14.9.2002
In jener Zeit, in der das geschah und in der es mir ein heimliches Vergnügen war, mit H. in der Spielhalle eine Mittags- oder Nachmittagsstunde zu verflippern, verlief mein Weg zurück zur Lindelestraße fast jeden Tag vom Marktplatz über den westlichen Teil des Weberbergs und von ihm eine steinerne Treppe hinauf unter die dicken Zinnen, die, von unten betrachtet, dem damals grauen Weißen Turm vorgelagert erschienen, und unterhalb der Zinnen kommt man durch ein Tor in dem von oben nach unten sich erstreckenden Teil der Stadtmauer auf einen schmalen Weg, der in scharfer Serpentinenlinie zwischen duftenden Büschen und Blumen hinauf auf die Höhe führt, vorbei an den Zinnen, die sich vor dem Eingang zum Weißen Turm, einer massiven, von einem ebensolchen Vorhängeschloß gesicherten Holztür (durch die, wie mir ein Jahrzehnt früher schon bekannt gewesen war, die katholischen Pfadfinder vom Stamme des Hl. Georg ein- und ausgegangen waren) als die Mauerbegrenzung des Vorplatzes des Turms darstellen, wo der Blick zum alten Stadtgarten und über die Theaterstraße zur Kolpingstraße und zum Hand des nördlichen Mittelbergs schweifen konnte, und ganz oben auf dieser „Schillerhöhe“ genannten Aussichtsstelle verharrte ich dann manchmal in meinem Gang und sah über die Altstadt , über die vielen karmensinroten Biberschwanzdächer, zwischen denen die Türme der Stadtpfarrkirche und des Ulmer Tors und etwas weiter Richtung Südosten das Wohnhochhaus der Firma Liebherr und das der Firmenleitung ein Stückchen zur Seite hin aufragen; im Tal hat Biberach nur diese hohen Gebäude; oder man könnte noch den in den sechziger Jahren entstandenen lang gestreckten Betonbau des Landratsamts dazu zählen, der aber nicht als Hochhaus, sondern nur als höheres Verwaltungsgebäude zu bezeichnen wäre. Zweifellos ein Maler-Szenarium, wie die Häuser sich unten drängen, Häuser, deren Fassaden mir seit vielen Jahren vertraut waren, Häuser darunter, da drunten, in die ich oft, in dieses da und in das dort, ging, oder Häuser, die ich, wenn sie Behörden oder Geschäfte in sich hatten, in die ich nur sporadisch eintrat, wie zum Beispiel das Amtsgericht oder das Finanzamt oder ein von mir nicht frequentiertes Lokal, lange Zeit nur von ihrem äußeren Erscheinungsbild gekannt hatte, bis ich eines Tages doch Anlaß hatte, gehabt hatte, sie zu betreten. Ich war mit den innenstädtischen Gebäude- und Straßenlagen auf geradezu natürliche Weise so vertraut, daß ich viele Dächer oder sichtbare Häuserfassaden und Häuserteile auch von oben zu identifizieren imstande war; „da ist der Strauß, dort die Stadtbücherei, das Museum (sowieso unübersehbar), das Lokal ...“; usw. Ich verleugne nicht, beim Blick auf diese schöne Dächerlandschaft und die gewußten Straßen dazwischen immer so etwas wie ein Heimatempfinden in mir aufsteigen gefühlt zu haben. Gleichzeitig war die Enge, in der sich unten die Stadttopographie drängte, mir oft ein Ärgernis gewesen und ein Hinweis auf die nicht allzu große Weite, die sich dort in manchem Kopf in diesen Häusern – erstrecken durfte, darf man nun eigentlich nicht schreiben. Hätte ich nicht gewußt, daß Biberach nicht nur an der Riß und am Stadtbach (der noch zuasphaltiert war) und am Ratzengraben entlang und in den Flächen dazwischen stand, sondern über die umliegenden Hügel auch noch sich ausbreitete, ich hätte mich gerieren können als ein allzu spät gekommener spätromantischer Poet, der auf dieser Anhöhe – die freilich eher klassisch-idealistischen Charakter hat, eingedenk des schwäbischen Genius‘, dessen metallenes Relief hinter mir über dem Durchgangstor in der Stadtmauer mich beobachtete – womöglich noch in die Stimmung zum Versemachen hineingeraten wäre. Biberachia dieser Art gibt es ja. Ich konnte mich im „Strauß“-Poem dennoch nicht enthalten, diese „Blickstimmung“ zu erwähnen. Zweifelsfrei ist dieser Ort einer der lyrischsten, den „Riß-Athen“, wie sich die ehemals als Oberamtsstadt firmierende Ansammlung von Gebäuden und Menschen aus stolz-bürgerlichem Mund titulieren ließ und läßt, einem empfindsamen Gemüt anzubieten hat; und er wäre, mit seinen beiden hohen Türmen – Weißer Turm, Gigelbergturm – und dem historischen Gemäuer, das sie verbindet, ihre Akropolis gar?
- Vormittags sonnig, nachmittags zogen rasch graue Wolken auf, aus denen der Regen fiel, bis es Abend wurde; oder nicht einmal ganz so lange. Kühler geworden.
14.9.2002
- Vormittags sonnig, nachmittags zogen rasch graue Wolken auf, aus denen der Regen fiel, bis es Abend wurde; oder nicht einmal ganz so lange. Kühler geworden.
14.9.2002
14.09.