13.9.2002
Einige Male in dieser kommunistisch inspirierten Zeit trafen wir von der SDAJ- und DKP-Gruppe zu Wochenendsitzungen in der Wohnung von Hans-Bernd. S. in einem Neubau in Reute, einem Flecken zwei Kilometer westlich von Biberach, in einer Mulde gelegen, zu der aus der Stadt eine verschlängelte Landstraße zwischen den Feldern hinausführt, zusammen. H.-P. war, bevor er sich unserer Gruppe angeschlossen hatte, bei den „Naturfreunden“ Mitglied gewesen und war es nach wie vor; eingetreten in diese Organisation in seiner Heimatstadt G, die sich zwischen Bergkämmen der Schwäbischen Alb erstreckt (in der ich als Knabe mit meiner Mutter zweimal in den Sommerferien bei einer Bekannten meiner Mutter aus dem religiösen Umfeld für zwei Wochen mich aufgehalten hatte). Er war ein netter hübscher junger Mann, jünger als ich, mit langen Haaren, lebhaft im Verhalten und selbstbewußt, dem anderen Geschlecht zugetan. Leider, wie ich ab und zu dachte. An Samstagen, die mir, mit einer Ausnahme, als sonnige Tage im Frühjahr oder Sommer oder Spätsommer im Gedächtnis scheinen, hielten wir sechs, sieben Leute uns in seinen Räumen auf, diskutierten über ein Thema, das ausführlich als an den abendlichen wöchentlichen oder zweiwöchentlichen Sitzungen in den Nebenzimmern diverser Gaststätten – im „Grünen Baum“ in der engen Schulstraße mit seinem stockkonservativen Publikum beispielsweise oder im „Schwarzen Adler“ (der im Jahrzehnt danach zum „Tweety“, einer Jugendkneipe, wurde), im aufragenden „Gasthaus zum Biber“ am Fuß des Gigelbergabhangs vor den „Biberstäffele“ (einer steilen Treppe hinauf zum Gigele), die im Besitz der „Brauerei Zum Biber“ am Weberberg war – besprochen werden konnte, und wenigstens einmal fuhr ich auf dem Soziussitz des urig-alten Motorrads, mit dem „Kiki“ G. durch Biberach und die Landschaften drum herum brauste, die Hände hinter mir ins Gestänge des Gepäckträgers verkrallt, hinüber in das Dörfchen; die langen Haaren flatterten im Fahrtwind. Wir tranken bei diesen Zusammenkünften in der Regel Bier; ein Kasten wurde herangeschafft, der wurde geleert. Manchmal stand auch eine Flasche Wein auf dem Tisch, um den wir uns versammelten, um die neuesten politischen Ereignisse und Entwicklungen – im Sinn des SDAJ- und des DKP-Vorstandes – zu diskutieren und zu überlegen, wie sie in „konkrete politische Aktionen und bewußtseinsbildende Maßnahmen umgesetzt“ werden konnten; oder einer von uns hielt ein „vertiefendes“ Referat zu einem bekannten Thema, anschließend wurde darüber diskutiert. Es gab auch etwas zu essen; einmal kochte Dieter H., der damals um die fünfunddreißig Jahre alt war und aus Ulm kam, in Biberach zur Arbeit ging, ein linker Gewerkschafter, in den fünfziger Jahren Ostermarschierer, der nicht unseren Organisationen angehörte, aber, trotz ihm wichtiger „inhaltlicher Differenzen“, uns freundschaftlich verbunden war, seine berühmte mexikanische Bohnensuppe, die wir abends – die Unterlagen, Bücher, Papiere, Stifte, Zeitungen, darunter natürlich die „UZ“, das Zentralorgan der DKP, und die Zeitschrift „elan“, die die SDAJ herausgab, waren zur Seite geräumt – uns aus einem großen Topf in die Teller schöpften und mit Weißbrot dazu genüßlich verzehrten. Wir lobten den Koch für diesen politischen Eintopf, der scharf und rot und lecker schmeckte; das Bier – oft „Alpirsbacher Klosterbräu“ – netzte die gereizten Kehlen vortrefflich. Der mexikanische Bohneneintopf mit viel roten Pepperoni darin evozierte auch eine sinnliche Erinnerung: daran, daß so mancher kommunistische Exilant während der Naziherrschaft Aufnahme am Popacatepetl gefunden hatte; darunter Trotzki, dessen „Permanente Revolution“ zumindest ich gelesen hatte, der freilich in einer orthodox-kommunistischen Organisation sehr suspekt, wenn nicht gleich streng verboten war, und wie es angeblichen „trotzkistischen Abweichlern“ in der UdSSR und in der DDR ergangen war, wußten wir; und wir hielten es für grundfalsch. Anders als in den K-Gruppen Usus verurteilten wir den Stalinismus, wir hielten Dschugaschwili für einen Totengräber der sozialistischen Ideen. Uns schwebte ja immer ein freiheitlicher Sozialismus vor, so manches an der DKP belächelten wir nur und fanden es durchaus kontra-produktiv. Den alten Stalinisten, die, aus der KPD-Zeit gekommen 1968 die DKP aufgebaut hatten, nun in der Parteiführung saßen, standen wir insgeheim distanziert gegenüber, äußerten das jedoch nicht in der Öffentlichkeit. Stalin verabscheuten wir, und daß Mercator, einer seiner Agenten, Trotzki den Eispickel in den Kopf gebohrt hatte, gefiel uns auch nicht. Sowieso waren wir gar nicht so verbohrt.
- Sommerlich warm, nicht mehr so drückend heiß. Kondensstreifen und Zirrhusschleier und Haufenwolken über der steinernen Stadt.
13.9.2002
- Sommerlich warm, nicht mehr so drückend heiß. Kondensstreifen und Zirrhusschleier und Haufenwolken über der steinernen Stadt.
13.9.2002
13.09.