4
Jul

4.7.2002

Die „Schwaaz Vere“-Gruppe (auch so die Schreibweise) wurde aber erst zu Anfang der Siebziger in den Großen H.F. integriert. Der Schwarze Vere, um sofort auf ihn zu kommen, war im zweiten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts für zwei Jahre das berüchtigte Oberhaupt einer Bande von „Landstreichern“ und Räubern gewesen; er hatte pechschwarze Locken gehabt, war vor der Gerichtsbarkeit des schwäbischen Oberlands dringend flüchtig, und dann war er auch gefaßt und im „Ehinger Turm“ zu Biberach, der längst zum Grunde ging, eingekerkert worden. Der Sage nach wurde er dort in Eisen gelegt und vom Blitzschlag, der in den Turm gefahren sei, getötet. Er war eine der berühmten fragwürdigen Figuren seiner nachnapoleonischen, seiner königlich-württembergischen Zeit gewesen und gab den Stoff für etliche Bilder – des Biberacher Malers Pflug beispielsweise – und Bücher; auch ich schrieb, in einer Schützenfestzeit, entweder ’73 oder ’74, eine kleine humoristisch eingefärbte Geschichte von ihm, die ich, ziemlich angeheitert, im Kleinbus der Firma „Energie“, die dem Vater meines Nachbarfreundes Heinz-Wolfgang gehörte, in dem in jenem Jahr – H.-W. war einige Jahre zuvor ihr Tambour gewesen – WG-Trommler von Ständchen zu Ständchen kutschiert wurden. (Sie, die sich aus der oberen Biberacher Gesellschaftsschicht rekrutierten, und so ist es geblieben, verhielten sich freilich ein wenig anders als wir braven Kleinen damals ..., und ihr Alkoholkonsum war zuweilen legendär.) Diese Buslesung, auf Tour durch die nachmittägliche Stadt, denn die WG-Trommler trommeln auch noch nach den Umzügen und vor dem „Abtrommeln“, um zu Scheinchen zu kommen, war ein Belustigungserfolg. Leider, das getippte Manuskript, das unvollendete, war schon mit Weinflecken zünftig überzogen, verschwanden diese Seiten schützenfestlich-ironischer Prosa vollständig in den allgemeinen Wirren einer meiner Weinseligkeiten und, sollte es nicht in jenen Tagen gewesen sein, in denen der folgenden. Ich habe mich daran erinnert, als ich vor einigen Tagen im Zug nach Berlin in der Lokalausgabe des bekannten Blatts den Bericht über die „Heimatstunde“ gelesen habe, die am ersten Sonntag der Schützenwoche als Matinée im Stadttheater, seit 1978 im ausladenden Betonklotz der Stadthalle am südlichen Hang des Gigelbergs untergebracht, wenn gespielt wird, oft in szenischer Darbietung aufgeführt wird; „Schurken und Gesindel in Oberschwaben zu Beginn des 19. Jahrhunderts“ ist das diesjährige Thema gewesen. Vielleicht wird ein Publikum des beginnenden 22. Jahrhunderts auch etwas über die des 20. zu sehen und zu hören bekommen.
- Unklare Witterungssituation; bedeckt, dann sonnige Tagesabschnitte; kühl am Morgen, später warm. Viel Wind.
4.7.2002

3
Jul

3.7.2002

Unser Tambourmajor, die für uns sehr selbstverständliche militärische Benennung unseres „Anführers“– vieles war selbstverständlich in solchen Jahren, weil, jedenfalls in mir, die Lust und der Willen zu kritisieren und aus der betrachtenden Kritik heraus sich die Menschenwelt und die in ihr agierenden Ausdrucksweisen und Ausformungen genauer anzueignen, erst einmal, noch nicht ausgeprägt war –, warf seinen Stab mit den wohl blaugelben Quasten unter der Spitze in die Sommerluft, der wirbelte zweimal um sich selbst, das Licht blitzte vom Metall des Knaufs und der Spitze, in einer eleganten und lang geübten zugreifenden Bewegung während des Gehens, dessen gemessene Schritte die Rhythmen der Trommelschläge hinter ihm vorgaben, fing er, der mit dem hohen Helm, von dessen Scheitel weiße Kunsthaare rings um die Kopfbedeckung, sie verdeckend, herunterfielen, diesen großen Taktstock wieder auf. So zogen wir durch die Gassen und die Straßen der fahnengeschmückten kleinen Stadt, um die Ecken und Kurven; diejenigen unter uns, die nicht zum ersten Mal dabei waren, kannten die „Festzugsstrecke“, wußten, wo mehr, wo weniger der aus dem Landstrich rings um die Stadt herbeigeeilten Leute Aufstellung genommen hatten, die unseren Auftritt freundlich-sentimental beklatschten. Von irgendwo aus einer Stelle der „Festzugsstrecke“ erschien dann plötzlich meine Mutter in hellem Sommerkleid mit dem Fotoapparat und knipste mich, uns; mir war das eher peinlich, oder es war, in dieser Uneindeutigkeit befanden sich die Gefühle, Verlegenheit, die von einem gesteigerten Selbstbewußtsein überspielt wurde; wörtlich. Waren wir zu Beginn der Durchmarschiererei schon über den Marktplatz, auf dem in den ersten sechziger Jahren nur eine Stufentribüne, vor den Gutermannschen, diesen den Marktplatz, vor dem aufragenden Turm der Kirche, markant zierenden Doppelhäusern, aufgestellt war, auf der die „Schützendirektion“ und Honorige von nah und fern im Schützenmontags- und -dienstagsstaat saßen, defiliert, so kehrten wir nach all den Schleifen und Winkelzügen, die der Festzug dann durch die Stadt gelegt hatte, wieder, in triumphalistischem Gestus, auf ihn, von der anderen Seite einmarschierend, zurück; der Vorsitzende der Schützendirektion erklärte, stehend hinter dem Mikrophon an der Brüstung der „Ehrentribüne“, mit getragener Stimme: „Die Festzugsspitze erreicht nun mit den Schützentrommlern und -pfeifern wieder den Marktplatz, auf dem sich zum gemeinsamen Singen unseres schönen Schützenfestliedes alle Teilnehmenden versammeln.“ Das waren nicht wenige, und standen schließlich alle Gruppen in langen Reihen nebeneinander zwischen den Bürgerhäusern des Platzes, war die „gute Stube Biberachs“ rappelvoll. Von Rappen voll kann ich nicht angeben, denn die Pferde – des Großen Historischen Festzugs, in dem die geschichtlichen Ereignisse, die die Freie Reichsstadt ehedem heimgesucht hatten, nun bürgerstolz visualisiert wurden, in Kostümen und mit allerhand Soldaten- und Marketendertum, das sich in alten Städten durch die Zeitläufte getummelt hatte, – waren doch oft nur Ackergäule, die die schweren Wagen, nicht nur die historisch nachgebauten, ziehen mußten, und keine schwarz-rassige Reittiere; diese gab es nur in den Verkörperung von Braunen, die die Ritter von Essendorf, kaiserliche und schwedische Offiziere und, aber damals, als ich trommelte, noch nicht, die Höflinge des „Musenhofes von Warthausen“, vom Grafen Stadion, Günstling des Erzbischofs von Mainz, tänzeln ließen; aber letztere, inklusive Wielandens, des Dichters und Biberacher Kanzleidirektors, vulgo Bürgermeisters, saßen doch in zwei Kaleschen? Zwischen diesen spätmittelalterlichen und frühbarocken Herrschaften und Glaubenskriegern schritt, die Rechte hin und wieder huldvoll in einer winkenden Geste emporhebend, der Kreisarchivrat (inzwischen Ober-) Dr. D., einen Abt oder Fürstabt im schwarzen Ornat mimend, die politisch-gesellschaftlichen Gegebenheiten in der Stadt und drumherum aufs trefflichste symbolisierend. Die Bande des „Schwarzen Vere“ – über den zu schreiben etwas lohnte, vielleicht zu ihm in Bälde – machte aus dem Festzug heraus die Reihen der Festzugsbesucher unsicher und stieg auch schon einmal mit einer langen Leiter in offen stehende Fenster ein, raubte dicke Würste und andere Viktualien, sogar Geld, das rechtzeitig bereitgelegt worden war. Es war „Schützen“.
- Regnerisch, doch mit etwas Wärme in der Luft.
3.7.2002

2
Jul

2.7.2002

An den „Schützenmontagen“ und „Schützendienstagen“ stand ich in den Jahren, in denen ich bei den „Schützentrommlern“ (mit Pfeifern) die Trommel schlug, früh auf. Vor den Umzügen – „Bunter Schülerumzug“ montags in der „Schützenwoche“, Großer Historischer Festzug am Dienstag – waren vor den Häusern und Vorgärten verschiedener Biberacher Bürger mit Verdiensten allerlei Art und vor denen einiger anderer Honoratioren Ständchen zu trommeln und zu pfeifen. Ich zog die kurze blaue Hose an, weiße Kniestrümpfe, braune Halbschuhe, ein weißes Hemd, über das ein blaues Jöppchen, auf den Kopf mit dem Faconschnitt früher sechziger Jahre setzte ich mir die blaue Schirmmütze. An deren rechter Seite wurde, an allen Tagen, in denen wir früh am Tag, vormittags, abends, durch die Straßen marschierten, ein schmales Büschel eines gewissen Halmgrases – schreibe ich, weil ich seinen wissenschaftlichen Namen nie kannte – genäht, von dem wir nur als „Judenbendel“ sprachen. Ich dachte mir nichts dabei. Ich wußte noch nichts von Juden; oder doch: ein Volk, Menschen eben, wie du und ich. Ich wußte noch nichts von den rituell getragenen Schläfenlocken der orthodoxen Juden; auch noch nicht viel von der deutschen Geschichte. Wir ließen von den Müttern die Judenbendel an der Mütze befestigen, dann zogen wir, aus Häusern, die überall in der Stadt im schon sonnigen Morgenlicht standen, durch unsere Straßen zum Ort in der Stadt, an dem wir uns sammelten, von dort abmarschierten, „Erster Marsch!“ oder „Dritter Marsch!“ trommelnd, dann setzten die Pfeifer mit ihren kleinen Querflöten ein; und manchmal trotteten wir auch eine Zeitlang ohne zu trommeln und zu pfeifen durch die morgendliche Stille: eine blaugelbe Knabenmannschaft; über dem linken Oberschenkel, wo die Metallrahmen der Trommeln auflagen, trugen wir ein gelbes dünngegerbtes Fell; die Biberacher Stadtfarben sind blau-gelb. Dann gab Herr K. wieder einen Befehl, wir waren vor dem nächsten zu bespielenden Haus angelangt, wir formierten uns wieder ordentlich in Reih und Glied; der Tambour wandte uns den Rücken zu, vor dem Haus, vor dem Gärtchen vor dem Haus, hob seinen Stab, zeigte mit der anderen Hand, der linken (es soll auch Tambourmajore gegeben haben, die den Stab mit links schwangen), die Nummer des zu schlagenden Marsches an; die „Locke“ erschallte durch die schläfrig sommerliche Straße zwischen Häusern und Hecken. „Schützen“ war’s! In der Regel gab es danach für die Truppe ein Geldgeschenk, das abends, nach dem „Abtrommeln“, verteilt wurde. Diese paar Mark – immerhin! – verdienten wir uns am frühen Vormittag durch Ständchen. Das Bedürfnis verdienstvoller Bürger, zu „Schützen“ angemessen gewürdigt zu werden, traf sich mit unserem, die Geldstücke auf dem „Berg“ ausgeben zu können. Zur rechten Zeit vor den Umzügen hörten wir damit auf. Erholungspause, oft mit Limonade oder Brause. Von Stunde zu Stunde – in meinen Trommlerjahren schien immer die Sonne heiß nieder – erwärmte sich der oberschwäbische Tag, Autos und Fußgänger strömten aus allen Richtungen in die Innenstadt; wir warteten in den Straßen der Peripherie der inneren Stadttopographie auf den Abmarsch, im „Bereitstellungsraum“, zusammen mit anderen Gruppen, musikspielenden, darstellenden, mit den Schweden und den Kaiserlichen; vor ihren Planwagen standen am „Schützendienstag“ und an „Bauernschützen“, dem die Schützenwoche abschließenden Sonntag, als Vierergespänne schwere Gäule, die schon jetzt auf den Asphalt schissen. Dumpfe Böllerschüsse aus einer groß dimensionierten Spielzeugkanone vom Gigelberg herunter zeigten den Beginn der Umzüge an. Ruckelnd, zuckelnd setzten sie sich dann in Bewegung. Wir Schützentrommler und -pfeifer vorneweg. Wir waren die ersten, die von den sommerlich-feiertäglich gekleideten Massen auf den Bürgersteigen Applaus erhielten. Wir waren ziemlich stolz.
- Trüb-regnerisch, aber auf ungute Weise wärmer, als man hätte denken können. Ein starker Regenguß am Nachmittag versiegte, abends schlichen sogar ein paar Sonnenstrahlen durch die Bäume.
2.7.2002

1
Jul

1.Juli 2002

Lindelestr. 2. ... , wie andere Menschen ihr Leben, ihr anderes Leben, am selben Ort, in die Gestaltung der Äußerlichkeit, der „Umgebung“, die „äußere Schale“ ihrer inneren Bewegungen projizieren (Gartengestaltung, Hausveränderungen). – „Lebensschalen“, -schichten, die sich über ein und demselben Ort wölben (Erlenmayer-Schmidt, D., Kautt). – Die Zirrhus-Wolken am Vormittag; ein Wolkengewebe. – Braith- und Mali-Museum: der eigentliche Charakter dieser Männerfreundschaft ist den Biberachern nie so ganz richtig ins Bewußtsein geraten. – Drei Mütter und fünf Kinder radelten langsam über den mit sehr hellbraunem, beigen, das wäre das Wort, Sandkies bedeckten Hof vorüber, in dem die „moderne“, giftgrüngelbe Flügeltischanordnung eines Brunnengebildes lagert, das die gewünschte Spannung zwischen Historischem und spätem 20. Jahrhundert nur zu einer falsch verstandenen Gegensätzlichkeit disharmonisch ins Flau-Mißglückte verzieht. – Dort in der Wand des fünfstöckigen Westflügels des Museums, dessen weiße Giebelfront als fast gleichschenkeliges Dreieck, die linke und die rechte Linie gezackt, unter dem blauen Äther emporstrebt, wo nun das umbrafarbene Schild mit der Inschrift: „Braith- und Mali-Museum / Geolog. paläontolog. Sammlung / von Dr. J. Probst / Kunst u. Altertums-Sammlung“ in die Wand eingelassen ist, befand sich Ende Juni 1996 eine provisorische Bautür, die den Zugang in das ausgehöhlte und mit schwingenden Bretterböden, die die Stockwerke andeuteten, kühle, kalte Museumshaus ermöglichte. – Zwei Jahre danach: Glastreppenhaus, Lesung Lit. Werkst. – „Fremdes“, „Anderes“, Super-8-Film/Schweiz (2 Lesungen: 1. Museumshof alt). – Die Dummen haben eine Mehrheitsmeinung: das nennt man Demokratie. – Marx `93, handschriftlicher Lebenslauf: „... bei dieser Handschrift ...!“ War er auch Graphologe?
- In Biberach vormittags und bis zu meiner Abreise mittags sehr mildes Sommerwetter. Je weiter der ICE gen Norden, dann nach Osten, zog, desto trüber wurde es in der Landschaft. Ab Braunschweig Regen. In Berlin Nieseltropfen.
1.Juli 2002

30
Jun

30.6.2002

Am Sonnabend des letzten Wochenendes im Juni 1994 las ich in Rotis, einem kleinen Ort, einer Ansammlung von Häusern eigentlich nur, im Allgäu, von Wangen nicht weit entfernt, wo in Ausnahme der Regel, die das Literarische Forum Oberschwaben sich einmal im Jahr an diesen Juniwochenenden in Wangen versammeln ließ, um unveröffentlichte Texte, Prosa, Lyrik, von Autorinnen und Autoren aus dem südlichen Baden-Württemberg, Vorarlberg und der Bodenseeschweiz vorgelesen zu bekommen und Kritik daran, harsche zuweilen, auszusprechen, dieser nicht kleine Kreis sich traf, Gedichte vor. – Drei Jahre später fuhr ich, aus diesem Kreis von Wangen am Nachmittag, als noch getagt wurde, nach Biberach zurückgekehrt, von dort nach Köln, um am nächsten Tag, dem Sonntag, an der jährlichen Matinée der Marcel Proust Gesellschaft im Hause und weiten Garten des Urologen, Kunstsammlers und Vorsitzenden der MPG, Professor Dr. Speck, teilzunehmen, zu der er mich eingeladen hatte. – Unweit der Wielandstraße, mit Blick auf das Wielandhaus schräg gegenüber, habe ich ein Stück von der Wieland-Torte verspeist. Sie ist ein wenig trocken gewesen. – Das „Deutschland!“-Gebrüll neunzehnjähriger Fußballgucker aus dem anderen Café an der W.-Straße, ... – Hölderlins „An die Hoffnung“ ... – Metzgerei Herrmann ...
- Prächtiger Sonn-Tag in Biberach an der Riß.
30.6.2002

29
Jun

29.6.2002

Um 6.15 Uhr aufgestanden, um 7.30 Uhr mit Schmidt, der mich bei den Dres. abgeholt hat, nach Mittelbiberach gefahren, wo Matthias Dahmen vor dem Schloß gewartet hat, um mit nach Wangen zu fahren. Zum Stadtteil Mittelberg, unterhalb des Hühnerfelds Richtung Osten in Biberach, weitergefahren, wo Hubert F. ins Auto gestiegen ist. Wir sind durch einen schön-sonnigen Morgen nach Wangen gefahren, wo wir um 8.45 Uhr angekommen sind. Wir sind als die ersten Forums-Teilnehmer in den großen Saal oben im Rathaus hineingegangen. Eine Frau, die zu den Wangener Organisatoren des Forums wohl gehört, hat mich mit der Bemerkung, ich habe doch in Rotis vorgelesen, begrüßt. Ich bin überrascht gewesen, daß ich ihr im Gedächtnis geblieben bin; ich habe mich dafür bei ihr bedankt. Die Lesungen haben dann begonnen. In der Mittagspause sind nur Hubert F., Matthias D. und ich – Schmidt ging während des späten Vormittags fotografieren – in eine Gaststätte im engen Wangener Stadtkern gegangen, wo ich diese Zeche – Matthias, den ich eingeladen habe, hat das „Försterschnitzel“ gegessen und die beiden Colas getrunken – gemacht habe:
[Kassenbon]
Ich habe den Betrag auf 35 Euro aufgerundet. Die Lesungen des Nachmittags haben nach 15 Uhr begonnen. Ich habe als der letzte der Lesenden vorgetragen; nicht übel, wie ich jetzt meine. Ich bin von allen, die sich zu Wort gemeldet haben, gelobt worden. Als alles beendet gewesen ist und ich mit F. und D. noch vor dem Rathaus gestanden bin, hat Armin Ayren mich auf Biberach angesprochen, wo er in den sechziger Jahren für keine lange Zeit Kulturreferent war; er machte keine guten Erfahrungen in Biberach, und hat über Biberach auch in zustimmender Äußerung zu meinen Texten gelästert, oben im Saal. Zwei andere Forumsteilnehmer haben mich danach auch angesprochen; man hat meine Texte gemocht. Wir sind durch einen langsamen Sonnenuntergangsabend, nach 19 Uhr, nach Biberach zurückgefahren. M. D. ist vor dem Haus seiner Familie in einem Mittelbiberacher Neubaugebiet ausgestiegen. Wir sind zunächst nach Warthausen weitergefahren, wo ich im Hausflur der Dres. S. drei kleine Kanister mit Chlor..., die wir von einem Bruder, ebenfalls Mediziner, von Sigrid S. auf dem Platz vor dem Rathaus, vor der dort aufgestellten flachen Tribüne (für Tanz und Tollerei?) entgegennahmen, abgestellt habe, dann ist Schmidt in die Emmingergasse am Weberberg von Biberach gefahren, wo er sein Auto der Marke Renault, kein großes Modell, geparkt hat und wir sind ausgestiegen. Er ist zu seiner Wohnung in der Weberberggasse 27 gegangen; Hubert F. und ich zum Café „Vienna“ am östlichen Ausgang des Markptplatzes, unterhalb des hohen Kirchturms; wir kennen schon die respektlose Bezeichnung, die er Ende der Sechziger erhielt. Ich habe Kaffee getrunken und Hubert – mittelgroß, stämmig, kugelförmiger Kopf, ergrauender Vollbart im runden Gesicht, hohe Stimme – hat sich noch ein Bier bestellt. In den späten neunziger Jahren veröffentlichte er Erzählungen in zwei Anthologien, in denen die besten Texte zum Wettbewerb um den „Buchpreis der schwulen Buchläden“ standen. In den Sechzigern und Siebzigern reiste er durch die Welt, lebte für einige Jahre in Australien. Er hatte dort viel Sex, wie er gerne gesagt hat, „überhaupt kein Problem da.“ Thomas G. ist, wie verabredet, dazugekommen. Nach einer Weile ist Hubert F. gegangen. Thomas hat über die Ungewißheiten in seinem Beruf geredet. Ich bin immer froh, daß ich mit einer „Berufswelt“ nichts mehr zu tun habe. Wir haben auch über anderes geredet. Ich habe schließlich gesagt, daß ich nicht mehr so lange, „nicht mehr so lange wie früher“, im Café sitzen bliebe; ich sei ziemlich erschöpft. Im hinteren Raumteil des „Vienna“ sind wir danach noch zwanzig Minuten gesessen und dann in die kühler wehende Nachtluft hinaus- und zu seinem Auto, das hinter dem Museum gestanden ist, gegangen. Er hat mich nach Warthausen chauffiert. Wir haben noch einige Minuten miteinander geredet; er ist abgefahren. Im Wohnraum habe ich mich für eine knappe halbe Stunde mit meinem freundlichen Gastgeber Eckhard S. unterhalten, bis ich hinauf ins Dachgeschoß gestiegen bin. Ich habe die Beleuchtung eingeschaltet, die, die über das Tischchen mit einer quadratischen hellen Platte genügend Licht wirft, auch die schalenförmige Stehlampe (die dünnmaschige Lampenschirmhalbkugel öffnet sich nach oben), habe ich etwas näher an’s Tischchen gestellt, ich sitze auf dem Ledersofa.
- Ein atmosphärenblauer Äther über Oberschwaben, da oder dort von feinen Zirrhusschleiern überzogen; auch Cumuli standen über manchen Gegenden wie Gemarkungssteine der Lüfte. Aber frisch die Luft, wegen eines dahin ziehenden Winds. Abends sehr „stimmungsvoller“ Übergang vom Sonnentag zur Dunkelheit.
29.6.2002

28
Jun

28.6.2002

Ich habe heute im Abend im Hause Sauer die drei Textabschnitte vorgelesen, die ich morgen im Literarischen Forum Oberschwaben in Wangen als einer von zwölf Lesenden der Kritik aussetzen werde. Nach dem Abendessen mit Sigrid und Eckhard und der Tochter Beatrix Sauer, Christa Moll vom „Insel“-Buchladen und ihren Kindern Johanna und Moritz habe ich die Passagen vom Kohlenkeller, vom alten Besitzer des Lindelehauses S. und den Spaziergang von diesem Haus, meinem Kindheits- und Jugendhaus, hinab zum „Strauß“ vorgetragen. Eckhard S. hat, nachdem ich noch einen vierten Text, den über meine Verlegung von Bayreuth nach Weiden und zurück, während der Bundeswehrzeit, gelesen habe, zwei Konjunktivfehler angemerkt. Die merzte ich aus; aber ich werde diesen vierten Text morgen vermutlich, wegen Zeitlimits beim Vorlesen, gar nicht zu Gehör bringen.
„Nun geht die alte Oma schlafen“, wie Marlon Brando als Kopfgeldjäger eines Spätwesterns von Arthur Penn nach der ersten Hälfte der siebziger Jahre sagte.
- Morgens bedecktes oberschwäbisches Firmament, kühler Wind bis zum späten Nachmittag; dieser war aber sonnig, auch der Abend.
28.6.2002, Warthausen

27
Jun

27.6.2002

„Und auch noch ein Erzengel!“, lästerte Martin H. freundschaftlich weiter. Ich fühlte, wie unerahnte Energien in mich hineinschossen und aus mir blitzten; unsichtbar; ich nahm R.s Ankunft in meinen Jahren als Zeichen dafür, daß es mit diesem Film, den ich schaffen wollte, etwas Besonderes auf sich haben mochte. Ich dachte: „Dieser Film, gleichgültig, wie gut oder schlecht er wird, wird dein Leben verändern.“ Mir ist noch so, nach sechs Jahren, wenn ich diese Augenblicke, diese Blicke aus Augen, die ich dann oft sehen sollte, nun wieder sehe, abends um 22.50 Uhr in Warthausen bei Biberach, in der Nähe des Schlosses, im Haus der Dres. Sauer, Freunde, die ich gewann, als ihre Kinder A. und B. in meinen Literaturkursen schrieben und zeichneten, daß ich so dachte, denke ich hier in der geräumigen und luxuriöses Logis bietenden Dachwohnung, in der ich mich schon einmal für mehrere Nächte aufhalten durfte, Ende März 2000, als ich, ebenfalls wegen einer Lesung nach Biberach gefahren, hier willkommen war. Aber nun bin ich doch müde, für heute soll’s reichen.
- In Berlin mittags der Himmel mit hellgrauen Wolken verhangen, durch die selten ein Sonnenstrahl fiel. Regen fiel, westlich der City, versiegte, während der Zug nach Westen fuhr. Der Himmel über diesem Teil der Bundesrepublik Deutschland so wie in Berlin. Erst südlich von Frankfurt am Main Spätnachmittagssonne, deren Licht in die Abenddämmerung versickerte. In Warthausen um 18.45 Uhr regnerisch-warm.
27.6.2002, Warthausen
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
Tadellöser - 20. Dez, 13:02

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