prolog

11
Dez

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (13)

Eine dieser Erinnerungen halte ich für die bedeutsamste; bedeutsam deswegen, weil sie mir heute sagt, daß schon in jenem zarten Alter eine zwar noch unklare, aber doch deutlich empfundene Gefühlsregung sich bemerkbar machte: die Zuneigung zu Jungs und nicht die zu Mädchen, ist die, daß ich an einem jener Abende, in denen das "Wölflingsleben", wie es unter Jungen nun einmal vorkommt, in eine spielerische Rauferei überging, von einem um ein Jahr Jüngeren zu Boden gerungen wurde, unsportlich, wie ich war, wobei R. M auf mich in zwei oder drei Sekunden den Eindruck machte, als meine er diese scherzhafte Jungenrauferei plötzlich ernst, denn sein Gesichtsausdruck war der eines zufriedenen Siegers geworden, was freilich auch bei „Unernst“ vorkommt, aber das störte mich mit einem Mal unangenehm, denn ich mochte ihn ziemlich (was er nie erfuhr) und ich wollte, wie ich mir eingestand, während ich mich aufrappelte, von jemandem, für den ich solche Empfindungen hatte, nicht auf diese Weise übertrumpft werden. R besuchte, nachdem er in der gleichen Grundschulklasse wie ich gewesen war, das Wieland-Gymnasium, ich inzwischen die Mittelschule, und wegen der verschiedenen Schulen, aber auch, weil uns das Pfadfindertum allmählich langweilig und nicht mehr altersgerecht erschien, verlor man sich in den folgenden Jahren aus den Augen. R. aber war mit T.F., der am Wolfgangsberg neben dem Kindergarten, in dem wir alle – und von daher kannten wir uns schon – gehockt und uns mit Spielen die früheste Zeit vertrieben hatten, wohnte, befreundet, der auch zu meinen bevorzugten Altersgenossen zählte; die beiden waren enger befreundet als ich mit ihnen, und in dieser Konstellation der Freundschaftsverhältnisse war ich mit T. besser befreundet als mit R., was ich, als wir noch Umgang miteinander hatten, stets ein wenig bedauerte, denn ich fand ihn richtig nett; ich glaube, ich war ein bißchen verliebt in ihn, was ich allerdings empört von mir gewiesen hätte, wäre jemand – aber wer auch hätte das sein sollen? – mir damit gekommen. Aus oben erwähntem Grund. R. hatte die Angewohnheit, mich ein bißchen von oben herab zu behandeln, er nahm mich, wir waren zwölf und dreizehn Jahre alt, nicht ganz ernst, auch das gefiel mir nicht und trug dann bestimmt dazu bei, daß die Wege sich trennten. Mit T. war der Umgang unkomplizierter. Oft mimten wir bei ihm im Garten, bewaffnet mit Bambusstöcken, die er eines Tages irgendwo im elterlichen Haus gefunden hatte, degenfechtende Musketiere oder Ritter; manchmal saßen wir auch in einem Raum, den ich nun als zum Souterrain gehörig (befand sich daneben nicht die Garage?) einordne und spielten das japanische Go-Spiel. Ich verlor fast immer; wie auch in den Unterhaltungsbrettspielen. Vor allem bei "Monopoly", das Helmut K. und ich einige Jahre danach häufig spielten. Zur Kohle, zum Zaster, zur Penunze, zu „Stutz“, zu Geld fand ich nie eine einträgliche Einstellung... Aber die Freundschaft mit Tilmann versandete auch. Gut ein Dutzend Jahre danach, als ich im „Strauß“ saß, hörte ich von jemandem, R. sei in Köln ansässig und dort Buchhändler geworden.

6.12.2000

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (12)

Die zweite dieser bleibenden Erinnerungen führt in einen Abend zurück, in dem die „Wölflinge“ eine so genannte Nachtwanderung als „Mutprobe“ zu bestehen hatten. Wo sie begann, liegt in der Dämmerung des Vergessens, aber es war schon dunkel, als wir, weit hinten im Wolfental, in diesen Wald hineingingen, der sich dort, von der Stadt aus betrachtet rechts des Bächleins, das dort durchs Tal rinnt, entlang zieht, bis er gegenüber des Kreiskrankenhauses endet. Ein Weg schlängelt sich durch dieses Gehölz, auf dem wir, ausgerüstet mit Taschenlampen, voranschritten, in Erwartung der mit vagen Andeutungen, die uns in Spannung versetzen sollten, angekündigten unvorhergesehenen Vorfälle, die uns aber schon vor Beginn dieses nächtlichen Spaziergangs einige Bemerkungen entlockt hatten, aus denen wir uns gegenseitig vergewisserten, daß diese Mutprobe doch uns nicht angemessen sei und etwas lächerlich war; gleichwohl waren wir tatsächlich gespannt, welchen Humbug sich die zwei, drei Älteren, die Gruppenleiter, einfallen lassen würden.

Die Strahlen der Taschenlampen beleuchteten den stockdunklen Pfad. Hin und wieder erschallten von irgendwo aus dem Wäldchen dumpfe Laute, die uns wohl erschrecken sollten, und zweimal „geisterte“ jemand neben uns; für uns, die wir rasch die Taschenlampen auf dieses „Gespenst“ oder diesen „Waldmenschen“ richteten, aber, dank der raschen Geschicklichkeit dessen, der dort herumgespensterte, unsichtbar. Gegen Ende des Weges, als wir schon durch die Äste und Zweige ferne Lichter der Häuser und Laternen blitzen sahen, hing einer dieser „Angsteinflößer“ plötzlich über uns in den Ästen, mit, wenn ich das jetzt auch nicht mit genauer Sicherheit sagen kann, zwei oder drei Wassereimern, die neben ihm in das Geäst hineingehängt worden waren und mit deren Inhalt wir zu guter Letzt noch hätten überschüttet werden sollen, aber da wir diesen „Waldgeist“ mit Hilfe unserer Taschenlampen rechtzeitig entdeckt hatten, wurde daraus nichts.

Johlend und spottend forderten wir den dort oben Turnenden auf, herunterzusteigen, und lachend zogen wir alle hinaus aus diesem nicht allzu viel Angst einflößenden Abenteuer.

2.12.2000

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (10)

Ich war ein ruhiges und ernstes Kind. Was mich nicht daran hinderte, mit Spielgefährten – denen aus der Schule und aus der Nachbarschaft – übliche Kinderspiele zu spielen. Gar so viele kann ich mir aber nicht mehr vor die Augen bringen; jedenfalls nicht aus der Zeit etwa vor dem zehnten, elften Lebensjahr. Wie hießen die Spiele, und wo fanden sie statt? Ich trieb mich, gemeinsam mit anderen oder allein, in der Garten- und Probststraße herum, auch auf dem Lindele. Oft zog ich in den Wintern den gedrungenen Schlitten die Lindelestraße hinauf, an Nachmittagen und bis in die Abende hinein, um von ganz oben bäuchlings die Straße hinunterzuflitzen, über die Schneeschanzen jagend, die Helmut K. und ich zuvor in die Strecke „eingebaut“ hatten; das sind einige der lebendigsten Erinnerungen an jene Jahre. Auch in dem lang gestreckten Wäldchen, das sich am Hang entlang der Gaisentalstraße bis zum Grünen Weg fast zieht, schlichen wir herum, oft schon nach Schulschluß. (Ich wurde in der Pflugschule, eine der Hauptschulen, unterrichtet, bis ich zur Realschule überwechselte, die im ehemaligen Wieland-Gymnasium an der Ecke Wieland- und Gymnasiumstraße untergebracht war, heute "Ochsenhauser Hof", und der hintere Teil des Gebäudes wurde in den siebziger Jahren abgerissen.) Fantasierten uns in eine Jungenwelt der Abenteuer hinein. Manchmal auch fuhr ich, häufig mit meinem Kinder- und Jugendfreund Helmut, dessen Eltern zuerst in der Gartenstraße (in den Fünfzigern), später in der Probststraße ein Lebensmittelgeschäft hatten, mit dem Fahrrad über die dort von Unkraut, Gebüsch und Zweigen an manchen Stellen fast überwucherten schmalen Trampelpfade, die irgendwer in irgendwelchen Jahren zuvor ausgetreten hatte; man fuhr da hin und her und wußte gar nicht so genau, warum. Manches Vergnügen läßt sich nicht erklären; man fühlt nur eine Stimmung, ein unbestimmtes Gefühl in sich, das einen auf sanfte Weise anreizt und in Bewegung setzt; auch in geistigen Dingen ist es oft so.

Während eines Sommers (oder waren es mehrere?), als die sechziger Jahre begannen, waren auch die Gärten der Familien K. und R., deren Häuser an der Gartenstraße liegen, damals jedenfalls lagen, unsere Spielplätze. Wilde Cowboys waren wir und und schossen mit Spielzeugpistolen um Häuser- und Heckenecken.

Noch als Grundschüler war ich bei den Pfadfindern Mitglied geworden und bekam eines Tages, in den Räumen an der Rückseite des evangelischen Ge-meindehauses an der Waldseer Straße, die im Souterrain liegen und die sich mit "Bärenfalle" und anderen phantasievollen Bezeichnungen aus Kiplings "Dschungelbuch", das an den wöchentlichen Abenden eifrig (vor)gelesen wurde, schmückten, ein blaues Hemd, ein ebensolches Halstuch und – einen Dolch ausgehändigt.

25.10.2000

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (11)

Wenn ich mich nicht täusche und ich wüßte heute niemanden, den ich fragen könnte, so wurde ich im letzten Jahr meiner Grundschulzeit Anfang der Sechziger zu so einem "Wölfling". In jenem Jahr fand der Unterricht in einem Kellerklassenzimmer, so muß man diesen Ort wohl bezeichnen, der Pflugschule in der Wielandstraße, die damals "meine" Grundschule war, statt; durch einen langen Gang erreichten Schüler wie Lehrer eine kleine Treppe mit nur drei oder vier Stufen, hinter der das Klassenzimmer lag. (Eine meiner frühesten Erinnerungen an die ersten Schuljahre ist die, daß ich auf die Frage des damaligen Lehrers, Herr B., einem in jenen Tagen zur Korpulenz neigenden Mann zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahr, was ich – er fragte reihum – in den letzten Tagen gelesen hätte, antwortete, meine Lektüre sei das dicke Lexikon, das meine Mutter gekauft hatte, gewesen; ich hatte Wörter konsumiert. Der Lehrer schmunzelte, als er das hörte und ließ auch eine lobende Bemerkung fallen, während ich – dieses Klassenzimmer befand sich in einem der oberen Stockwerke des hohen Gebäudes – durchs Fenster auf die Häuser und den Hang, der sich gegenüber der Pflugschule Richtung Birkenharder Straße zieht, sah. Das war gewesen, bevor der Unterricht im Keller war; war er bei Frau K. aber gar nicht.)

Wie lange gefiel mir mein christliches Pfadfinderleben? Im 14. Lebensjahr wohl verlor ich dann das Interesse. Die Vorleseabende in der "Bärenfalle" oder einem der anderen mit reichlich zerschlissenem Mobiliar ausgestatteten Räume, in denen wir von Mowgli und Balu, dem Tiger Shir Kahn, der Schlange Kah, dem Affenkönig King Louis hörten, wechselten sich mit den Abenteuern in freier Wildbahn ab, aber fanden nicht auch sie vor allem im Kopf statt?

Einmal waren wir auf "Schnitzeljagd", aber was da gejagt und gesucht und vermutlich auch gefunden wurde, ist mir entschwunden, am Nachmittag und frühen Abend eines Martinimarkt-Novembertages und ich sehe uns wieder durch die grauen Gassen der Innenstadt, an einem typisch grauen Herbsttag, schleichen und hetzen, mit einer Phantasiewelt im Kopf, wie man sie so intensiv und wichtig nur in solchen Jungenjahren erleben kann. Auch in den späteren Jahren entwickeln wir hin und wieder blühende Szenarien, nicht zuletzt deshalb, weil wir uns immer eine Fluchtmöglichkeit aus dem für unzureichend empfundenen Stand der Dinge offen halten wollen, aus denen wir – manchmal gar nicht so ungern, denn unsere Träumereien verlangten von uns ja, würden wir sie tatsächlich zu einer künftigen Wirklichkeit werden lassen, ein gehöriges Stück Zusatzarbeit und auch das Zurücklassen von vielem, was unser bisheriges Leben war und ist, was die allermeisten, der sich in diesen Phantasmen Ergehenden aufgrund des unerbittlich agierenden Alltags dann doch nur noch als eine weitere Zumutung ansehen und vermeiden, – in unsere vorhandene Erfahrungswelt der altvertrauten Straßen, Gassen und Seelenzustände mit dem bedauernd-gelassenen Gefühl eines wenigstens halbwegs auf seine Kosten gekommenen Ausflüglers zurück gleiten.

23.11.2000

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (9)

Wegen Erlebnissen, die ich weder damals kannte noch heute kenne, auch nie mehr erfahren werde, hatte die Großmutter in manchen Nächten einen schlechten Schlaf. Dann, von Albträumen gequält, schrie sie oft auf oder stöhnte laut. Mein Bett stand an der Ostwand des Schlafzimmers, in der ein kleines Fenster über mir Licht hereinließ, und Dunkelheit, wenn auch ein dünner Vorhang vor ihm hing, nur durch den kleinen schmalen Gang, der eben nur die Länge der Betten hatte, getrennt, daneben, und ich schrak in solchen Nächten dann auf und hörte, herzklopfend, wie meine Mutter, die im anderen Bett des Doppelbettes (das freilich für andere Verhältnisse gedacht gewesen war) lag, meine Großmutter, ihre Mutter, zu beruhigen versuchte; sie am Arm oder an der Schulter rüttelte, auf daß die Großmutter aus ihrem schlechten Traum erwache und danach ruhig weiterschlafen könne. Übrigens setzte sich, in den Jahren, als meine Großmutter schon tot war, dieses nächtliche Albtraumverhalten auch bei meiner Mutter fort, und es war dann an mir, denn noch immer schlief ich in diesem Schlafzimmer, nur daß nun das Bett zwischen dem meiner Mutter und dem meinen leer war, meine Mutter mit lauten Rufen aufzuwecken und in die Wirklichkeit zurückzubringen. Aber mancher Traum ist so stark und realistisch, daß der Träumende gut annehmen kann, der Traum sei das wirkliche Geschehen, denn auch im Traum ist man sich seines Körpers und seiner Gedanken durchaus vollkommen bewußt, ja, sie gehorchen dem Willen, über den man als Träumender, der sich nicht als solcher wahrnimmt, verfügt, oft auf seltsame Weise viel besser und effektiver als in der "Wirklichkeit".

Meine Großmutter starb am 25. Dezember 1961 an einer verschleppten Lungenentzündung. Ich war zehn Jahre alt. Es war ein trüber Heiliger Abend gewesen, in einer Atmosphäre von Hoffen und Bangen. Am späteren Vormittag des 25. Dezembers wurde der Krankheitsverlauf dramatisch; die Dres. D..., die in der Waldseer Straße ihre Praxis hatten, eilten in die Wohnung; eine verhaltene Hektik entstand, die Doktoren verschwanden im Schlafzimmer, die Tür zum großen Zimmer – das inzwischen wir bewohnten, denn mein Erzeuger hatte sich Ende der fünfziger Jahre in einem anderen Stadtteil ein Haus gebaut, in dem er mit seiner „Tusnelda“, wie meine Mutter sie nannte, lebte – schloß sich hinter ihnen.

K., der achtzehn- oder neunzehnjährige Sohn einer Bekannten meiner Mutter, Frau P., die unweit in einer anderen Straße wohnte, war erschienen, um mich in deren Haus mitzunehmen, um mich von der ernsten Situation abzulenken. Wir spielten Brettspiele, sofern das Erinnerungsvermögen mich jetzt nicht trügt, meine Gedanken schweiften freilich hinüber in "unser" Haus, in dem meine Oma mit dem Tod rang, und es mag sein, daß ich hin und wieder etwas abwesend wirkte. Am späteren Nachmittag ging ich nach Hause. Es war wohl angerufen worden; die R.s, die seit einigen Jahren mit im Haus wohnten, hatten ein Telefon, wir nicht..

Beim Eintreten in die Wohnung wußte ich sofort, daß das Schreckliche geschehen war. Aber ich war wie abwesend. Meine Mutter weinte. Sie und eine andere Person (Frau H.?) führten mich in das Schlafzimmer, in dem die tote Großmutter lag. Die Ärzte waren gegangen. Ich war sehr traurig.

Die Tote wurde für eine knappe Woche im vormaligen Wohnzimmer aufgebahrt. Der Pfarrer kam, Gebete wurden gesprochen. Meine Mutter weinte oft, dann wurde sie von der gebremsten Geschäftigkeit der Trauerwoche beansprucht. Buchsbäumchen verströmten am offenen Sarg ihren Geruch der Sterblichkeit, Blumen und Gebinde häuften sich auf den Stühlen. Kondolierende kamen, gingen, Türen öffneten, schlossen sich, aus ernsten Gesichtern wurden halblaute Worte gemurmelt. Meine Mutter trug schwarz. Abends wurde die Tür dann geschlossen. Sie hatte eine geriffelte Milchglasscheibe in ihrem oberen Teil, und so sah ich jedes Mal, wenn ich auf dem Weg durch den Flur zur Küche ging (wenn mein scheuer Blick sich zu jener Tür wandte), das todesbleiche, undeutlich umrissene Gesicht der Großmutter hinter dieser Scheibe.

Noch Jahre danach zeichnete mir die Erinnerung diesen spukhaften Fleck in diese Scheibe, wenn ich an der Tür vorüberging oder sie öffnete. Das Zimmer, in dem es noch nach der Bestattung nach Tod gerochen hatte, wurde dann für Jahre nur als Abstellraum und Rumpelkammer benutzt; ich hatte mich geweigert, diesen Raum zu meinem Kinder- und Jugendzimmer zu machen. Erst in einem Alter, wo andere junge Männer schon lange ihre eigene "Bude" hatten, zog ich schließlich, nach Renovierungsarbeiten, die ich zum Teil selber erledigte, ein. In so manchen Nächten, als ich im Bett, das nun längs der Nordwand des Hauses aufgestellt war, lag, sah ich neben mir, ein sekundenlanger Schemen, der das Gedächtnis verließ, diesen Sarg stehen.

16.10.200

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (8)

Die Kindheit liegt als langer dunkler Traum zurück, aus dem sich wenige Bildersequenzen zeigen. Leider ist die erste davon vage und unscharf, und das ist wohl aus dem Schrecken, den jenes Erlebnis mir verursachte, zu erklären; jene, als ich vielleicht fünf Jahre alt war, als meine Eltern sich eines Abends stritten. Ich hatte wohl etwas Lautes gehört, das mich aus dem Schlaf gerissen hatte und tappte dann in den Wohnungsflur hinaus. (Alle die Jahre, die ich in jenem Haus lebte, bewohnten wir – meine Mutter, mein Erzeuger, der aber ein separates Zimmer hatte, das größte der Wohnung, das in meinem Kinderbewußtsein als wie außerhalb der Wohnung liegend einen besonderen Ort einnahm, ab Mitte der fünfziger Jahre auch meine Großmutter, ich – immer den ersten Stock des Hauses, der von außen wie das zweite Stockwerk wirkte, weil die untere Wohnung so sehr Hochparterrre war, daß man denken konnte, sie läge im ersten Stock.) Im Flur schrie mein Erzeuger lautstark auf meine verschüchterte, von all den Enttäuschungen mitgenommene Mutter ein, riß dann mit einem Ruck die Hutablage der Garderobenvorrichtung von der Wand und schleuderte sie von sich, wüste Worte ausstoßend. Das Vorhaben, sich scheiden zu lassen, das mein Erzeuger inzwischen betrieb, und dessen Verlauf sich für ihn ungünstig entwickelt hatte, war vermutlich der Grund für den nächtlichen Wutausbruch gewesen. (Er verlor später den Prozeß.) Ich stand im Flur und sagte ernsthaft zu diesem Mann, der meine Mutter auf solche Weise, und nicht zum ersten Mal, beschimpfte: "Du darfst meine Mama nicht töten."

Ich erinnere mich genau, wie ich dann, jahrelang, manchmal zur Stunde, in der sich jener Vorfall ereignet hatte (das erfuhr ich freilich erst als Erwachsener von Frau H.), in somnambulem Zustand aufstand und wie aus der Welt gerückt im Schlafzimmer, in dem auch meine Mutter und Großmutter nächtigten, aber auch in anderen Teilen der Wohnung herumirrte. Zwar hatte ich in solchen Zuständen, in denen ich zu schweben schien, als hätte ich keinen Boden unter den Füßen, oder in denen ich sofort, im nächsten Augenblick, in unergründliche Tiefen stürzen würde, was mir heftige Angst einflößte, die besorgten Stimmen meiner Angehörigen durchaus gehört und ich sagte wohl auch etwas zu ihnen, aber eine Verbindung zwischen ihnen und mir und in ungekehrter Richtung ließ sich nicht richtig herstellen. Frau H., jene Schwäbin, die, trotz einer Freundschaftskrise, die meine Mutter in den späten sechziger Jahren hatte heraufziehen lassen, dennoch ihre treue Freundin geblieben war – und wie oft hatte ich als Kind, aber manchmal noch als Jugendlicher von dreizehn oder vierzehn Jahren, an ihrem Mittagstisch in der "Eßdiele" gesessen, mit ihren Kindern, den Töchtern E. und F., dem Sohn H., die mir gleichaltrig waren! –, sagte mir in den Neunzigern, meine Mutter habe es abgelehnt, mich von einem Psychologen behandeln zu lassen; aus Gründen, die man, bedenkt man die Stigmatisierung seelisch-psychischer Auffälligkeiten, gut nachvollziehen kann und wofür ich ihr im Nachhinein wahrscheinlich dankbar sein kann.

Vom Leben meiner Großmutter weiß ich fast nichts. Sie und ihr Mann – der erste oder der zweite? – besaßen einen Hof in Niederschlesien und einen Kolonialwarenladen. Ihr erster Mann, Hoffmann, habe sich in jüngeren Jahren oft in Italien aufgehalten, wie mir erst kürzlich eine meiner Tanten Auskunft gegeben hat. (Ihr Vater und der meiner zweiten Tante G. war der zweite Mann meiner Großmutter gewesen, auch das habe ich erst in Berlin erfahren. Ich wußte nie, daß meine Tanten Stiefschwestern meiner Mutter waren. Wie wenig man als Kind gesagt bekommt.) Ich habe eine Fotografie (eine von sehr vielen aus einer Vergangenheit, die stumm für mich bleibt, weil ich weder die Personen, die auf ihnen sich präsentieren, noch irgendwelche Geschichten dazu kenne), die ihn in einem gutgeschnittenen Anzug, mit breitkrempigem Strohhut und einem eleganten Stöckchen in einer Hand zeigt. Kaufmann sei er gewesen und er sei auch herumgekommen, in Italien soll er gewesen sein, wie Frau H. mir einmal gesagt hat, er habe sich – ich weiß nicht wann, warum, nie hätte meine Mutter davon zu mir gesprochen – das Leben genommen. Meine Großmutter war mittel-groß, in ihren letzten Jahren füllig, mit einem runden Gesicht und langen schwarzen Haaren (mischte sich nicht auch etwas Grau hinein?), die sie oft zusammengerollt und -gesteckt trug. Ich kann mich nur an wenige Szenen mit ihr erinnern. Eine davon ist die, in der sie mir (im kleinen Zimmer, das erst Jahre später mein Zimmer werden sollte) beim Schreiben der ersten Buchstaben und Wörter half. Ich sehe mich am großen Tisch sitzen und in linierte Din-a-4-Hefte As, Bs, Fs, Rs, eben alle Buchstaben hineinschreiben; ab und zu mißglückte einer, der durchgestrichen wurde, daneben setzte ich das selbe Zeichen in einem neuen Versuch. Mit sanften Worten begleitete die Großmutter diese ersten Ausgestaltungen der Schriftsprache. Bestimmt hatte ich mir die Buchstaben laut vorgesagt, während ich sie malte.

Eine andere Begebenheit, eine, die mir aufgrund wieder eines Schreckens im Gedächtnis blieb, war ihr Ohnmachtsanfall am oberen Ende einer Treppe in einer düsteren Gastwirtschaft – lag sie in der Ehinger-Tor-Straße? –, die wir eben hinaufgestiegen waren, um eine Veranstaltung des "Bundes der Vertriebenen", in dem meine Mutter Mitglied war und einige Jahre danach auch das Ehrenamt der Kreiskassiererin innehatte, zu besuchen. Entsetzt hatte meine Mutter aufgeschrieen, andere Leute, die sich auf dem Flur befanden, gingen aufgeregt hin und her, bückten sich zu meiner Großmutter hinunter, und wegen der allgemeinen Bestürzung und auch weil Mama in Tränen aufgelöst war, vergoß auch ich, weil das Wort "sterben" von irgendwo, halb geflüstert, halb erstickt, an meine Ohren gelangt war, Tränen. Jemand nahm mich zur Seite, während meine Oma, die ich ja gern hatte, aufgerichtet wurde und sich wieder, erwacht aus der Bewußtlosigkeit, besser fühlte. Mich aber hatte eine schlimme Vorahnung gestreift: die Ahnung, daß meine Großmutter sterben könnte, ja sterben würde, und vielleicht würde es gar nicht mehr so lange dauern, bis diese Ungeheuerlichkeit wahr werden würde. Auch merkte ich meiner Mutter an, daß sie ebenfalls von diesem Gedanken plötzlich erfaßt worden war, und dies verstärkte meine minutenlange Verstörung. Ich hatte mich aber bald wieder, wie alle Beteiligten, gefangen; und wie jener Abend dann noch verlief, kann ich nicht sagen, die folgenden Umstände liegen hinter einem Vorhang des Vergessens.

15.10.2000

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (6)

Die Dinge haben nicht aufgehört, uns die Vergangenheit zu erzählen. Ein Blick auf sie genügt, einen schmalen Spalt in der Zeitwand öffnen – denn häufig ist es nur ein Spalt, keine große Öffnung, die uns auch vielleicht schon zuviel zeigen würde ... – und in einen Lebenszustand (unabhängig von der Stelle in dieser Wand) sehen zu können, in dem wir uns einmal, mit anderen Gedanken, mit Glück oder Unglück, keineswegs so selbstverständlich bewegt hatten, wie wir das bisher gedacht oder wenigstens doch, von einem als lebensnützlich sich darstellenden Sinn geleitet, erhofft hatten. Natürlich könnte man einwenden, diese Gegenstände, die uns mit unserem früheren Selbst verbinden würden, seien einfach nur stumme Sachen und mit keinerlei eigener Ausstrahlung ausgestattet, die ein Öffnen der Zeitwand erlaubte, und nur unsere längst feststehende Absicht, uns erinnern zu wollen, verleihe ihnen nun im Ansehen nur eine gewisse Fähigkeit, den Einblick ins Frühere deutlicher und genauer ausgestalten zu können. Das gelte, dürfte zudem hinzugefügt werden, übrigens auch für alle Gegenstände, große, kleine, für Häuser, Straßen, Plätze, Berge, Seen und so fort, auf denen niemals zuvor, vor der dann irgendwann doch stattfindenden Gelegenheit, unser Auge ruhte oder, was unserer Zeit das angemessenere Wort wäre: über das dann ein flüchtiger Blick nur huschte. Denn auch diese uns bisher unbekannten Dinge und Gegebenheiten forderten ja, kaum daß wir ihrer ansichtig würden, den oftmals nahezu zwanghaften Drang, uns erinnern zu wollen, welcher Zeitepoche beispielsweise jenes Gebäude, jene Vase oder dieses Auto da zuzuordnen sei, heraus; freilich müßte im Hintergrund eines solchen Einordnenerinnerns Geschmack, zumindest ein Quantum Wissen still das seine dazutun, was nicht immer der Fall ist, und dann ergeben sich Unstimmigkeiten in dem herauf geholten Bild, von Peinlichkeiten zu schweigen. Aber wenn wir diesen Einwand gelten ließen und unsere Wahrnehmung nur danach ausrichteten, würden wir dann bald nicht nur statt einer Milchkanne nur deren Blech, statt eines uns wegen seines unberührten Alters oder seiner neuen Extravaganz auffallenden Gebäudes nur dessen Steine, Mauern, das Glas und statt eines elegant gefaßten Edelsteins nur dessen Kohlenstoffexistenz sehen? Eine Ahnung von einem schöneren menschlichen Dasein – und auf nichts sind wir mehr angewiesen – wispert uns zu, auch und gerade den in so unzähliger Vielgestalt vorkommenden Dingen eine mal kaum spürbare, ein anderes Mal sogar fast schockhafte Intensität ihres Vorhandenseins zuzugestehen; eine Aura; Magie.

6./7.9.2000

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (7)

Hier stockte ich nun vor einem Monat schon, das Niederschreiben dieser Notizen und generell alles Schreiben war wieder fragwürdig bis zur Lächerlichkeit geworden, und der Grund dafür lag nicht nur in der Überlegung, die sich schon einer Gewißheit näherte – und sie nähert sich noch immer jener an –, ob es nicht völlig unnütz und wegen meiner fast schon sehr feststehenden Überzeugung, daß ich ein unbedeutendes und langweiliges, ja vertanes Leben geführt habe, nahezu albern sei, meine bisherige Lebenszeit durch punktuelle Introspektionen noch aufwerten zu wollen, ihr noch Wichtigkeit darüber zu pudern, einen Sinn herauszufischen, der alles erträglicher werden ließe, sondern eben auch in der, ob man mit solchen Auskünften über sich und solchen Ausführungen auch über die Umstände und Einfassungen, in denen das Leben seinen Raum und seine Zeit gehabt hat, und in denen bewegen sich nun einmal auch die anderen Menschen, mit denen man zu tun bekommen hat und die nicht immer erfreut sind, wenn ihr Anteil an der Innen- und Außenwelt des Reflektierenden öffentlich wird, überhaupt irgendjemanden zu interessieren vermag.

Ich schreibe dennoch, wenn auch mit einer Selbstüberwindung. Aus der sich vielleicht eine Legitimation für das Vorhaben ableiten läßt, denn diese zaghafte Überwindung der Zweifel und der Unlust, vor allem sich selbst Auskunft zu erteilen, sich in den Tiefen der abgelebten Jahre wieder zu begegnen, Launen, Ängsten, Hoffnungen, Illusionen, Versäumnissen, lachhaften Augenblicken, allen diesen Vergeblichkeiten, denen man dann auch, letztlich, so wenig hinterher trauert, so könnte man denken, daß man eines Tages, eines Jahrs sich kaum noch sicher ist, sie als solche einmal empfunden zu haben, aber auch gelungenen Zuständen – die es doch auch gab! – eine Beschreibung oder Schilderung zukommen zu lassen, spräche durchaus davon, doch einen Sinn, und sei er noch so verkümmert, darin zu finden? Die Selbstüberwindung, die sich hier in unregelmäßig wiederkehrenden anstrengenden Übungen in Sätzen zeigen wird, die Geschehenes und das, was nicht geschah, nur gewünscht oder gedacht war, speichern sollen; aus dem Neuronenarchiv geholt als kommunikative Zeichen; Pixel, die auf diesem Interface erscheinen, aufscheinen.

"Im Grunde wissen in den Jahren der Lebensmitte wenig Menschen mehr, wie sie eigentlich zu sich selbst gekommen sind, zu ihren Vergnügungen, ihrer Weltanschauung, ihrer Frau, ihrem Charakter, Beruf und ihren Erfolgen, aber sie haben das Gefühl, daß sich nun nicht mehr viel ändern kann. Es ließe sich sogar behaupten, daß sie betrogen worden seien, denn man kann nirgends einen zureichenden Grund dafür entdecken, daß alles gerade so kam, wie es gekommen ist; es hätte auch anders kommen können; die Ereignisse sind ja zum wenigsten von ihnen selbst ausgegangen, meistens hingen sie von allerhand Umständen ab, von der Laune, dem Leben, dem Tod ganz anderer Menschen, und sind gleichsam bloß im gegebenen Zeitpunkt auf sie zugeeilt." (Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 130/131, Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg, 59.- 62. Tausend Dezember 1969, Dünndruckausgabe)

7./8.10.2000

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (5)

Ich schaue, am späten Abend, durch die Glasscheiben des Wohnzimmerschranks – dessen Anblick mir seit frühester Kindheit vertraut ist – und betrachte die Gegenstände, die dort auf dem obersten Glasregal stehen: eine alte großvolumige dunkelbraune Blechtasse; eine mit Silberrahmen eingefaßte Fotografie, auf der ich ein weißes Hemd, einen ärmellosen grauen Pullover, einen Schulranzen und in den Händen diese große Tüte, die man zur Einschulung bekommt, trage; einen früher sehr oft, inzwischen seit vielen Jahren nie mehr benutzten silbergrauen Meßbecher der Marke "Luchs", in dem innen rundum die Meßwerte für verschiedene Lebensmittel angegeben sind; die ebenfalls graue Blechmilchkanne, mit der ich am Ende der fünfziger Jahre die Milch vom Milchmann geholt hatte, der mit seinem Lieferwagen durch die Straßen gefahren war und ein bestimmtes Klingelzeichen hatte ertönen lassen; eine kleinere, hellgrüne, wobei das Hellgrün eher ein wenig bläßlich zu sein scheint, Blechtasse mit rotem Griff und ebensolchem Rand, auf der eine "ländliche Szene" mit einer Geiß, die einen Knaben umwirft (im Hintergrund ein Haus, das zwischen angedeutetem Buschwerk und Bäumen einen Bauernhof darstellen soll), aus der ich als kleiner Junge wohl getrunken habe (eine genaue Erinnerung daran scheint jetzt nicht auf), ein zweiter, hellgrau-metallen schimmernder 0,5l-Meß-becher mit einem Durchmesser von 7,5 cm.

5.9.2000

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (4)

Im Haus Lindelestraße 2 wohnten meine Mutter und ich bis zum Oktober 1975. Ich war 24 Jahre alt, als wir von dort in ein Neubaugebiet, "Hühnerfeld", am südwestlichen Stadtrand gelegen, umzogen, in eine Drei-Zimmer-Wohnung, die vom städtischen Liegenschaftsamt verwaltet wurde. Der Auszug aus diesem Haus, das nach dem Ersten Weltkrieg als Förstereihaus eines der ersten Gebäude gewesen war, die dort am Südhang des Lindele, jenem höchsten Hügel der Stadt, gebaut worden waren und das nach der Förstertochter später "Villa Erlenmayer" genannt worden war, fiel meiner Mutter sehr schwer; ich hingegen fühlte eher Erleichterung, der "alten Hütte" Lebewohl sagen zu können, denn allmählich hatten mich die größeren und kleineren Unzulänglichkeiten des Altbaus, an dem der ockerfarbene Verputz seit Jahren schon bröckelte und dessen Dach nicht nur an einer Stelle – eine davon befand sich über meinem Zimmer – undicht war, so daß schon einmal in den sechziger Jahren Regenwasser, damals im Wohnzimmer, seinen unregelmäßig geformten Kreis an die Zimmerdecke zeichnen konnte, zu stören begonnen. Der Umzug in eine Neubauwohnung mit Zentralheizung, von meiner Mutter immer wieder aufs neue beklagt, war aber nun nicht mehr zu verhindern. Der neue Besitzer – einigen Entscheidungsbefugten der Stadt Biberach, die die Immobilie vom alten Hauseigentümer geerbt hatte, war es günstig erschienen, sie dem damals neu bestallten Stadtbaudirektor K. zu verkaufen – hatte seit dem Sommer im Hochparterre und Keller des Hauses mit einiger Rücksichtslosigkeit gewerkelt. Zuweilen kroch die Wut in mir hoch, wenn der Lärm das erträgliche Maß längere Zeit überschritten hatte, doch obwohl ich, trotz meiner Erziehung zu Höflichkeit und Zurückhaltung, keinesfalls auf den Mund gefallen war, wenn der geneigte Leser versteht was ich meine..., und diesbezüglich auch während meines nicht freiwilligen Aufenthalts bei der Bundeswehr hinzugelernt hatte..., hielt mich der Gedanke an eine durch meine Intervention noch unerquicklichere Situation, unter der die kränkelnde Mutter zusätzlich gelitten hätte, vor einem Gang nach unten zurück.

Aber – am Umzugstag war ich dann nicht dabei, ein Drama für meine Mutter, und ich mußte meine Absicht tagelang verteidigen. Wegen eines Buchprojekts beim S. Fischer Verlag, das in schwierige Gewässer geraten war, hatte ich unbedingt zur Frankfurter Buchmesse zu fahren, die zeitgleich begann. Zwei Tage lang verstaute ich meine Dinge, überließ Uwe W., dem befreundeten Inhaber eines "Informationsbüros", das er im Erdgeschoß des Hauses Karpfengasse 24 in der Innenstadt betrieb, stapelweise gesammelte Ausgaben von "Spiegel", "Konkret", "Zeit" und "Frankfurter Rundschau", die wir aus meinem Zimmer zu seinem Auto trugen, mit dem er, Bernd H. und ich einen Tag später nach Frankfurt fuhren. Auf der Autobahn bei Kirchheim/Teck flog ein Stein, vom Reifen eines überholenden PKWs nach hinten geschleudert, in die Windschutzscheibe seines kleinen NSU-Gefährts; die zerbröselte, wir kamen mit dem Schrecken noch einmal davon. Es dauerte fast zwei Stunden, bis eine Werkstatt in Kirchheim eine neue Scheibe eingesetzt hatte und wir die Fahrt fortsetzen konnten. (In den achtziger und neunziger Jahren war W. Redakteur einer Reutlinger Zeitung, sogar in leitender Position, Mitte der neunziger Jahre starb er an Krebs.) – Als wir zurückkamen und Uwe mich zur neuen Wohnung chauffierte, spürte ich doch etwas Wehmut, wie ich mir eingestehen mußte, denn mir wurde die Zeitzäsur klar: Kindheit und die längste Zeit meiner Jugend lagen hinter mir.

28.8.2000
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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