25
Okt

25.10.2002

Als ich im Oktober 1978 meine Filmvorführerkarriere begann, gab es noch eine andere Gelegenheit, ein paar Kröten in meine Taschen wandern zu lassen. An einem späten Abend im „Sternchen“ sagten Elian und ihr Lebensabschnittspartner – dieser Begriff war damals noch nicht üblich – Gerd M., der in seinen Vierzigern stand, bei einem Glas Rotwein zu mir, sie hätten vielleicht Verwendung für mich, sie wollten mir helfen. „Was habt ihr für mich?“, fragte ich mißtrauisch. „Nachricht von S... ?“ S. war der ehemalige Vermieter der „Karga“ und M.s Vetter, die beiden machten Geschäfte miteinander. „Wir wollen dir helfen“, sagte Gerd M., „wir hätten einen kleinen Job für dich.“ „Und was?“, war meine Frage. „Wir könnten dich für’s Büro brauchen“, sagte Elian. Sie hatten in Bellamont auf einem der vielen oberschwäbischen Hügel, zu dem ein Teil des Dorfes dieses Namens – „Schöner Berg“; man sieht daran, daß Franzosen immer wieder einmal im Lande waren – ansteigt, etwa fünfzehn Kilometer südöstlich von der Kreisstadt, ein Baugeschäft, das sich auf Schornsteinsanierungen spezialisiert hatte, und seine Monteure durch ganz Oberschwaben schickte. M. und Elian F.-M., wie nun ihr Name lautete, hatten sich manchmal persönlich zu Verhandlungen zu begeben, so wurde – Anrufbeantworter und Handies gab es noch nicht – untertags der Telefonhörer nicht abgehoben. Auch waren Korrespondenzen und Listen zu bearbeiten; alles Gründe, die mich im Oktober eines Vormittags gegen neun Uhr mit einem Bus, der die Ortschaften auf dieser Landseite abklapperte, nach Bellamont brachten. So sah ich mir diese Strecke durch den Landkreis, die mir bislang fremd geblieben war, an. An Endmoränen und Rißeiszeit dachte ich damals nicht – nicht mehr; das war Unterrichtsstoff in der Realschule gewesen. Im weißen Mantel stieg ich, der Tag war herbstlich blau und braun gefärbt, aus dem Bus, wanderte die ansteigende Straße zum Haus der M.s hinauf, das oben auf der Anhöhe stand, klingelte und wurde eingelassen. Die schwarze Dogge Donna, die mir und anderen bis zur Hüfte reichte, kannte mich schon. Ich hatte keine Angst vor Hunden, und ein Biß ihrer mächtigen Kiefer in mein zartes Beinfleisch wäre mir auch ungelegen gekommen. Sie war ein liebes Tier und schnaufte leise vor sich hin, wenn sie in dem nicht großen Bürozimmer, in dem ich telefonierte, Werbetexte an der Schreibmaschine tippte oder Listen führte, Briefe beantwortete, die einer der beiden M.s am Abend, wenn sie zurück waren, unterschrieb, schlief oder mich auf dem Gang in den Keller, wo die Bier- und Sektkästen standen, aus denen ich mich während der Arbeitszeit bedienen durfte, natürlich nicht bis zum Stadium der Volltrunkenheit, begleitete. Wenn sie sich an mich drückte, spürte ich die Stärke dieses Tiers. Es war ein angenehmer Job für jemanden, der außer Lesen und Schreiben nichts gelernt hatte. Nach siebzehn Uhr trudelten die Monteure ein, lieferten ihre Auftragsbögen und Rechnungen ab, die Firmeninhaber waren dann schon da oder auch nicht, ich plauderte mit den kräftigen Monteuren, trank ein Bier mit ihnen; wir warteten nicht nur einmal, bis Chef und Chefin ins Haus traten. So ging das bis in den Dezember hinein. In der Regel fuhr ich abends, die Dämmerung überm Land wurde zur abendlichen Dunkelheit, mit einem Bus – er war fast leer, in ihm war es warm, die Sonne sank hinter blutroten Wolken, ich geriet in eine träumerische Stimmung – nach Biberach zurück und dort vom Marktplatz mit dem Stadtbus zum Hühnerfeld, doch wenn sich die Möglichkeit bot, auch mit einem der Monteure in dessen Auto. In der Stadt kaufte mich mir alle drei Tage in einem Supermarkt am Marktplatz Wein und Whisky ein, daheim braute ich mir einen starken Kaffee, in den kam Straight Bourbon Whiskey hinein. Oder ich ging, der Landbus war angekommen, direkt ins Kino, an den Abenden, in denen ich mit Vorführen dran war. Das dauerte dann bis etwa elf Uhr nachts, danach war gemütliches Beisammensein an der Theke des „Sternchens“; oder an einer anderen. Im Januar 1979, wenn ich es richtig im Kopf habe, bestand kein Bedarf mehr an meinen Papierarbeiten, die kurzen Busreisen nach Bellamont – viele Schüler fuhren in die einzelnen Dörfer, und oft, denn bald brach ich, weil es so viel Papierkram nicht gab, erst in der beginnenden Mittagszeit auf, beobachtete ich einen gut aussehenden Jungen, der sich mit den Schulfreunden unterhielt und immer an seiner Bushaltestelle entschwand – hörten auf, was mir gar nicht unlieb war, wegen der Langeweile, die sich auf dem Bellamonter Hügel, umgeben vom Schnee, oft genug breitgemacht hatte. Ich verlor dann auch die M.s ein wenig aus den Augen.
- Mal grau, dann sonnig. Wind. Regen später.
25.10.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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