30
Okt

30.10.2002

Ende Oktober, Anfang November ’79 begann die Freundschaft zwischen Klaus Leupolz und mir. Wie so häufig lungerte ich an einem Herbstabend wieder im „Sternchen“ herum, und auch Klaus L. war, aus einem Grund, den ich nie mehr eruieren kann, anwesend. (Diese ersten intensiveren Begegnungen, in denen die Freundschaft sich ankündigte, sind mir unklar, ich kann nicht ganz genau schildern, was wir zueinander sagten, ich kann davon gar nichts mitteilen, ich weiß nichts vom Thema, über das wir, so kann ich aber wenigstens annehmen, ins Gespräch gekommen sind; der Alkohol zerstörte wohl diese Zellen, in denen das gespeichert war, schon in jenen Tagen.) Ich finde auf den fünfeinhalb Din-a-4-Seiten, auf denen ich die mir relevant erschienenen Vorkommnisse des Herbstes und des Winters von 1979 notierte, die, wenn ich genau sein will, ab Mitte Juli ’79 aufgeschrieben wurden, nur die Eintragung „Do., 29.11.: Filmfest (K. Leupolz am Tresen und K.)“, wobei mit „K.“ ich mich selber benannte, die in der Nacht des 29.11. nach den Tagen gemacht wurde, in denen Klaus L. und ich schon miteinander zu tun gehabt hatten, denn die „1. Biberacher Filmfestspiele“ hatten am 29.11. ja schon begonnen, und Adrian Kutter hatte, nachdem Klaus L. in den Wochen, die dem Filmfest vorangegangen waren, seine grafisch-malerische Mitarbeit zu den Vorbereitungen des Filmfestes angeboten hatte, schließlich ihm und mir über den Tresen zugeworfen: „Also, dann setzt euch mal zusammen und überlegt, wie das Plakat aussehen soll!“ Das taten wir. Klaus Leupolz zeichnete ein witzig-skurriles Motiv, das die Lokalität „Biberach“ mit Filmstreifen und Vorführapparaturen verband; das auch für’s Programmheft Verwendung fand. Auch fertigte, doch das geschah nach den Filmtagen, die schon beim ersten Mal von Donnerstag bis Sonntag den damals produzierten deutschen Filmen eine heimelige Ecke in der Bundesrepublik boten, er einen gelben spitzgesichtigen Stern aus Gips an, der dann für Jahre, bis er brüchig geworden war, über der Innenseite der Eingangstür zum „Sternchen“ freundlich lächelnd den breiten Mund verzog. In diesen Vorbereitungen in der Vorfilmfestzeit, zu denen ich nicht mehr als ein paar Anmerkungen und filmspezifische Anregungen beitrug, stellten er und ich recht schnell fest, daß unsere Wellenlängen, die ja jeder, obwohl das wissenschaftlich noch lange nicht erforscht sein wird, ausstrahlt, gut miteinander harmonierten. So begann diese Freundschaft, die nach dem Herbst ’79 sich vertiefte und zweiundzwanzig Jahre hielt, ohne daß wir uns jemals zerstritten hätten. Ein straighter Hetero und ein Homo, und der Altersunterschied betrug einundzwanzig Jahre – sowas war also möglich. Freundschaft war mir stets in allen Jahren viel wichtiger als Sex. Künstlerische Persönlichkeit, Diskussionen über Kunst, Politik, Philosophie, Literatur, Film, der fast alltägliche Austausch von Gedanken, von Erlebnissen, von Freude, Wut, Enttäuschungen, die kommentierende Begleitung zweier Jahrzehnte – das interessierte mich, und wenn es mit denen meiner sexuellen Präferenz, die in der Provinzstadt bis zum Ende der siebziger Jahre nicht zu sehen waren, nicht ging, dann eben mit anderen, die eine andere – für mich ist ja die „normale“ eine „andere“ – Sexualität praktizierten oder auch nicht. Als ich in den Neunzigern eigene Lesungen in der kleinen Stadt veranstaltete, half er mir mehr als einmal, die Plakate zu gestalten; gab Zuspruch und Ermunterung. Er hatte in den Siebzigern kleine Schriften im Eigendruck, hübsch illustriert, verfaßt, die „Das Mauerklopfen an der Kopfenmauer zu Biberach“, „Das Märchen vom Biberacher Bilderbaum“, „Die Klagemauer zu Biberach“ und andere Titel hatten, vom „Biberacher Wunderwasser“ handelten, das unter bestimmten Umständen aus dem Brunnen auf dem Marktplatz, über dem der schildhaltende Steinritter stand und steht, flösse; und in ironisch-sarkastischem Duktus, aus dem der Spott über die „Spätabderiten“, die, wenn sie sich besonders der „Kunst“ zuwandten (und -wenden), gerne daneben langten, ja sich vergriffen, was in Biberach schon seit Wielands Jahren eine unheilvolle traditionsbewußte Regel zu sein scheint, zu hören war (doch auch eine verborgene Sympathie für’s Heimatstädtchen, in dem es auch anders ginge, wenn die Borniertheit nicht wäre), Biberacher Verhältnisse aufgriffen. Die wären es wert, einmal von Biberacher Kulturgeld zu einem Bändchen zusammengefaßt zu werden.
- Ein trübgrauer Tag, mit kurzer Aufhellung am Nachmittag.
30.10.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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