19
Dez

19.12.2002

In der Märzmitte von 1984 gab ich meine Kinokammer auf. „Wieso denn, du kannst doch da bleiben!?“, entgegnete A.K. auf diesen Entschluß. Aber ich war so sauer auf den Job, er fiel mir so auf die Nerven, daß ich entschieden hatte, die Räumchen-Episode zu beenden. Thomas half mir, die beiden blauen Sessel – die schon in der Karpfengasse samt dem dazugehörenden langen Sofa gestanden hatten – und Bett, Schreibmaschinentischchen, Stehlampe (mit dem uralten zerschlissenen safrangelben Schirm), Kühlschrank und einen Stuhl hinunter zu tragen und in seinem Auto zu verstauen. In zwei Fuhren erledigten wir das. Die Bücher, die drei Jahre und zweieinhalb Monate auf einem Regal neben dem Bett, unter der Schräge des Daches, aufgereiht gewesen waren, fanden nun auch wieder ihren Platz in der Wohnung. Das auseinander genommene schwere alte Bettgestell kam in den Keller, der von den überflüssigen und in Jahrzehnten von meiner Mutter angesammelten Dingen überquoll. In meinem Zimmer stand ja ein Bett. Das Schlafzimmer und seine Möbel ließ ich unberührt. (Frau H. kümmerte sich im Sommer darum, die Möbelstücke zu verkaufen.) Dieses Zimmer wurde bis zu meinem Auszug am Ende des Augusts nicht benützt. Im Frühjahr setzte ich es durch, daß ich vormittags nicht mehr zur Arbeit – in diesen Stunden ohnehin oft nur ein Zeittotschlagen gewesen war – erscheinen mußte. Es gab deswegen für einige Zeit schlechte Laune auf beiden Seiten, doch die, doch das, war ich ja längst gewöhnt ... Jeden Tag dachte ich daran, wie ich aus dem Job wieder herauskäme, doch meine Schulden, die jetzt wieder einmal angewachsen waren – mit der Ausnahme einiger unbezahlter Rechnungen und der Wohnungseinrichtung hatte meine Mutter mir ja nichts hinterlassen können – , hielten mich vor unbedachten Aktionen zurück. Zwar war ich nun ungebunden und „frei“, mußte auf niemanden mehr Rücksichten nehmen (nur auf den Kater und mich), doch „frei“ und ungebunden war ich eben doch nicht, das herkömmliche Leben – und das sogenannte freie der siebziger Jahre, dessen Folgen die Schulden und somit der Job waren – fesselte mich unerbittlich in diesen Verhältnissen, und ich verfügte auch über keine klaren Vorstellungen – hatte ich je klare Vorstellungen von meinem Leben gehabt? – von einer eventuell anderen Existenzweise, denn daran, daß ich plötzlich „vom Schreiben leben“ hätte können, war gar nicht erst zu denken, und ich hätte mich, denn schließlich kannte ich die Nichtmöglichkeiten, die das Städtchen bot, gut genug, schwer getan, auf einer anderen „Stelle“ zu Lohn und Brot zu kommen. Und auch der Kinobetreiber wußte das natürlich. So rauften wir uns nach den Auseinandersetzungen, die er und ich, aus mancherlei Gründen, die detailliert auszuführen hier der Ort nicht ist, und sie entzündeten sich ja immer nur an Lächerlichkeiten, ausfochten, in einer Lautstärke zuweilen, die ich für meinen Teil während der Monate bei der Bundeswehr erlernt hatte (und ich konnte beachtlich brüllen ...), die unsere Stimmbänder beanspruchten, stets zusammen; er hatte mir in einer schwierigen Situation geholfen und ich fühlte mich dadurch verpflichtet, meine Abmachung einzuhalten und konnte schon aus diesem Grund nicht „fahnenflüchtig“ werden; außerdem mußte ich ja von irgendetwas mein „Kümmerleben“, wie Klaus L. dazu sagte, fristen; und A.K. hatte, alles in allem, in mir einen engagierten und zuverlässigen (und billigen) Angestellten.
- Sonnenwetter.
19.12.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
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