11
Dez

Prolog: Texte aus dem Jahr 2000 (7)

Hier stockte ich nun vor einem Monat schon, das Niederschreiben dieser Notizen und generell alles Schreiben war wieder fragwürdig bis zur Lächerlichkeit geworden, und der Grund dafür lag nicht nur in der Überlegung, die sich schon einer Gewißheit näherte – und sie nähert sich noch immer jener an –, ob es nicht völlig unnütz und wegen meiner fast schon sehr feststehenden Überzeugung, daß ich ein unbedeutendes und langweiliges, ja vertanes Leben geführt habe, nahezu albern sei, meine bisherige Lebenszeit durch punktuelle Introspektionen noch aufwerten zu wollen, ihr noch Wichtigkeit darüber zu pudern, einen Sinn herauszufischen, der alles erträglicher werden ließe, sondern eben auch in der, ob man mit solchen Auskünften über sich und solchen Ausführungen auch über die Umstände und Einfassungen, in denen das Leben seinen Raum und seine Zeit gehabt hat, und in denen bewegen sich nun einmal auch die anderen Menschen, mit denen man zu tun bekommen hat und die nicht immer erfreut sind, wenn ihr Anteil an der Innen- und Außenwelt des Reflektierenden öffentlich wird, überhaupt irgendjemanden zu interessieren vermag.

Ich schreibe dennoch, wenn auch mit einer Selbstüberwindung. Aus der sich vielleicht eine Legitimation für das Vorhaben ableiten läßt, denn diese zaghafte Überwindung der Zweifel und der Unlust, vor allem sich selbst Auskunft zu erteilen, sich in den Tiefen der abgelebten Jahre wieder zu begegnen, Launen, Ängsten, Hoffnungen, Illusionen, Versäumnissen, lachhaften Augenblicken, allen diesen Vergeblichkeiten, denen man dann auch, letztlich, so wenig hinterher trauert, so könnte man denken, daß man eines Tages, eines Jahrs sich kaum noch sicher ist, sie als solche einmal empfunden zu haben, aber auch gelungenen Zuständen – die es doch auch gab! – eine Beschreibung oder Schilderung zukommen zu lassen, spräche durchaus davon, doch einen Sinn, und sei er noch so verkümmert, darin zu finden? Die Selbstüberwindung, die sich hier in unregelmäßig wiederkehrenden anstrengenden Übungen in Sätzen zeigen wird, die Geschehenes und das, was nicht geschah, nur gewünscht oder gedacht war, speichern sollen; aus dem Neuronenarchiv geholt als kommunikative Zeichen; Pixel, die auf diesem Interface erscheinen, aufscheinen.

"Im Grunde wissen in den Jahren der Lebensmitte wenig Menschen mehr, wie sie eigentlich zu sich selbst gekommen sind, zu ihren Vergnügungen, ihrer Weltanschauung, ihrer Frau, ihrem Charakter, Beruf und ihren Erfolgen, aber sie haben das Gefühl, daß sich nun nicht mehr viel ändern kann. Es ließe sich sogar behaupten, daß sie betrogen worden seien, denn man kann nirgends einen zureichenden Grund dafür entdecken, daß alles gerade so kam, wie es gekommen ist; es hätte auch anders kommen können; die Ereignisse sind ja zum wenigsten von ihnen selbst ausgegangen, meistens hingen sie von allerhand Umständen ab, von der Laune, dem Leben, dem Tod ganz anderer Menschen, und sind gleichsam bloß im gegebenen Zeitpunkt auf sie zugeeilt." (Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 130/131, Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg, 59.- 62. Tausend Dezember 1969, Dünndruckausgabe)

7./8.10.2000
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Tadellöser - 20. Dez, 13:02

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