11
Dez

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (1)

Auch ich hatte ab dem zehnten Lebensjahr meine Karl May-Phase und es dauerte seine Zeit, bis ich alles durch hatte. Nicht alle May-Romane besitze ich, las jedoch alle Bände des Sachsen, nicht nur die Winnetou- und Old Shatterhand-, die Kara Ben Nemsi- und Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abbul Abbas Ibn Hadschi David Al Gossarah -Abenteuer, sondern auch die Kolportage-Geschichten, die ihrerseits kleine Zyklen bilden, teilweise in imaginären deutschen Landen und Ländern beginnen und ihre teutschen Helden irgendwo in Mexiko, China und anderswo entlang reiten, -segeln, -kämpfen lassen, bis die Schurken ins Gras beißen und die Guten obsiegen. Die späten mystizistischen, in denen Old Shatterhand und Kara Ben Nem-si nebst Mitstreitern und Ehefrauen – in beiden Handlungswelten wird ja zuweilen auf die jeweils andere verwiesen und es ist bekannt, daß der zentrale Held eigentlich Schriftsteller ist, was an der Schmetterhand verwundert – in die „dark and bloody grounds“ und in den Vorderen Orient reisen, „Im Reich des Silberlöwen“ sich aufhalten, erstaunten einen dann Vierzehnjährigen etwas, und die christlich-verquasten Botschaften, die sie verkünden wollen, und die Errichtung eines kitschigen Denkmals für Winnetou – „Charly, Winnetou ist ein Christ ...“ flüstert er noch zum ewigen Abschied in „Winetou III“– waren wegen der plötzlichen Fremdheit, die sie in das gewohnte Erzähl- und Rezeptionsmuster einfließen ließen, auch eine nicht uninteressante Lektüre. Arno Schmidts „Sitara und der Weg dorthin“, in dem er Mays verkappte Schwulitäten genüßlich ans Licht zieht, wie ich vor dreißig oder mehr Jahren erfuhr, las ich nie; daß Winnetou eine schwule Figur war, ist, das hatte man später von ferne geahnt, im Alter von elf und zwölf Jahren aber nicht; so mancher heutige Dreizehnjährige würde da wohl hellsichtiger sein, wenn er noch Karl May läse.

An Weihnachten 1962 hatte ich mit meiner Mutter einen kleinen Kampf auszufechten, denn im „Filmtheater“ wurde der erste Karl May-Film, „Der Schatz im Silbersee“, gezeigt, und den wollte, nein, mußte ich natürlich un-bedingt sehen, aber ein Jahr zuvor, am zweiten Weihnachtstag, war meine Großmutter gestorben, und meine Mutter hielt es für pietätlos und unmöglich, daß ich an diesem Tag ins Kino gehen wollte. Hatte ich mich durchgesetzt oder sah ich den Film doch an einem anderen Tag der Weihnachtsferien? Es war ein Erlebnis, jene Helden, die ich mir bisher in der Phantasie vorgestellt hatte, nun verkörpert vor mir zu sehen; gleichzeitig verglich ich die Figuren, auch die der nachfolgenden in diesen Filmen von Harald Reinl, produziert von Horst Wendtland, doch mit denen, die sich in meiner Vorstellungswelt versammelt hatten, und ich gab dieser den Vorzug. Heute tun es Kinder, die sich „Harry Potter“ ansehen, nicht anders. Diese Karl May-Taschenbücher kaufte ich mir, zum Geburtstag oder zu Weihnachten, das eine oder andere auch einmal zwischendurch, oft von Geld, das mein Erzeuger, für den in diesem Zusammenhang das Wort „Vater“ vielleicht eine gewisse Berechtigung bekommt, mir schenkte; oder wir trafen uns vor der Buchhandlung „Weichhardt“ in der Bürgertumstraße, damals noch auf der linken Seite, wenn man vom Marktplatz her kommt, gingen hinein und ich durfte mir drei Taschenbücher aussuchen, die ich ziemlich schnell ausgewählt hatte, denn ich wußte ja, wo ich weiter lesen wollte. Es kam vor, daß mein Vater mich dann in seinem Fiat vor’s Haus brachte; anschließend fuhr er zu seinem am Hagenbucher Weg.

Eine andere Möglichkeit, die Lektürekenntnisse zu komplettieren, bestand darin, daß ich mir in der Katholischen Leihbücherei im Keller des Kolpinghauses Bände für eine Woche oder zwei auslieh. Ich war evangelisch, aber was störte es mich, bei den Katholischen das zu holen, was ich lesen mußte? Wenn meine Mutter in den Sonntagsgottesdienst gegangen war, setzte ich mich auf’s Fahrrad und sauste über den Gigelberg hinunter in die Kolpingstraße, lieh die Bücher aus, radelte geschwind zurück und war längst wieder zuhause, als die Mutter wieder kam. Ich glaube, sie erfuhr nie etwas davon, oder doch? Dann hatte ich die dort verfügbaren Bände gelesen, das Fahrrad blieb Sonntagvormittag im Abstellraum.

- Regen, sehr fein, Nieselregen.

21.1.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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