19
Sep

19.9.2002

Eines Nachmittags im Juli oder August 1975 saß ich mit Elian im „Pflug“, und sie hatte einen jungen Mann mit langen rotblonden Haaren, der Brille trug, mitgebracht, den sie aus Juso-Kreisen, zu denen sie noch sporadische Verbindungen pflegte, kannte und den ich zum ersten Mal wahrnahm. Sein Name war Oswald Metzger; er kam aus Bad Schussenried, einer noch kleineren Klein- und Kurstadt etwa zwanzig Kilometer südlich von Biberach, und er wirkte auf mich zunächst ein wenig schüchtern. Wir redeten über linke Politik und er war mir nicht links genug. Die Juso-Positionen, die er vertrat, waren mir sattsam bekannt, und mir schien zudem, daß er sie nicht mit ganzer Überzeugung vertrat. Rasch verlor ich während des Gesprächs das Interesse, wurde gleichgültig, was Elian wortlos bedauerte, und der Juso-Schüler – M. hatte in jenem Sommer sein Abitur abgelegt – ging dann. Es mag wohl auch so gewesen sein, daß ich an diesem sonnenhellen Nachmittag im kühlen Gastraum auch wenig Lust an Unterhaltungen politischer Art hatte; eine der ersten Andeutungen der Distanzierung, die ich nicht viel später, im Herbst, vollziehen sollte. Oder traf ich Metzger 1974? Erst 1977 hörte ich wieder von ihm. In seiner Heimatstadt Bad S. gab er den durchaus beachteten „Motzer“ heraus, ein linksalternatives, in Eigenproduktion hergestelltes Blättchen, in dem er und andere – von den Jusos hatte er sich inzwischen verabschiedet – Artikel veröffentlichten, die den lokalen CDU-Leuten und der Stadtverwaltung, und auch der Landkreisverwaltung, gar nicht schmeckten, aber manchmal Wirkung dergestalt zeigten, daß benannte Mißstände und Unsinnigkeiten allmählich ins Bewußtsein der Bürgerschaft und der Gemeindeverwaltung rückten. An manchen Abenden im Frühjahr 1977 trat Ralph H. in mein Zimmer in der Karpfengasse freudig aufgeregt herein – ich hatte ihm eine Kammer im obersten Stock überlassen – und berichtete mir von der eben im Nachbarstädtchen beendeten Redaktionssitzung zur Herstellung der neuesten Ausgabe des „Motzers“, in der wieder eine seiner Politcomic-Zeichnungen zu sehen wären. Ich hatte in den Monaten davor vom „Motzer“ schon gehört und gelesen, in der „Schwäbischen Zeitung“, daß dieser Metzger eine aktive Figur im politischen Leben der Region geworden war, und korrigierte meine Einschätzung vom Jahr 1975 (oder 1974) nach oben. Wirklich interessiert war ich an diesen Aktivitäten nicht mehr, zeigte mich Ralph gegenüber aber wegen der Aufschreckung CDU-schwäbischer Landschaften und der angriffslustigen Verve, die Metzger an den Tag legte, wohlwollend erfreut. Das Blättchen hielt ein paar Jahre durch, und als es einging, saß M. im Gemeinderat der Kur- und Badestadt und schickte sich an, in den Landkreisrat gewählt zu werden, was einige Zeit danach geschah. Die „Grünen“ waren in Mode gekommen und hatten noch einiges vom ideologischen Material der linken „Bewegungen“ der Siebziger geerbt, und O.M. war jetzt Sprecher einer lokalen „Alternativen Liste“, die später meines Wissens in der Partei der Grünen aufging. Zu Beginn ihrer Existenz, 1981 oder 1982, wählte auch ich einmal „grün“, aber das ließ ich dann wieder bleiben und zog es prinzipiell vor, meine Wahlstimme zu behalten und nicht mit der Zeichnung des Analphabetenkreuzchens herzugeben. Die Partei der „Grünen“, das Sammelbecken für rechte Naturfreaks und halbuntergegangene K-Gruppen-Angehörige, Alt-Apo-Figuren und Spontaneisten wie Joseph Fischer, Ökologen und aufstrebende Karrieristen, die doch noch zu etwas kommen wollten, machte in der bundesrepublikanischen Politlandschaft Karriere, und O.M. auch. Nach dem vergeblichen Versuch, den Bürgermeistersessel von Bad S. zu erklimmen, wandte der früher Langhaar-Rotblonde sich, nach einem Intermezzo in Stuttgart als Geschäftsführer der Kommunalpolitischen Vereinigung, der Bundespolitik zu. Im „Sternchen“ standen er und ein paar andere seiner politischen Freunde zu Beginn der neunziger Jahre nach einem Filmabend an der Theke und ich, von einer meiner Launen beherrscht, gab ihnen eine Runde Wein aus. Tage danach war er in der Biberacher Innenstadt auf Stimmenfang zu einer Bundestagswahl. „Aber auch die Zweitstimme geben, die ist die wichtige!“, mahnte er mich, als sei ich ein politischer Laie. Leider hatte ich damals den Fehler begangen, ihn zu wählen. So genau wußte man auch noch nicht, was „Ossi“ zu treiben beabsichtigte. Er entpuppte sich als einer der neoliberalen „Realos“, dessen Auftritte im Zeichen des Sparwahns einer „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ immer gut gefielen. Und in zwei Tagen ist seine Laufbahn als Bundestagsabgeordneter – mit dem Faible für bundesdeutsche „Ordnungspolitik“ und schwarzgrünen Optionen – ja auch wieder beendet. Abserviert von den eigenen Leuten. Er kann sich nun stärker für die Aufgaben der Rüstungsindustrie engagieren.
- Vormittags grau, nachmittags drang das Sonnenlicht durch, die Wolkendecke verteilte sich, schönes Frühherbstwetter. Mittags sogar warm.
Eines Nachmittags im Juli oder August 1975 saß ich mit Elian im „Pflug“, und sie hatte einen jungen Mann mit langen rotblonden Haaren, der Brille trug, mitgebracht, den sie aus Juso-Kreisen, zu denen sie noch sporadische Verbindungen pflegte, kannte und den ich zum ersten Mal wahrnahm. Sein Name war Oswald Metzger; er kam aus Bad Schussenried, einer noch kleineren Klein- und Kurstadt etwa zwanzig Kilometer südlich von Biberach, und er wirkte auf mich zunächst ein wenig schüchtern. Wir redeten über linke Politik und er war mir nicht links genug. Die Juso-Positionen, die er vertrat, waren mir sattsam bekannt, und mir schien zudem, daß er sie nicht mit ganzer Überzeugung vertrat. Rasch verlor ich während des Gesprächs das Interesse, wurde gleichgültig, was Elian wortlos bedauerte, und der Juso-Schüler – M. hatte in jenem Sommer sein Abitur abgelegt – ging dann. Es mag wohl auch so gewesen sein, daß ich an diesem sonnenhellen Nachmittag im kühlen Gastraum auch wenig Lust an Unterhaltungen politischer Art hatte; eine der ersten Andeutungen der Distanzierung, die ich nicht viel später, im Herbst, vollziehen sollte. Oder traf ich Metzger 1974? Erst 1977 hörte ich wieder von ihm. In seiner Heimatstadt Bad S. gab er den durchaus beachteten „Motzer“ heraus, ein linksalternatives, in Eigenproduktion hergestelltes Blättchen, in dem er und andere – von den Jusos hatte er sich inzwischen verabschiedet – Artikel veröffentlichten, die den lokalen CDU-Leuten und der Stadtverwaltung, und auch der Landkreisverwaltung, gar nicht schmeckten, aber manchmal Wirkung dergestalt zeigten, daß benannte Mißstände und Unsinnigkeiten allmählich ins Bewußtsein der Bürgerschaft und der Gemeindeverwaltung rückten. An manchen Abenden im Frühjahr 1977 trat Ralph H. in mein Zimmer in der Karpfengasse freudig aufgeregt herein – ich hatte ihm eine Kammer im obersten Stock überlassen – und berichtete mir von der eben im Nachbarstädtchen beendeten Redaktionssitzung zur Herstellung der neuesten Ausgabe des „Motzers“, in der wieder eine seiner Politcomic-Zeichnungen zu sehen wären. Ich hatte in den Monaten davor vom „Motzer“ schon gehört und gelesen, in der „Schwäbischen Zeitung“, daß dieser Metzger eine aktive Figur im politischen Leben der Region geworden war, und korrigierte meine Einschätzung vom Jahr 1975 (oder 1974) nach oben. Wirklich interessiert war ich an diesen Aktivitäten nicht mehr, zeigte mich Ralph gegenüber aber wegen der Aufschreckung CDU-schwäbischer Landschaften und der angriffslustigen Verve, die Metzger an den Tag legte, wohlwollend erfreut. Das Blättchen hielt ein paar Jahre durch, und als es einging, saß M. im Gemeinderat der Kur- und Badestadt und schickte sich an, in den Landkreisrat gewählt zu werden, was einige Zeit danach geschah. Die „Grünen“ waren in Mode gekommen und hatten noch einiges vom ideologischen Material der linken „Bewegungen“ der Siebziger geerbt, und O.M. war jetzt Sprecher einer lokalen „Alternativen Liste“, die später meines Wissens in der Partei der Grünen aufging. Zu Beginn ihrer Existenz, 1981 oder 1982, wählte auch ich einmal „grün“, aber das ließ ich dann wieder bleiben und zog es prinzipiell vor, meine Wahlstimme zu behalten und nicht mit der Zeichnung des Analphabetenkreuzchens herzugeben. Die Partei der „Grünen“, das Sammelbecken für rechte Naturfreaks und halbuntergegangene K-Gruppen-Angehörige, Alt-Apo-Figuren und Spontaneisten wie Joseph Fischer, Ökologen und aufstrebende Karrieristen, die doch noch zu etwas kommen wollten, machte in der bundesrepublikanischen Politlandschaft Karriere, und O.M. auch. Nach dem vergeblichen Versuch, den Bürgermeistersessel von Bad S. zu erklimmen, wandte der früher Langhaar-Rotblonde sich, nach einem Intermezzo in Stuttgart als Geschäftsführer der Kommunalpolitischen Vereinigung, der Bundespolitik zu. Im „Sternchen“ standen er und ein paar andere seiner politischen Freunde zu Beginn der neunziger Jahre nach einem Filmabend an der Theke und ich, von einer meiner Launen beherrscht, gab ihnen eine Runde Wein aus. Tage danach war er in der Biberacher Innenstadt auf Stimmenfang zu einer Bundestagswahl. „Aber auch die Zweitstimme geben, die ist die wichtige!“, mahnte er mich, als sei ich ein politischer Laie. Leider hatte ich damals den Fehler begangen, ihn zu wählen. So genau wußte man auch noch nicht, was „Ossi“ zu treiben beabsichtigte. Er entpuppte sich als einer der neoliberalen „Realos“, dessen Auftritte im Zeichen des Sparwahns einer „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ immer gut gefielen. Und in zwei Tagen ist seine Laufbahn als Bundestagsabgeordneter – mit dem Faible für bundesdeutsche „Ordnungspolitik“ und schwarzgrünen Optionen – ja auch wieder beendet. Abserviert von den eigenen Leuten. Er kann sich nun stärker für die Aufgaben der Rüstungsindustrie engagieren.
- Vormittags grau, nachmittags drang das Sonnenlicht durch, die Wolkendecke verteilte sich, schönes Frühherbstwetter. Mittags sogar warm.
19.9.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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