20
Aug

20.8.2002

In der warmen Jahreszeit der mitt- und endsechziger Jahre hatte ich auch Gartenarbeiten um das Lindelehaus herum zu erledigen. Ungern führte ich sie aus, wie man sich denken kann. Ich grub vor dem Rasenstück, das uns zur Verfügung lag und etwas weniger Grundfläche als dieses Zimmer, in dem ich sitze, hatte, und die Ortsbestimmung „vor“ meint den Teil unseres Gartenstücks, der, es handelte sich eh nur um wenige Quadratmeter, unmittelbar am unteren Zaun entlang des Bürgersteigs neben der Gartenstraße verunkrautet war; und außerdem grub ich dann im Gestrüpp der Himbeersträucher herum, die sich dort ausrankten, mit süßen Beeren an ihren dünnen Zweigen, dornigen Fingerchen gleich, die sich einem unerreichbaren Himmmel entgegenreckten. Welchem Zweck sollte dies Umgraben dienen außer dem, daß ich eines Tages, heute, über das Gefühl zu schreiben hatte, einen Spasten in den nicht dafür geeigneten Händen gehalten und mit ihm mit Fußtritten in dafür nicht vorgesehenen Schuhen die alleroberste Erdkruste geritzt zu haben? Denn die umgegrabenen Fleckchen Erde ließ ich danach, und anderes geschah nicht, eben auf der anderen, umgestülpten Seite vom Unkraut durchwuchern. Doch erkannte ich nach diesen nur sehr, sehr seltenen, womöglich auch zur zweimal stattgefundenen Grabungen eine sich andeutende Regung von Selbstzufriedenheit im Busen, die sich an der Bestätigung, notfalls auch zu solcher Arbeit ein Verhältnis zu finden, das, soviel stand jedoch fest, allerdings kein tiefes sein konnte, ergötzte; wenn der Schweiß zu sehr im Nacken juckte, hatte dieses Verhältnis schon zu lange gedauert. Ich sprengte lieber mit einem Gartenschlauch die beblümten Rabatten, die Beetezeile, die vor der Südseite des Hauses sommers nach Naßem lechzte, jätete – unbequem auch dies wegen des ständigen Bückens, das einem untrainierten Rücken nicht gut tun konnte – die Beete aus, auch die, auf denen die Tomatenstauden standen, auch Lianen sich an ihren umbra-sandfarbenen hohen Stangen emporwanden, an denen dann zur Erntezeit hingestanden wurde, um die langschotigen grünen Bohnen abzupflücken. Unmittelbar daneben stand der Baum mit den blauen Pflaumen; da nur ein Pflaumenbaum im ganzen Garten, östlich zwischen Haus und Zaun an der Grenze zum B.schen Anwesen stand, teilten sich beide Mietparteien die Ausbeute an seinen Früchten. Die ergab für uns im oberen Stockwerk immerhin so viel, daß meine Mutter in den ersten Jahren der sechziger Dekade, als sie noch „einweckte“, wie der Schwabe sagt, und ich gebrauche nun eben den schwäbischen Ausdruck, weil mir der schlesische entfallen ist, mehrere Gläser mit Pflaumen in unseren dunklen Keller stellen konnte. In fast allen Sommern drückte ich mich zwischen die Johannisbeersträuche, die von der nördlichen zur südlichen Ostseite des Gartens hinab seit Jahrzehnten wohl schon wuchsen und deren sattes Blättergrün von hellroten Beerenrispen durchsprenkelt war. Die langen Rispen rupfte ich in wachsender Ungeduld ab, je länger ich zwischen den Sträuchern, von ihren Zweigen auf naturhafte Weise sanft bedrängt, mit dem an einer dickeren Schnur vor dem Bauch hängenden Eimerchen, stand; die Beeren, die ich mit den Fingern oft schon von der Rispe abstreifte, kullerten in das Plastikeimerchen. Mehrmals in solchen Vormittagen (nachmittags wäre mir die Hitze zu lästig geworden), und das kann ja nur bedeuten, daß dies in den Sommerferien geschah, befreite ich mich aus der etwas zudringlichen Umklammerung der Sträucher und leerte das Behältnis in einen Korb oder in einen anderen größeren Eimer aus, bis die Beeren endlich abgeerntet waren, was zwei oder drei Stunden dauern konnte. In der Regel kam auch Frau H. vom Krummen Weg herüber und pflückte für ihre Einweckgläser, denn üppig hingen die Johannisbeeren in den Büschen.
- Hitze von morgens bis abends.
20.8.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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