4
Okt

4.10.2002

26.9. – Westlich des nach Süden eilenden ICE-Zuges bauschten hohe Ansammlungen von Haufenwolken sich zwischen Hannover und Göttingen auf; ich sah genau hin und erkannte ein phantastisches Gebirge in den Lüften, mit mächtigen Wänden, Trutztürmen gleich, zwischen denen sich neigende große Flächen wie grauweiße Almen lagen; ein ätherischer Olymp in der reinen Bläue. – Nacht in Biberach, als ich ankam und vor dem Bahnhof ein Taxi zu finden hoffte. Vorm spärlichen Straßenlaternenlicht lag etwas hier und da auf der Straße, die in einem rechten Winkel vom Eselsberg in der Entfernung herab an den starren Dächern des ZOB, des Zentralen Omnibusbahnhofs, vorbei als Bahnhofstraße zu ihrer Kreuzung mit dem Zeppelinring ihre naßschwarze Bahn zwischen die Häuser – Post, lokale EnBW-Geschäftsstelle, in der ich, als sie noch unter „EVS“ firmierte, 1974 in einem Büro saß, Volksbankneubau – legte, legt. Ich fand kein Taxi. Zog das Handy aus der Jacketttasche, drehte mich noch einmal suchend um, plötzlich leuchtete über einem der Autos, über einem Kleinbus, das gelbe Taxi-Zeichen; im Inneren hatte jemand mich bemerkt und es eingeschaltet, oder hatte ich es, das Taxi stand an ungewohnter Stelle, übersehen? Ich ging darauf zu, eine ältliche Frau stieg aus. „Suchet Sie a Taxi?“, fragte sie laut. „Ich hab‘ Sie gar nicht gesehen“, entgegnete ich und lud das Lederköfferchen in den Gepäckteil ein, stieg auf den Beifahrersitz. „Nach Warthausen, ich sag’s dann, wie Sie fahren müssen.“ Wir fuhren bei „Kaltenbach & Voigt“ vorbei, ich sah für einen langen Blick in den Innenhof hinter der Eingangsschranke. Ich sah meinen Erzeuger und mich, irgendwann in der Mitte der sechziger Jahre, in einem Eingangsbereich der neuen Gebäude sitzen, und wie er aus seiner Brieftasche das monatliche Unterhaltsgeld zog; dann bogen wir schon in die Ehingerstraße nach rechts ein, rollten aus Biberach hinaus. Während der Fahrt durch die Dunkelheit – nur ein paar Autos kamen uns um diese Uhrzeit, etwa halb elf am Abend, entgegen – dachte ich an jene Sommer- und Herbst- und Winternächte in den Jahren 1982 und 1983/1984, als wir – Freunde und ich – freitags und samstags oft nach Warthausen zur Großdiskothek „Wurzelmax“ gefahren waren, die ein neuer Vergnügungsort geworden war, denn eine Diskothek solchen Ausmaßes hatte es weder in Biberach noch in der näheren Umgebung noch nicht gegeben. (Der Wirt jener kleinen Kneipe in der Kolpingstraße, von dem einmal eine Bedienung im „Sternchen“-Kino gesagt hatte, er finde wirklich alles geil, der hatte auch mit einem Mal – allein oder mit Kompagnon – diesen Musik- und Tanztempel betrieben. Erst nach der Arbeit im Kino, und entweder freitags oder samstags, vor oder nach Mitternacht, konnte ich in eines der Autos einsteigen, die – manchmal auch nur eines – in aller Regel vom „Storchen“ in der Ehinger-Tor-Straße aus abfuhren.) In Warthausen ließ ich mich in die Heggelinstraße vor das Haus der Dres. Sauer fahren, „bis zur zweiten Laterne“, sagte ich der Taxifahrerin. Ich zahlte, holte meinen Koffer hervor, klingelte an der Haustür. Die Nacht verschluckte das Taxi. Beatrix, die vierzehnjährige Tochter, war zuhause und wartete auf meine Ankunft, sie ließ mich mit einem Knopfdruck im ersten Stock herein; wir begrüßten einander; ich legte meinen Koffer dann auf eines der Sofas in der Dachwohnung und öffnete ihn.
- Windiger, aber freundlich-sonniger Oktobertag mit ein paar wenigen Regentropfen nachmittags.
4.10.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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