16
Jun

16.6.2002

Wie weit alles zurückliegt, und wie nah doch auch! „In weiter Ferne, so nah“ ..., dieser Wenders-Film gefiel mir, nebenbei sei es eingeschoben, nicht. Ich war ja Wenders-Fan, bis zum „Himmel über Berlin“. Fassbinder war der wichtigste, “sozial“ schärfste und unbestreitbar der produktivste (BRD-)deutsche Regisseur der siebziger Jahre, dem die größte Aufmerksamkeit unter allen „Autorenfilmern“ zuteil wurde, Herzog der visionärste, Schlöndorff der literaturverliebteste (was seinen Filmen nicht bekam), Klick der „amerikanischste“, aber Wenders der poetischste und sensibelste und deutscheste aus der Garde dieser Jahre, trotz – oder eben wegen – seiner Empfänglichkeit für amerikanische Themata, Meisterregisseure wie John Ford und Nicolas Ray und westernamerikanische und australische Landschaften, durch die in Autos gefahren wird. Road Movies wurden solche Filme, die er kinofähig machte, genannt. Ein Genre, das wieder in Vergessenheit geraten ist und höchstens, aber welcher Kinogeher achtet heute auf solch ein Detail, als Name von Wenders‘ Produktionsfirma noch lebt. Ein Deutscher vom deutschesten aller Flüsse, der sozusagen mithilfe seiner Filme aus den bundesdeutschen Alltagsszenen emigrierte (und dann ging er ja auch nach Kalifornien), denen er – auch indem er Texte von Handke „befilmte“ – mit langen Einstellungen eine bisher nicht für möglich gehaltene stille Intensität gab. In „Alice in den Städten“, „Falsche Bewegung“ und „Im Lauf der Zeit“ konnte man Bundesdeutschland mit frisch geöffneten Augen sehen. „Alice in den Städten“ von 1973 sah ich im Kino neben dem Stuttgarter Schloßplatz zum ersten Mal und zum zweiten Mal in der Wim Wenders-Retrospektive im „Sternchen“ in Biberach, 1978. Rüdiger Vogler und das kleine Mädchen, das Vogler in New York über den Weg gelaufen war, fuhren in der Wuppertaler Schwebebahn; bei dieser Szene war mir, als könnte auch ich irgendwo im Hintergrund ihnen Weg kreuzen, zufälliger Passant mit langen Haaren, 1973 unterwegs zu Ronald M. Hahn. Stattdessen stand Rüdiger Vogler zu Beginn der Achtziger in der Karpfengasse auf dem schmalen Bürgersteig, als ich aus dem Schreibwaren- Zeitschriften- und Lottoladen Lau heraustrat, in dem ich als Jugendlicher meine Science Fiction- und Western-Heftchen geholt hatte, nun jedoch mit der „Zeit“ unterm Arm ihn verließ und Vogler in ihn hineingehen wollte. Dieser Schauspieler mit den meistens stoischen Gesten und dem unbewegten Gesichtsausdruck, der sich unerwartet in eine freundlich-verschmitzte Grimasse verwandeln konnte, war – für mich auf jeden Fall – einer der signifikanten Siebziger-Jahre-Filmschauspieler. Die Begegnung mit ihm – aus einer spontanen Laune heraus sprach ich ihn an, er murmelte etwas zurück – war nicht ganz überraschend, denn wir Filmliebhaber in der kleinen Stadt wußten ja, daß er aus einem kleinen Ort in der Nähe stammt. Darf ich erwähnen, daß auch verwandtschaftliche Beziehungen Gründe gaben, sich à Biberach aufzuhalten? Mit D., der Tochter des über die Große Kreisstadt hinaus anerkannten „Maleradvokaten“ Julius K. und der, wie die F.A.Z. unlängst schrieb, „besten Zeichnerin Deutschlands“, Romane-Holderried K., lebt er in Paris. „D. stammt aus einer schwäbischen Kleinstadt und macht Kleider in Paris. (...) Ihre Eltern gehören zum ‚verborgenen Volk‘, und sie kennt die Bilder, nicht nur als Beiwerk, von Anbeginn.“ Peter Handke schrieb das in seiner Schrift „Die Lehre der Sainte-Victoire“, ein Buch, das ich schon gelesen hatte, als der Schauspieler mir fast im Weg stand und ich ihm.
- Am früheren Vormittag vom Osten her Licht, mittags Verdüsterung, Regen wäre zu erwarten gewesen, der jedoch nicht fiel, ab dem Nachmittag mild-warmer hellsonniger Sommertag.
16.6.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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