24
Aug

24.8.2002

Mein Vater sprach im Sommer 1976 von seinem Schäferhund, den er sich nicht ins Haus, sondern auf’s Anwesen in einen Hundezwinger geholt hatte, und davon, wie er ihn im Schäferhund-Verein dressierte. Denn den gab es auch und den gibt es nach wie vor, wie ich auf meinem Spaziergang, den ich am 30. Juni dieses Jahres vom „Café Kolesch“ an der Gymnasiumstraße mittags über die Wieland-, die Mond-, Garten-, die Lindelestraße hinauf zum Lindele, zu dessen höchstem Punkt, und auf anderen Wegen, auf seinem Kamm hinab zum Krummen Weg lustwandelnd unternahm, feststellte, denn in dem Waldstückchen, das an dieser Seite des Lindeles, an dessen Westseite, eine kleine schattige Zone bildet, durch die ein enger Pfad dem Spaziergänger einen Weg bietet, liegt eine Kiesgrube – die ich wieder entdeckte, in der Tilmann F., seine Schwester, andere Knaben und ich vor vierzig Jahren herumkletterten, von deren oberem Rand wir mutig hinabkletterten – , die nun ganz von Bäumen umstellt ist und die in den zurückliegenden Jahrzehnten ein Bestandteil des Wäldchens wurde, das sie in einen düsteren Ort verwandelte, und in ihr stehen eine Hütte, Balkenwände für die Hundedressur, eine Absperrung, dahinter liegt eine Hundebahn ähnlich der Sprintbahnen für die Spezies Homo s. auf Sportplätzen, und ein Schild, auf dem der Hundesportverein – in dem vermutlich auch andere Hunde neben der Rasse der Schäferhunde abgerichtet werden – auf sich aufmerksam macht, auf dem der hinlänglich bekannte Satz zu lesen ist, Unbefugten sei der Zutritt nicht gestattet. Ich habe nichts gegen Hunde; das war, als ich im Garten des Hauses F., das vor der Kiesgrube, vor dem Wäldchen, steht, und ich sah, als ich weiterging, auch diesen Namen noch auf dem Schildchen am Tor zum Garten, mit T. mit Steckendegen focht, anders gewesen. In der Alpenstraße hatte mich ein Hund, den ich streicheln wollte, gebissen, und danach mied ich es, durch die Alpenstraße, in der ich übrigens auch ein paar Mal das Haus des Musiklehrers und -direktors Knörrlein betrat, zu gehen, und als ich zu jener Zeit nachmittags bei F.s war, bat ich doch einmal den Vater von Tillmann, mich nachhause zu fahren, weil ich befürchtete, dem Hund zu begegnen. Aber dieser Respekt vor Hunden verschwand dann irgendwann in jenem Alter. (Vor Agathe, der Collie-Hündin von Manfred S., allerdings war ich viele Jahre später in der Karpfengasse auf der Hut; sie hatte die unangenehme Eigenschaft des Wadenkneifens an sich, wenn man nicht aufpaßte. „Gathe, laß das!“, war ein Sätzchen, das ich hin und wieder aussprechen mußte, wenn ich bei Manfred in seiner Bude hockte oder mit ihm und dem Hund in der Stadt unterwegs war.) Und als die Freundschaft mit T. versiegte, wurden auch die Gänge hinauf zu den oberen Straßen des Lindeles weniger. Mein Erzeuger hatte also von seinem Hund geredet, ich von meinem – tierischen – Kater, den Elian mir im Juni 1976 ins Karpfengassenzimmer getragen hatte: ein kleines schnelles Langhaarbündel mit großen grünen Augen, das sofort zu mir unter die Bettdecke gekrochen war, denn ich hatte natürlich noch im Bett gelegen, als Elian hereingekommen war. (Ich wechsle ins Imperfekt.) Das Katerchen war wenige Wochen alt und stammte von einem Bauernhof südlich von Biberach, auf dem E. sich vielleicht nach alten Möbeln umgesehen hatte. Da ich ihr einmal gesagt hatte, ich fände Katzen interessanter als Hunde (sie besaß die Dogge Donna, ein schwarzes Tier, das mir bis zur Hüfte reichte, schon), hatte sie den kleinen Kater ziemlich spontan vom Bauernhof zu mir gebracht. Nun hatte ich Verantwortung für das Tier. Ich kaufte eine Plastikschüssel mit niedrigem Rand, sie wurde das Katzenklo, „Whiskas“-Futter und Katzenstreu und stellte auch ein Schüsselchen mit frischem Wasser neben den Teller mit dem Futter in eine Ecke des Zimmers. Ab diesem Tag roch es nach Katze bei mir. Ich taufte den Kater in den Tagen danach auf den Namen „Holden Panama Johnson“, nach dem Haupthelden eines meiner Westernromane, dem, der in all den Jahren bei mir liegen geblieben ist. „Holden“ kam vom amerikanischen Schauspieler William Holden, der in Sam Peckinpahs Films „The Wild Bunch“ den Boß einer Banditentruppe verkörpert. Sabine R. und Herbert K. nannten Panama stets nur „Holden“. Panama wurde mein Lebensgefährte. Es stellte sich heraus, während er zu einem veritablen Halbangora-Kater heranwuchs, daß er klug war und einen guten Charakter hatte. Fast immer in jenem Sommer ließ ich das Fenster zum Blechbalkon hin offen, um ihm das Gehen und Kommen zu ermöglichen; die Gangtür zum Balkon war fast nie geschlossen. Er wetzte, wenn ihm nach Ausflug war, dann den Flur des ersten Stockwerks entlang, die Treppe hinunter, auf dem Flur des Erdgeschosses nach hinten ins Haus, kratzte dort elegant die Kurve, sauste die Kellertreppe hinab, durch einen Raum im Keller, dessen Fenster nur von einem Gitter und keinem Glas gesichert war, und quetschte sich durch dieses Fenster nach draußen auf den schmalen Gehweg, flitzte zu Katerabenteuern davon, von denen ich nie erfuhr, von denen er ein paar Mal aber kleinere Wunden, die glücklicherweise nicht so gravierend waren, daß ein Tierarzt besucht werden mußte, davontrug.
- Heiß etc.
24.8.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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