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BC, 70er

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11.11.2002

In den Neunzigern bildete ich die mir sehr angenehme Gewohnheit aus – am Begriff des Rituals hängt ja ein unterschwelliger unangenehmer Ton – , nach dem Beginn der Nachtvorstellung (zumindest in den ersten neunziger Jahren spielte man im „Sternchen“ noch einen Spätfilm an allen Wochentagen) das Areal der Kinos mit Einverständnis des Kinobesitzers (und das Weggehen konnte ich mir auch nur dann erlauben, wenn er im Hause war) zu verlassen und durch die dunkle Innenstadt, in der eine nächtliche Stille war und mir oft kein einziger Passant über den Weg ging, in die Justinus-Heinrich-Knecht-Straße zu streben und auf das Klingelschild mit dem darin eingeschriebenen Namen „Klaus Leupolz“ zu drücken. Im Herbst eilte ich über zertretene braune Blätter, die die Winde irgendwo aufnahmen und dann achtlos über den Straßen der Stadt fallen ließen, im Winter knirschte, wenn die Minusgrade im Gesicht zu spüren waren, der festgetretene Schnee unter meinen Stiefeln, wenn ich durch die Gassen und Gäßchen hastete, um möglichst wenig Zeit zu verlieren. Hatte ich geklingelt, dann wurde das linke der beiden obersten Fenster geöffnet und Klausens Kopf erschien im Fensterrahmen; „ich bin’s!“, rief ich hinauf, aber das konnte er vorab wissen, und er sah nur deshalb nach, auf daß sich nicht doch einmal ein unerwarteter, vermutlich eher unwillkommener Spätabendbesuch in diese Strasse, vor dieses Haus, begeben hatte, der eingelassen werden konnte – oder auch nicht. Dann summte die elektrische Türöffneranlage, ich drückte die Tür auf, betrat den schmalen Eingangsflur, der hinter einer zweiten Tür, und sie und die Haustür bildeten einen Windfang, lag, und stieg die ebenfalls nicht breite Holztreppe hinauf in den dritten Stock. Dort stand die Tür zum Wohnraum offen, ich klopfte dennoch, „come in!“ kam der Ruf von innen und ich trat ein. „Störe ich?“, fragte ich vorsichts- und auch ein bißchen schon gewohnheitshalber, doch nie störte ich. „You’re welcome“, war höchstens die freundliche Antwort. Ich nahm auf dem alten Sessel an der Wand vor dem Bücherregal Platz, Klaus auf seinem gegenüberstehenden, dazwischen stand der niedrige Tisch, auf dem – 1992 nahm ich noch Alkohol zu mir – fast immer eine Tüte mit Rotwein vom „Lidl“ darauf wartete, vor allem von mir geleert zu werden. Wir tranken oft Tütenwein, auch L. lebte in sparsamen Verhältnissen. Wir hatten uns an ihn gewöhnt. Klaus schenkte mir ein, ich stürzte das erste Glas hinunter, um das stets in mir vorhandene sehr feine Vibrieren zu mildern; ich stand immer unter Strom und brauchte Nachschub. Wir plauderten über dieses und jenes, über die neuesten privaten und politischen Vorkommnisse (und auch das Private war und ist ja immer politisch, wie nach 1968 die Erkenntnis war), ich klagte mein Leid über die in dieser Stunde zu Ende gehende Kinowoche, denn montags hatte ich ja frei, redete davon, den Job hinzuwerfen, denn er war mir in manchen Tagen unerträglich geworden. Wir besprachen, was am Montag, am nächsten Abend, geschehen könnte, wo man zusammen säße, bei ihm oder bei mir oder in einer Kneipe. Wir lachten aber auch viel, und dafür boten die Biberacher Verhältnisse reichlich Anlaß; nicht nur sie. So verging eine Stunde und ich verließ meinen alten Freund wieder, eilte durch die schlafende Stadt zurück, um den Film abzustellen, was ich nicht selten auch dann tat, wenn A.K. im Haus, in seiner Wohnung, war. Aber auch aus einem anderen Grund betrat ich noch einmal das Kino: ich hatte eineinhalb Stunden zuvor mit der „Sternchen“-Dame, die bis zum Schluß, bis zur täglichen Abrechnung, bleiben mußte, vereinbart, daß sie mich auf’s Hühnerfeld chauffierte. Ich verbrachte noch eine halbe Stunde im „Sternchen“, unterhielt mich mit der Bedienerin, die hinter dem Tresen Gläser spülte und den Thekenbereich säuberte, bis der Hausherr kam und sich für Umsatz und Gewinn interessierte. Danach Abfahrt. Als die Nachtvorstellungen im „Sternchen“ aufgegeben waren, kehrte ich natürlich nicht mehr ins Kino zurück, sondern machte mich, um ein Uhr oder später, nach der Sitzung bei Klaus L. auf meinen langen Heimweg in der finsteren Biberacher Nacht. – Heute jährt sich der Todestag meines Freundes zum ersten Mal. Ihm zum Gedenken setze ich hier den Nachruf darunter, den ich vor einem Jahr in der Biberacher Presse veröffentlichte, und das Foto, das Manfred Schmidt 1992 von Klaus Leupolz in seiner, Manfreds Wohnung, aufnahm.

Zum Tod von Klaus Leupolz

Ein Charaktermensch
BIBERACH (kd) – Klaus Leupolz, der am vergangenen Sonntag nach schwerer Krankheit im 72. Lebensjahr gestorben ist, gehörte zu den markantesten Persönlichkeiten des Biberacher Stadt- und Kulturlebens, gerade weil er sich nie vom offiziellen Betrieb vereinnahmen lassen wollte, nicht zu den „Etablierten“ gehörte. Ein Charaktermensch; ein schwieriger oft für manchen, der nicht zu seinen Vertrauten zählte oder gezählt werden durfte. Sein Urteil über bestimmte Vorgänge, Zustände, Menschen konnte, nicht zuletzt die Kunstangelegenheiten betreffend, apodiktisch, schroff, endgültig, manchmal auch nicht immer gerecht, sein. „Kunstschwätzer“ und Mitläufer, in welchen Dingen auch immer, waren ihm nicht genehm; gelegentlich machte er seinem Unmut über Abderitisches und offenkundige Ignoranz in pseudoidyllischen satirischen Schriften und Leserbriefen an das örtliche Blatt Luft, nicht ungern mit einem Ton gewürzt, der sich dem einen oder anderen Rezipienten leicht ätzend auf die Gehirnwindungen legte – und legen sollte. Er sagte, was er dachte.
Dabei – wenn man genau hinsah, merkte man‘s – konnte er, aus eingesessener Biberacher Familie stammend, dieser Stadt etwas abgewinnen. Stets kam er, in den Sechziger-, in den Siebzigerjahren, von manchmal mehrjährigen Globetrotterreisen in andere Hemisphären, bevorzugt war der pazifische Raum mit Australien, Neuseeland, Malaysia, Thailand (fast ein Jahr lang lebte er dort als buddhistischer Mönch), zurück ins „Städtchen“. Nur das auch für Biberach prägnante Jahr 1968 hatte er „versäumt“, wie er manchmal bedauerte; dafür war ein anderes Mitglied der Familie, neben anderen, zuständig ...
In ironischer Haltung, die zum Sarkasmus neigte, kommentierte er kopfschüttelnd, lächelnd, lachend, die Biberacher Ereignisse, wenn sie ihm gar zu verstockt-verhockt erschienen. Dann unternahm er etwas, das dann als „typisch Leupolz“ bezeichnet wurde: zog, bunt gekleidet, mit seinem mannshohen fahrbaren und gelenkigen Biber durch die Stadt, stellte ihn am Ort eines fragwürdigen Geschehens auf, mit krummer Kralle zeigte der Biber darauf; oder war engagiert bei politischen und kulturellen Initiativen dabei; auch ein erbitterter Wutausbruch, alttestamentarisch heftig, konnte schon vorkommen.
Denn: er war einer, der verändern wollte, aufmerksam machen wollte. Ein – durchaus heiterer - Provokateur (im positiven Sinn). 1971 war er maßgeblich an der alternativen „Aktion Fortschritt“ im Vorfeld der damaligen Gemeinderatswahl beteiligt; er hätte einen Sitz im Rathaus bekommen können, wenn er es denn gewollt hätte. Er zog es vor, sich nicht vereinnehmen zu lassen, unabhängig zu sein. Aus Prinzip. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Partei der Grünen in Biberach, zu den Demonstranten gegen den Flugplatzausbau Anfang der Achtzigerjahre, zeichnete in den ersten Jahren der Kutter’schen Filmfestspiele die Plakate, war Mitherausgeber der von der Stadt Biberach finanzierten Sonderbeilage der Schwäbischen Zeitung zu den Baden-Württembergischen Literaturtagen im Jahr 1992.
Gelernter Zimmermann, machte er seinen Bauingenieur in Stuttgart; auch besuchte er die legendäre Hochschule für Gestaltung in Ulm. Eine Zeitlang übte er den Ingenieursberuf aus. Nach der Ankunft von einer seiner Reisen in Biberach 1969 begann er, als Autodidakt, zu malen; farbenintensive Ölbilder, deren wiederum witzig-ironisch-skurril-verspielte Sujets vor allem die Biberacher Stadtlandschaft zum Inhalt haben, in denen die „Gollywobbles“ (bezeichnet z.B. als „Tränenklau“) ihr schelmisch-unheimliches Wesen treiben. Sein künstlerisches Werk kann im weitesten Sinn zur Phantastischen Malerei gezählt werden. Programmatisch sein „Prokrustesbett“: zurechtgeschnitten und eingepasst in einen vorgegebenen Rahmen – eben das kam für ihn nicht in Frage.
In seiner „Galerie Kuckuck“ in der Engelgasse stellte er in den Siebzigerjahren nicht nur seine Bilder, sondern auch die von anderen aus. Klaus Leupolz war damals an der Jahresschau der Biberacher Künstler im Museum beteiligt, zeigte 1979 seine „Frottagen“ vom „Biberacher Bilderbaum“, der Buche auf der Schillerhöhe, in der Galerie in der Unteren Schranne.
Er lebte materiell bescheiden. Nach einer ersten, schwierigen Operation reiste er noch einmal, allein, doch mit Rucksack, für zweieinhalb Monate durch Australien und Asien, auf alten Pfaden wandelnd. Philosophisch gebildet, ertrug er dann sein jahrelanges Leiden stoisch. Biberach ist um einen kantigen Menschen ärmer.

tagumtag_nekrolog
- Nieselregen, alles grau, naßkalt.
11.11.2002

10
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10.11.2002

Ich zog einen mehrere Meter langen Filmstreifen durch die Steck- und Schaltvorrichtung, der so lang wie die Strecke war, die dieser Filmstreifen zum Projektor und zurück zum Tellerturm zurückzulegen hatte. Der Tellerturm bestand aus drei der Filmteller: unten, Mitte, oben. Auf einen der beiden freien Teller wurde der Plastikring gelegt, der zuvor die große liegende Filmspule innen, denn diese Spule hatte in ihrem Mittelpunkt ein größeres Loch, in das die beschriebene Schaltvorrichtung gesteckt wurde (in die Mitte des Tellers), zusammengehalten hat, die Mitte des Tellers umfassend; der Ring hatte ein paar Steckbolzen an seiner schmalen, kaum zwei Zentimeter breiten Unterseite, die in die Löcher, die rings um das Zentrum des Tellers in diesen eingelassen waren, eingesetzt wurden, so daß der Ring nun festsaß, sich nicht verschieben konnte. An die „Wand“ des Rings legte ich nun den herausgezogenen Anfang des Filmstreifens. Hinter ihm war er schon in den Projektor eingelegt und bewegte dabei den Teller in der Aufwickelrichtung, und dieser sekundenschnelle Vorgang straffte den Filmstreifen, der über Rollen von und zum Tellerturm geführt wurde. Der Film konnte jetzt abgespult und -gespielt werden. Das Telefon klingelte. Ich hob den alten großen Hörer ans linke Ohr. „Warte noch fünf Minuten, draußen stehen sie noch!“, gab der Kinobesitzer knapp durch. So war es ja oft: der Andrang zu den nachmittäglichen Kindervorstellungen – manchmal liefen in diesen Stunden aber auch Erwachsenenfilme, womit nicht gesagt sein soll, daß in die Kindervorstellungen keine Erwachsenen gegangen wären – war so groß, daß Kinder und Eltern noch vor der Kasse standen, wenn die Vorstellung längst hätte beginnen sollen. Ich sah auf die Armbanduhr; gab meistens noch zwei Minuten drauf, aber wenn ich dann keinen zweiten Anruf bekommen hatte, wurde der Diaprojektor eingeschaltet; wenn, wie es nicht selten vorkam, die offizielle Anfangszeit weit überschritten war, ließ ich sofort den Hauptfilm anlaufen. Ich bekam keinen zweiten Anruf, die ersten Dias der verschiedenen werbenden Firmen leuchteten auf der Bildwand im erst halb verdunkelten Saal auf. Die etwa fünfzehn oder zwanzig Dias im runden Dia-Magazin ruckelten nacheinander vor die Linse des Projektors, was nur wenige Minuten beanspruchte. Ich schaltete ab, startete die Maschine, in die das Werbevorprogramm eingelegt war. Das übermannshohe Gerät aktivierte sich mit einem vernehmlichen „Klack!“, surrend lief nun der Filmstreifen aus der oberen in die untere Trommel. Das Vorprogramm war nachmittags kürzer als abends, denn bestimmte Trailer durften den Kindern nicht zugemutet werden. Erst in der ersten Abendvorstellung wurde das Vorprogramm in voller Länge gezeigt; das konnte schon zwanzig oder mehr Minuten dauern. Während nun im „Urania“ die Vorstellung begonnen hatte, ging ich hinüber in den hinteren Teil des Vorführraums, wo, vor der Magenta-Bildwand des „Sternchens“, einer grauen Fläche, auf einem Podest, das fest eingebaut ist, alle Vorführeinrichtungen für dieses Kino stehen: Tellerturm, Projektor (ein Phillips-Gerät neuerer Bauweise) mit angeflanschtem 16-mm-Projektor, ein rechteckiger Spiegel etwas im Hintergrund der nicht breiten Bühne, auf den das vom Projektor spiegelverkehrt ausgegebene Bild fiel, und der Spiegel ist so installiert, daß das ganze Bild, nun wieder seitenrichtig, ohne Winkelverzerrungen von hinten auf die Magenta-Bildwand geworfen wird. Bevor ich die Vorstellung im unteren Kino begann, hatte ich schon, nachdem die Filme für’s große Kino betriebsbereit gewesen waren, auf dieser Bühne gestanden und die prinzipiell gleichen Hand-, Arm- und Körperbewegungen ausgeführt, die für das Einlegen des Films des „Sternchens“ notwendig gewesen waren, auch wenn hier nur mit einem Projektor vorgeführt wird, was bedeutet, daß der vorderste Teil des Filmstreifens ein Stück weit ohne Projektion durch die Maschine abgespult wird, vor der Vorstellung „vorläuft“ – der Vorprogrammsteil, dessen Einzelfilmchen das zeigen, was anwesende Kinderaugen nicht sehen sollen. Nun, da die Vorstellung im „Sternchen“ ohne Zeitverzögerung begonnen werden kann, lasse ich rasch noch die Jalousie vor dem Vorführraumfenster hinunter, trete seitlich an den Projektor heran, drücke den Startknopf, den ich mit ausgestrecktem Arm von unten erreiche; der Film läuft vom oberen Teller durch die Maschine, wiederum von an der Decke befestigten Rollen geführt, zum mittleren Teller; zwei Filmbahnen, eine oben, eine unten, queren den kleinen Raum. Ach ja: Zwischendurch, in der Zeit, die mir noch vor dem Beginn der beiden 15.30 Uhr-Vorstellungen geblieben war, war ich hinuntergegangen, hatte ich mich durch das Gedränge der Kinder und Eltern, das im Foyer geherrscht hatte, selbst gedrängt, in den Gang hinein, der zwischen den Kinos „Urania“ und „Stardust“ (dessen Einweihungstag, der 15. März 1981, auch den Beginn meiner Angestelltenzeit markiert hatte) liegt, zum Vorführraum hinter dem „Stardust“-Kino (dessen Einweihungsfilm übrigens der Woody Allen-Film „Stardust Memories“ gewesen war), wo ich die schwere Metalltür geöffnet und den Raum betreten hatte, vier kleine schmale Treppenstufen hinaufgegangen war und die wieder im Prinzip gleichen Finger-, Arm- und übrigen Körperdrehungen und -renkungen, die aber, aufgrund der verschiedenen Steh- und Bewegungsflächen, die zur Verfügung standen, in jedem Kino etwas anders ausfielen, getan hatte, um sofort wieder hinauf in den oberen Vorführraum zu eilen, um dort den vielleicht nur angefangenen Vorgang des Filmeinlegens fortzusetzen; oder ich hatte um 15.15 Uhr sogleich nach den Abspielvorbereitungen – vorausgesetzt, Kinobesucher hatten inzwischen im „Stardust“-Saal gesessen – den Projektor anlaufen lassen; in diesem Fall hatte der „Stardust“-Film also angefangen, als ich oben noch mit den Vorkehrungen für einen gelungenen Filmbetrieb beschäftigt war. Ein paar Minuten später liefen dann alle Filme, und während sich die Kinogänger an den Filmgeschichten erfreuten, hatte ich mich nun ins Foyer und in den Kassenraum zu begeben, denn der Getränkeautomat, der an einer Foyerwand stand, als auch der Bestand an den viele Sorten umfassenden Süßwaren, die die Kassiererin verkaufte, mußte aufgefüllt werden. Das Lager für das Bier und die Limonaden und die Süßwaren befand sich im Keller des „Filmtheaters“ (so dürfte es noch immer sein), und im Kassenraum dieses Kinos waren ebenfalls Süßwarenkartons aufgestapelt. Ich wuchtete die mit den leeren Flaschen, die am Abend zuvor nach der Nachtvorstellung im „Urania“ und „Stardust“ eingefüllt worden waren, inzwischen vollen Bier- und Limonadenkästen auf einen Sackkarren, den ich aus dem Anbau an der dem Hof zugewandten Seite des „Filmtheaters“ geholt hatte, und transportierte die oft drei oder vier Kästen über den Hof zwischen den Kinogebäuden und hatte auch den Zettel in der Tasche, auf den die Kassiererin die Bezeichnungen der zu besorgenden Süßwaren geschrieben hatte. Regen fiel, Schnee sank nieder, die Sonne hockte prall mit Photonen gefüllt am Himmel, oder graue Wolkenreservoire, die ihre Wasservorräte noch nicht ausgaben, zogen drohend über die Dachfirste – ich schob, Tag für Tag oder Abend für Abend, den Sackkarren über den Hof, stellte ihn vor den Türen des „Filmtheaters“ ab, hievte den obersten Kasten empor, betrat das Kinofoyer und ging nach links zur Kellertür hinter dem kurzen Tresen für den Süßwarenverkauf, öffnete diese Tür (oder sie stand schon offen), trug den Kasten die Steintreppe hinab, sortierte dort aus dem Kasten die Flaschen der jeweiligen Getränkesorten in die verschiedenen leeren Sortenkästen, die, dann gefüllt, auf den Abtransport durch den Getränkelieferanten harrten; sofern Getränkekästen harren können. Ich nahm einen vollen Kasten vom Sackkarren vor der Tür, oder, so war de facto mein Umgang mit den Kästen, ich hatte schon die leeren vom Karren genommen und im Foyer vorerst abgestellt, hatte den Karren ins Haus gezogen, alle Kästen dann hinunter getragen, ehe ich volle Kästen hinauf schleppte. Während ich leere und volle Kästen umher trug, stellten die beiden Damen, die an diesem Sonntag als Kassiererin und Platzanweiserin Dienst taten, im Kassenraum das Sortiment, das zum Verkauf in der „Urania“-Kasse, in der auch die Eintrittskarten für’s „Stardust“ und „Sternchen“ zu haben waren, benötigt wurde, in Schachteln zusammen. War dies getan, gab’s Kaffee, vor allem dann, wenn die Damen Villemain und Geister in Kasse und Kino zu tun hatten. Frau V., mittelgroß, im Jahr 1992 schon jenseits des sechzigsten Lebensjahrs, arbeitete seit dem Ende der fünfziger Jahre im Filmtheaterbetrieb K., allerdings nicht jeden Tag, eine Schwäbin, die in der Karpfengasse wohnte, auch zu der Zeit, in der die WG in der Nummer 24 existiert hatte, wir kannten uns aber in jener Zeit noch nicht; in den Wochen und Monaten, in denen das „Schützentheater“ ein neues Stück einprobierte und während und nach dem „Schützenfest“ spielte, war sie als vieljährige und langerprobte Garderobiere hinter den Kulissen tätig. Im Kino war sie als Platzanweiserin nicht wegzudenken. Frau G. hatte in der Mitte der achtziger Jahre als Kassiererin begonnen; eine krebskranke, tapfere und willensstarke Frau, immer zu einem flotten Sprüchlein aufgelegt, mittleren Alters, als sie mit dieser Arbeit begonnen hatte, die sich ohne zu klagen von Jahr zu Jahr durch’s Leben kämpfte; im Sommer dieses Jahres 2002 starb sie. Mit beiden Damen pflegte ich gutes Einvernehmen; und nicht nur sonntags gab‘s von ihnen Kaffee und Kuchen, die kleine Labsal zwischendurch. Beides verzehrte ich im Stehen in dem mit einer sehr alten Sitzgruppe, Schränken und Türmen aus Süßwarenkartons vollgestellten Kassenraum, wobei Tasse und Teller eben auf einem der niedrigeren Kartonstapel an der Wand plaziert waren. Dann dankte ich für diese Gaben und begann Kästen und Kartons, der Sackkarren stand wieder vor dem Haus, hinauszutragen und aufzuladen, bis obenhin, fast immer. Langsam schob ich den Karren jetzt in die andere Richtung. Unten vor der Treppe zum „Urania“-Foyer blieb er stehen, bis ich Kartons und Kästen hinein getragen hatte, die vollen Flaschen in den Getränkeautomat eingestapelt hatte, dann rollte ich ihn zum Abstellraum, wo er bis zum nächsten Einsatz, an manchen Tagen noch ein zweites Mal an einem Abend, stand. Nun endeten die Filmvorstellungen auch schon bald, die Filme, die Projektoren, mußten rechtzeitig abgeschaltet werden, wenn der Nachspann durchgelaufen war; oft war ich nun der Vorführer, der die Vorhänge, verbunden mit den seit-lichen Blenden, schon über die Bildwand schickte, wenn die Titel noch nicht ganz von unten nach oben verschwunden waren und der das Licht schon aufglimmen ließ. Die Prozeduren der Vorbereitungen für die nächste Vorstellung wiederholten sich, und für die letzte Vorstellung um 20.30 Uhr, wenn die Anfangszeiten wegen „Überlänge“-Filmen (aber in den Neunzigern sprach man kaum noch von „Überlänge“, ein Film dauerte eben so lange, wie er dauerte) nicht sowieso andere waren, noch einmal. Zwischendurch, während die Filme liefen, waren Schaufensterdekorationen zu erledigen, andere Filmbilder, auch -plakate, waren an den Aushangflächen, auch sonntags, anzubringen, auch das, was in den Innenschaukästen hing, mußte häufig ausgetauscht werden, und die Anfangszeiten, die der Kinobesitzer in fast jeder Woche frisch auf bunte kleinformatige Zettel schrieb – und manchmal dauerte es, bis er das tat, und dann wollte er nicht glauben, daß eben diese doch eigentlich so häufig gebrauchten steifpapierenen Anfangszeiten-Zettel, nicht vorhanden sein sollten, und warum er schon wieder neue schreiben müsse? Und nur Anfangszeichen in seiner Schrift galten, obwohl auch ich dann und wann, wenn er auf Reisen war, und das war er sehr oft, welche schrieb. Doch nur die von ihm geschriebenen Anfangszeiten-Zettel waren die einzig vorzeigbaren. Diese Anfangszeiten, ein Wort, das in fast schon absurd klingender Häufigkeit gebraucht wurde, mußten, da es ja unter der Woche keine Nachmittagsvorstellungen gab, außer in den Schulferien, unermüdlich ausgewechselt werden. Während die Filme liefen, machte ich – im Foyer fertig geworden – oben im Vorführraum einen Film spielfertig, der ein paar Tage später eingesetzt wurde. Auf dem Umroller sah ich mir den ganzen Film, Meter für Meter, nach Schäden an, die zu Vorführunterbrechungen führen konnten. Der Umroller bestand aus zwei gedrungenen Metallstäben, die auf der dunklen Platte des Holzarbeitstisches festgeschraubt waren (oder sind), auf die die Filmspulen von „hinten“ draufgesteckt wurden. Am rechten Stab hing eine Kurbel, die gedreht wurde; so wurde der Film, Akt für Akt, von der linken Spule zur rechten umgekurbelt und mit den Fingern der linken Hand fühlten die Vorführer, denn es gab außer mir noch einen Aushilfsvorführer, ob der Filmstreifen Risse und Perforationsschäden aufwies. Wie oft reparierte ich stundenlang solche Filmschäden mit dem klobigen Klebegerät! Legte ich kurze Tesafilmbahnen über die Breite des Streifens, korrigierte ich falsch zusammengeklebte Filmstreifen, die, unbehandelt, während der Vorführung den „Bildstand“ verändert hätten, die Köpfe der Schauspieler beispielsweise in irgendwelche Regionen oberhalb der Bildwand versetzt hätten, oder die, auch das kam bei falschem „Bildstand“ vor, ohne Beine gewesen wären; die dann nur als Torsi agiert hätten; und quer über die Handlung verlief dann ein Balken, das war der auf dem Filmstreifen nur sehr dünne Strich, der ein Bild vom anderen trennte; der Bildstrich. Aber freilich: manchmal übersah ich solche Fehler auf der Filmbahn (und nicht nur ich). Dann hieß es, bis zur nächsten Vorstellung möglichst nachzubessern, oder zu einer bestimmten Sekunde neben den Projektor zu stehen und mit einer schnellen Regulierung das Bild hinauf- oder hinabzuziehen, so daß das ganze Bild wieder richtig „stand“. So vergingen die Sonntage, und nicht nur sie, bis alle Vorstellungen beendet waren und die Kinos abgeschlossen wurden; auch das besorgte ich über viele Jahre hinweg, nachdem ich als letzter Kontrolletti durch die Kinosäle gewandert war, abgeschlossene Saaltüren und verlassene Toiletten nachgeprüft hatte. Die Notbeleuchtungen schaltete ich im Vorführraum aus. Die Gleichrichterelektrik auch – endlich erstarb das beständige tiefe Brummen im Vorführraum, eine etwas unwirkliche Stille breitete sich zu dieser Minute der Nacht aus, nach dem Getöse, das seit dem Nach-mittag kontinuierlich vorhanden gewesen war. Die Damen im „Sternchen“ räumten noch eine ganze Weile lang auf, rechneten ab, und war A.K. außer Haus, so wartete ich, bis auch sie fertig waren; gemeinsam verließen wir das Gebäude durch den Privateingang, auch ihn schloß ich ab. Im Hof stand dann nur noch das Auto der „Sternchen“-Dame, und wenn ich sie brav bat (sehr oft tat ich das), fuhr sie mich vor den Wohnblock am Klauflügelweg.
- Vormittags bedeckt, nachmittags sonnig, aber kalt. Schöne Westabenddämmerung über der Stadt; rote Sonne.
10.11.2002

9
Nov

9.11.2002

Das untere Ende des Filmstreifens wird auf die untere Filmspule, die sich in der unteren Filmspulentrommel befindet, aufgelegt und durch „hartes“ Drehen der Spule auf ihr festgezurrt, möchte ich fast sagen, eben so fest angespannt, daß der Filmstreifen straff sitzt, denn nur so kann die sich bei anschließender Inbetriebnahme des Projektors drehende untere Spule – die obere dreht sich natürlich auch – den Film aufspulen, ohne daß er aus der unteren Trommel „hinausläuft“. Das Vorprogramm war somit eingelegt, nun wurde der Hauptfilm, der Film, den anzusehen die Kinobesucher da unten im Foyer oder im Saal, denn im Erdgeschoß, das auch im „Urania“-Kino ein Hochparterrre ist, ist nun Einlaß, gekommen sind, in den anderen „Bauer“-Projektor eingefädelt. Seit Mitte der achtziger Jahre verfügten auch die „Filmtheaterbetriebe K ...“ über eine sogenannte Filmtellervorführvorrichtung, im internen Kinojargon „Tellerbetrieb“ genannt, die von dem Ravensburger Kinobesitzer Burth erfunden worden war und auf die er ein Patent hält. Alle großen Kinos, die Kinocenter, und auch die mittleren und kleinen, von letzteren aus Finanzierungsgründen nicht alle, besitzen seit Anfang der achtziger Jahre oder auch erst später solch eine automatische Abspieleinrichtung. Diese Erfindung ermöglicht das Abspielen ein- und derselben Filmkopie, zeitlich versetzt, in mehreren Kinos: Der sehr lange Filmstreifen, der bei Zweistundenfilmen eine Länge von etwas mehr als eineinhalb Kilometern oder noch mehr hat, läuft über aufgehängte Spulen durch mehrere Projektoren in einer Vorführkabine oder mehreren, und einer der Vorteile dieses Verfahrens ist darin zu sehen, daß für den Abspielbetrieb nur ein Vorführer für alle Kinos statt zwei oder drei für die verschiedenen Vorführräume mit traditioneller Zwei-Projektoren-Vorführung benötigt wird. Die Burth’sche Erfindung ist auch aus diesem Grund für die Kinobetreiber eine sehr nützliche Rationalisierungsmaßnahme. Ein anderer Vorteil daran ist, daß der Vorführer, oder die Vorführerin, denn solche gab und gibt es auch, zu meiner Zeit in diesen Biberacher Kinos aber nicht, nicht alle fünfzehn oder zwanzig Minuten die Projektorenfilmspulen auswechseln mußte, wie es jahrzehntelang der Fall war, wenn ein Spielfilm so gezeigt wurde, wie der Kinobesucher es erwartete, nämlich ohne technische Pausen in der Filmhandlung. Das kam schon einmal vor, vor der Installierung der „Filmteller“, und auch mir unterliefen gelegentlich Projektionsfehler, als dieser vortreffliche automatische Betrieb noch nicht vorhanden war, also bis etwa 1984 im „Urania“. Im „Filmtheater“ wurde der Filmteller früher aufgebaut. Als ich zu Beginn der achtziger Jahre für einige Zeit auch in diesem Kino vorführte, geschah das noch – wie in diesen Jahren auch im „Urania“ – im Zwei-Projektoren-Modus, der noch mit Lichtbogenprojektion funktionierte. Der eine oder andere, die oder jene, der oder die im Physikunterricht etwas aufgenommen haben, erinnert sich nun vielleicht an das elektrische Zusammenspiel von Kathode und Anode, das zwischen beiden Polen, die vorzugsweise aus Kohlestäben bestehen, eine Verbindung aus Licht herstellt; Photonenfluß entsteht, Quanten schwingen; nach diesem Prinzip warfen diese alten Projektoren das Licht, also die Filmbilder, auf die Bildwand am anderen Ende eines Kinosaals. Der Vorführer hatte auch die schöne Aufgabe, diese Kohlestäbe, die sich, mitsamt dem Spiegel, der das Licht fokussierte, im breiten gewölbten Blechkasten hinter der mechanischen Apparatur befanden, alle zehn Minuten nachzuregulieren, um eine beständige Lichthelligkeit zu gewährleisten; andernfalls wurde der Film auf der Bildwand, während die spannende Geschichte, der er erzählte, fortging, immer dunkler, auch wenn die Filmstory eine durchaus optimistische war. Während der Filmstreifen durch einen der beiden Apparate mit ratterndem Geräusch durchlief (und am Geräusch, das sich aus den Geräuschen, die Apparat und Filmstreifen verursachten, zusammenmischte, hörte ein erfahrener Vorführer, und der war ich, heraus, wenn etwas nicht stimmte, wenn sich ein Defekt ankündigte), mußten regelmäßig die abgebrannten Kohlestäbe des anderen, im Augenblick nicht benutzten, durch neue, neue glänzende, denn eine dünne kupferne Metallummantelung hatten diese Stäbe, Stifte ersetzt und justiert werden. Leichte Gerüche, die nicht unbedingt gesundheitsfördernd sein konnten, entstiegen dann dem grauen geöffneten Blechkasten und verteilten sich mit Partikeln diverser Provenienz, die durch den Vorführraum reisten. Aber zurück in den Sonntagnachmittag. (Heute wäre übrigens so ein beschriebener Samstagnachmittag, arbeitete ich noch in diesem Job, und ich bin froh, daß dem nicht so ist.) Legte ich den Spielfilm – und manchmal war auch das Vorprogramm „davor“ angeklebt – , in den Projektor ein, 1992, dann nahm ich das innere Ende, den Anfang des Films, zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand – ich schreibe mit der rechten, vollziehe aber handwerklich-technische und ähnliche Tätigkeiten vorzugsweise mit der linken – und fädelte es in die Metallgabel und durch die breiten Spulen des „Steuerungskerns“ in der Mitte eines der drei Filmteller, die übereinander angebracht sind, ein; die Gabel dieses Teils der automatischen Anlage wird durch den Zug und die Bewegung des Filmstreifens hin- und herbewegt, nach links, nach rechts, und signalisiert in diesem Pendeln dem Steuerungsgerät an der Wand, wie schnell oder wie langsam die große runde Platte, auf der der große schwarze Kreis aus sechs, sieben oder acht oder noch mehr zusammengeklebten Filmakten liegt, rotiert (Jeder Film wird fast immer in Form von „Akten“ – die Bezeichnung leitet sich von den „Theaterstückakten“ ab – in flachen schwarzen oder braunen Kartons, in Kisten verstaut, von einem Filmspediteur angeliefert). Dreht sich die Platte aufgrund von Steuerungsstörungen zu schnell, droht Ungemach; dreht sie sich zu langsam, ebenfalls, dann nämlich stimmen die Abspielgeschwindigkeiten des Projektors und der Platte, die dem Apparat den Film zuführt, nicht mehr überein, der Zug wird plötzlich zu stark: der Film reißt und beschädigt, wenn das Unglück es so will, zusätzlich die Mechanik des Projektors. Das gibt dann viel Streß. Ich hatte manchmal solchen Streß; anderen aus anderen – nicht nur technischen – Ursachen natürlich auch. Jeder Vorführer, nehme ich an, flucht dann und drückt auf der Knöpfchenplatte unter dem Sichtloch, durch das er in den Saal sehen kann, oder anderswo ein Knöpfchen, schaltet Saallicht ein, greift zum Haustelefon, informiert die Platzanweiserin, was Sache ist und macht sich an die Arbeit, die Schweinerei in Ordnung zu bringen, was Zeit kostet. Ist der Vorfall größer, kann es sein, daß sich der Beginn der nächsten Vorstellung hinauszögert.
- Ein finster-verregneter Tag, naßkalt.
9.11.2002

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8.11.2002

An einem Sonntag – nehmen wir einen im Frühjahr des Jahres 1992 – stand ich kaum vor elf Uhr auf. Die Nacht des Samstags war lang gewesen; der ganze Samstag war lang gewesen: Mittags zum Einkaufen auf den Markt, in die Geschäfte, die um den Marktplatz liegen, oder lagen, muß ich aus der heutigen Perspektive schreiben, dann oft in ein Café, bis der Stadtbus zum Hühnerfeld fuhr, oder auch nicht ins Café. Zuhause machte ich mir ein schnelles Mahl, dann ging ich hinunter in die Stadt (die Stadtbusse fuhren nicht mehr) zum Kino. Für diesen Weg brauchte ich genau fünfundzwanzig Minuten, ob’s stürmte oder schneite. Ich schloß mit einem Schlüssel, der neben anderen an dem Schlüsselring hing, dessen Anhängsel die Kinotüren auf- und abschlossen, die Privateingangstür zum „Urania“-Gebäude, die neben der Innenhofstreppe zum Foyer ins Haus Einlaß gibt, auf und deponierte zunächst den Beutel, in dem ich ein paar Kleinigkeiten zum Verzehren für den Abend mit mir führte, in einer Ecke neben den Stapeln von Filmplakat- und –bildermaterial, das in den braunen Tüten der Verleihfirmen im Treppenhaus – immer an der Wand lang – zu Stößen von manchmal einem Meter bis ins oberste Geschoß hinauf gelagert war. Oft hatte ich mir die mittägliche Busfahrt vor den Wohnblock erspart, um länger im Café plaudern zu können; eher aber las ich zu diesen Stunden das Feuilleton der F.A.Z. oder der „Süddeutschen“. Im Kino stellte ich dann die Plastiktasche von „Lidl“ oder „Kaiser’s“, angefüllt mit Lebensmitteln und einer Flasche Wein oder zweien, in der sich häufig auch eine Flasche Whisky oder Rum befand, in diese Ecke vor, wenn man die Innenansicht des Treppenhauses wählt, der Eingangstür. Entweder schloß ich dann die Zwischentür, die vom Treppenhaus ins „Urania“-Foyer führt, auf, um sofort den Nachmittagsfilm im engen Vorführraum hinter dem „Stardust“-Kino in den Projektor zu legen, um auch die Innenbeleuchtung des Kinos und den Kassettenrecorder, der die Einlaßmusik abspielte, einzuschalten, oder ich stieg erst einmal die Treppe hinauf zum ersten Stock, um von dort durch die in die Wand eingelassene Tür zum Garderoben- und WC-Flur des „Sternchens“ und weiter, durch die zweite, zu dieser Stunde immer offenstehende Tür, in den Saalbereich zu gehen, dort die ebenfalls offenstehende Tür, etwas versteckt im Gang, der links im Saal den Zugang zu den Sitz- und Tischreihen erlaubt, gelegen, hinter mir lassend den Vorführraum für das „Urania“-und „Sternchen“-Kino zu betreten. Das galt für Samstage und Sonntage, so daß wir wieder im Sonntag sind. Zuerst öffnete ich das Fenster, das am Ende des dunklen Vorführraums den Blick ins Freie gestattete und frische Luft hereinließ, solange für’s „Sternchen“ kein Film abgespult wurde. Ich schaltete mit einem klobigen Schalter an der Schaltwand die Gleichrichter im Gleichrichter-Raum ein, ein tiefes Brummen kam auf, das bis zum Ende des Kinotags, bis nach ein Uhr, nun den Vorführraum erfüllte; ein Ton, den ich häufig kaum noch wahrnahm, so hatte ich mich im Laufe der Jahre an ihn gewöhnt. Danach war in diesem Kabuff, in dem die Gleichrichter – der Strom für die Projektoren mußte umgewandelt werden – standen, an einem anderen Schaltkasten die Notbeleuchtung für „Urania“ und „Sternchen“ einzuschalten, danach die Klimanlage für das nebenan gelegene Kino, eben das letztgenannte, deren sichtbarer Teil ein voluminöser Kasten seitlich links über dem sehr alten, dunkelbraunen Arbeitstisch aus Holz war; eventuell regulierte ich mit einem Knopf die für das Kino notwendige Temperatur, immer aber im Winter oder an kalten Tagen; und der Kinobesitzer drehte sie dann während des Abends wieder hinunter ... Die große Filmspule mit den Vorprogrammfilmen – Werbung, Trailer – wurde dem ebenfalls jahrzehntealten Spulenschrank entnommen und auf den Metallstift in der Mitte der offenen oberen Projektortrommel eines der beiden Projektoren des „Urania“-Kinos gesteckt, die Trommel dann geschlossen. Ein Filmstreifen von etwa einem Meter hing nun unten aus der Trommel heraus. Ihn, dessen Breite 35 Millimeter betrug, legte ich jetzt mit etwas Fingerspitzengefühl über Rollen mit und ohne winzige Metallzähne; die mit den Zähnen griffen in die zu beiden Seiten des Filmstreifens entlang laufende Perforation hinein und transportierte den Film durch die „Filmbahn“, durch deren fest verschlossene „Kammer“; hinter der das 1000-Watt-Auge darauf wartete, sein exorbitant kräftiges Licht durch die vor ihm nach unten strömenden einzelnen Filmbilder zu werfen. Vierundzwanzig Bilder pro Sekunde; diese Geschwindigkeit täuscht den Augen des Homo sapiens vor, die Figuren auf der Bildwand würden sich bewegen. Dieser Film, aus vielen einzelnen Filmen zusammengeklebt, war also das Vorprogramm für dieses Kino an diesem Tag.
- Grau-regnerischer Tag.
8.11.2002

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