter noch lebte, 1960?, betrachtete ich in einer Nacht von unserem Schlafzimmerfenster aus, wie sich in südöstlicher Richtung eine dunkelrote Wolke in die Dunkelheit fraß: der Mondbauer an der Mondstraße brannte ab. Die Wolke, von unten röter beleuchtet, quoll auf, bauschte sich zu einer rotschwarzen flüchtigen Masse, die langsam, langsam vom sommernächtlichen schwachen Wind zerteilt und verbreitet wurde. Großmutter, Mutter und Kind standen am Fenster und sahen auf das ungewöhnlich-theatralische Schauspiel, das sich nur in dieser weithin sichtbaren Wolke manifestierte, denn wie der Bauernhof brannte, das konnten wir nicht sehen, nur uns vorstellen; umso schauriger, beklagenswerter, erschien das traurige Ereignis in unseren Vorstellungen, in die sich, bei mir, und für die beiden anderen, die neben mir, vermutlich von Feuerwehrsirenen von fern aus dem Schlaf geholt, und danach hatten sie mich geweckt, aus dem Fenster lugten, konnte ich und kann ich – sehr lange ist es her, daß wir dort standen – nicht sprechen, ein romantisches Gefühl mischte; obwohl ich das Wort „romantisch“ in jener Stunde wahrscheinlich noch gar nicht kannte, oder nicht viel damit anfangen konnte; so sollte es das Gefühl als ein abenteuerliches sprachlich genauer gefaßt werden. Am nächsten Tag eilte ich zur Brandstätte und sah mir alles an. (Oder wütete dieses Feuer noch zur letzten Schulzeit im Juli? Dann hätte mich der morgendliche Gang zur Pflugschule ganz selbstverständlich an der Brandruine vorbeigeführt.) Das Anwesen des Mondbauern lag an der linken Seite der Straße, wenn ich vom Lindele herunter zur Schule ging. Der große Stall an der dem Zugang zum Hof gegenüberliegenden Seite war ab- und ausgebrannt, verkohlte Balkenstücke lagen über den Hof verstreut, der Brandgeruch stach mir in die Nase, ein Feuerwehrwagen mit Schläuchen, die noch roten Schlangen gleich sich über den Hof verteilten, stand zwischen den Stallungen und dem Wohnhaus, Feuerwehrmänner in ihren schweren Anzügen und mit den Helmen auf den Köpfen redeten einsilbig miteinander. Ich schlich vorsichtig herum und bestaunte den nachtschwarz gebrannten und teilweise eingebrochenen Dachstuhl, dessen Überreste pittoresk in den blauen Himmel ragten, in dem kleine Wolken wie Tupfer aus weißem Rauch eingebettet schwammen. Das Vieh habe gerettet werden können, entnahm ich einem Satz aus Feuerwehrmanns Mund, „zom Glick“. Das Wohnhaus an der Straßenseite war unversehrt, wenn auch angeschwärzt vom Rauch, wahrscheinlich war es in der Nacht mit Wasser aus den dicken Schläuchen bespritzt worden. Auch am Tag danach besuchte ich den aufregenden Brandort. Vermutlich waren Freunde dabei. Nun bemerkte ich schon, daß aufgeräumt wurde. Das Feuerwehrauto war abgefahren. Keine Brandgefahr mehr. Ja, und nach ein paar Tagen sprachen wir Jungen schon nicht mehr davon. In den späten achtziger und neunziger Jahren kaufte ich die Eier, samstags oder mittwochs, wenn in Biberach Markt ist, immer bei der Mondbäuerin, einer hoch gewachsenen schlanken Frau mit lebhaften Bewegungen, die das Haar als Steckknoten, sofern diese Frisur so heißt, trug. Sie begrüßte mich stets wie jemanden, den sie kenne, und nicht vom Eierkauf her kenne, und noch heute glaube ich manchmal eine – sehr unklare – Erinnerung daran zu haben, daß meine Mutter in den frühen Sechzigern, aus welchen Gründen auch immer, vielleicht religiösen, zum Mondbauernhof gegangen sei, doch war die Mondbäuerin, die mir die frischen Eier von den frei gehaltenen Hühnern mit flinken Fingerbewegungen in die Sechserschachtel füllte, keineswegs in dem Alter, in dem meine Mutter ungefähr gewesen wäre, wenn sie noch gelebt hätte. Und die Mondbäuerin saß auch gar nicht mehr auf dem alten Hof an der Mondstraße; aber wo? Denn auf das ehemalige Hofterrain waren längst mehrstöckige Apartmenthäuser gebaut worden, modern gestylt, mit blau und weiß getönten Fassaden. Vielleicht hatte diese Mondbäuerin mich als Kind gekannt? Oder ich war ihr aus der Zeitung, in der ich ab und zu abgebildet war, ein Name? Dieser Mondbauernhof blieb mir immer eine Nachricht aus der Kindheit, obwohl ich für’s Ländliche nicht zu haben bin: rotschwarzer Rauch, das Gefühl einer Gefahr nicht allzu weit entfernt, die mir aber nichts anhaben konnte.
- Trüb, regnerisch.
26.7.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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