10.8.2002
War es in der vorlesungsfreien Zeit des März und April 1975, als ich die Aufmerksamkeit der „Schwanenkeller“-Leute in noch stärkerem Maß auf mich zog? Die Bäume standen ohne Laub oder trugen nur wenig davon, und ich trug meine schwarze halblange Winterjacke, geschnitten in einem Stil, der Anfang der Siebziger modisch gewesen war und den man 1975 noch immer gelten lassen konnte, und Handschuhe. Die Handschuhe waren im Zusammenhang mit dem, wodurch ich die angespannte Aufmerksamkeit der gewiß nicht sehr peniblen Gäste des hier ausführlicher, als ich beabsichtigt habe, gezeichneten Lokals hervorrief von Bedeutung; ich werde, um das einzuflechten, noch ausführlicher über den „Strauß“ schreiben müssen, denn in ihm brachte ich schließlich viele und mehr Abende und halbe Nächte hinter mich, mehr als im „Schwanenkeller“, der mit den Jahren einen Ansehensverlust erleiden mußte, oder vielleicht auch umgekehrt in der unbürgerlichen Betrachtungsweise derer, die ihn frequentierten, noch an freakischem Mehrwert gewann, indem sich für ihn auch der Name „Schweinekeller“ – nun ja, nicht gerade einbürgerte, doch anbot und mit einem Quentchen Belustigung ausgesprochen wurde. Ich saß also eines Abends mit Elian F.-U. in dieser gut besuchten Kneipe und hatte einen doppelten Johnny Walker Black Label vor mir stehen, ohne Eis, und war schon nicht der besten Laune gewesen, als wir das Lokal betreten hatten. Man hat Verstimmungen, wenn bestimmte Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten. Ich brütete ein wenig vor mich hin, meine Freundin, mit der mich eine Freundschaft platonisch-intellektueller Herkunft verband, hatte nicht das Bedürfnis, Schweigeminuten neben mir abzuhalten und ging zur Theke, an der sie verweilte, in ein angeregtes Gespräch mit einem Bekannten zunehmend verwickelt, was mir mißfiel, je länger das dauerte. Ich spürte, wie das Gefühl, vernachlässigt zu werden, in mir zunahm; keineswegs war es Eifersucht, dafür gab es ja keinen Grund, sondern Verärgerung, ohne mir vertraute Gesellschaft am Tisch sitzen zu sollen, und ich schrie, etwas Zorn mag darin zu hören gewesen sein, den Vornamen meiner Begleiterin zur Theke hinüber. Sie wandte nur den Kopf, lächelte unbestimmt und widmete sich, unbeeindruckt von meiner Verfassung, dem Bekannten. Ich trank den Whisky, zog die Lederhandschuhe über, nahm das dicke gedrungene Whiskyglas und zerdrückte es mit einem kräftigen Schlag der behandschuhten Linken auf dem Holztisch. Dies verursachte ein schmetterndes Geräusch, Splitter flogen in alle Richtungen. „Schlagartig“ verstummte der wirre, eintönige Sound des Hin- und Herredens. Elian sah erstaunt herüber, lachte dann amüsiert. Sie war ja einiges gewohnt. Ich sah die Blicke, die zu mir heranschlichen. Verblüffte Angst. Es war still. Dann sagte Kai G., der mit seiner Freundin und seinen Brüdern an eben diesem Tisch auch saß, ich solle die Glassplitter vom Fußboden aufsammeln, seine beiden Hunde, die unter dem Tisch lagerten, verletzten sich sonst die Pfoten. Ich wurde laut. Botz fing an der Theke zu jammern an. Gäste standen auf und gingen vorsichtig zur Tür. Kai – er war mir immer sympathisch, nur sagte ich ihm das natürlich nie – und seine Entourage erhoben sich, die Hunde unter mir ebenfalls, ohne sich zu verletzen, nehme ich nun an, denn Kai sprach mich danach nie auf diesen eruptiven Vorfall an, gingen hinaus. „Ich dachte immer, du bist ein vernünftiger Typ!“, rief Botz in Erregung und mehrmals. Meine aggressive Aura wirkte auf das Verbleiben seiner Gäste verheerend, nach fünf Minuten war der Gastraum leer. Botz war ziemlich fassungslos. Elian war nach wie vor amüsiert: so etwas hatte sie mir ja gar nicht zugetraut. Höflich entschuldigte ich mich bei Botz, der sich langsam beruhigte, nur den umwallten Kopf schüttelte. Dann betraten Typen, die ich niemals gesehen hatte, den Raum, in einer Haltung, die mir sagte, daß sie gerne ihre Kräfte an den meinen messen würden. Was wollten die Penner? Sich als Rächer der Lokalrunde aufspielen? Elian beschützen? Irgend etwas dieser Art kam zu mir herüber. Schmierig-verdruckst, sich nicht ganz sicher, traten sie an der Tür auf der Stelle, ihre Augen warfen bösartig-tückische Blicke. Ich sagte Botz, er möge mir bitte zwei Bierflaschen, volle, reichen; sofort handelte er. Mit diesen Flaschen in beiden behandschuhten Händen wartete ich darauf, was die zwei Jungs zu tun gedachten. Sie sprachen Elian an, sie boten ihr ihren Schutz an; sie lächelte nur und sagte, es sei alles in Ordnung. Unschlüssig murmelten sie Drohungen zu mir herüber, „unten“ spreche man sich dann. Was denn? Ich riet ihnen zu verschwinden. Botz beobachtete, wie ich mit einem Seitenblick sah, nervös die Szene. Beschwichtigend redete er den Typen zu, es sei nun alles wieder okay. Sie gingen hinaus. Ich bezahlte meinen Whisky und die Bierflaschen, versicherte dem armen B., die Angelegenheit sei mir wirklich unangenehm, es sei so über mich gekommen, erbat seine Nachsicht. „So was hab ich ja noch nicht erlebt“, sagte er, er konnte sich das alles nicht erklären. Ich eigentlich auch nicht. Elian drängte zum Gehen, sie fahre mich, der Abend gebe ja nun nichts mehr her, nachhause; es war auch schon später. Ich fragte mich, ob die beiden auf Schlägerei erpichten Typen draußen herum lungerten. Wir stiegen die Treppe hinunter, Botz schloß hinter uns ab. Wir bemerkten die Typen, wie sie in einiger Entfernung in der Dunkelheit standen, herüber linsten durch die von den Laternen am Abhang schwach beleuchtete Nacht. Ich hielt die Bierflaschen hoch. Es gelüstete sie wohl, mich nieder zu machen, doch waren sie zu feige. Sie wußten, daß ich die Absicht hatte, bei einem Angriff diese Bierflaschen an ihren dummen Köpfen zu zerschmettern. Unbehelligt erreichten wir Elians VW-Variant, fuhren zur Lindelestraße. Etwas spöttisch, aber in gewissem Sinn verständnisvoll verabschiedete E. sich von mir; „bis morgen“. – Ich hatte manchmal solche Momente der rücksichtslos-gleichgültigen Bereitschaft zur Gewalttätigkeit.
- Sommerlich schön und warm.
10.8.2002
- Sommerlich schön und warm.
10.8.2002
10.08.