8.8.2002
Irgendwann im Sommer `75 stellte der Stuttgarter Künstler Frank Below in der Schrannen-Galerie seine „Homoerotischen Bekenntnisse eines Empfindsamen“ aus. Einige meiner durchweg heterosexuellen Freunde und ich besuchten selbstverständlich die Vernissage und wir scheuten uns, wie zu anderen Ausstellungseröffnungen, nicht, unverzüglich zu den Brezeln zu greifen, die wir auf dem Viereck-Rundgang die Galeriewände entlang, Trollinger schlürfend, verzehrten. Die Ölbilder waren für das oberschwäbische Städtchen ein Novum insofern, als sie zum ersten Mal künstlerisch auf homosexuell empfindende und schwulen Sex praktizierende Mitmenschen hinwiesen; sie zeigten, in verschiedenen Figurationen, nacktes männliches Fleisch; der Zeitungsredakteur D., der die ihm relevant dünkenden Kunstereignisse in der Stadt rezensierte, äußerte sich in seinem Artikel zum Ende der Ausstellungszeit hin in verhalten amüsiertem Ton besonders auch über „die hinten applizierte Gurke“. Freilich erhob sich ob dieses Sujets in kunstkennerisch sich nennenden Kreisen der Großen Kreisstadt ein, allerdings nicht allzu heftiger, „bruddelnder“ Rumor, der OB H. wußte sich, als oberster Dienstherr der Ausstellungsmacher, zu erklären. „Euer Oberbürgermeister“, sagte Below – lange blonde Haare, Anzug, Anfang Dreißig – am späteren Abend nach der Vernissage im „Schwanenkeller“, wohin wir ihn entführt hatten, „sieht ja gar nicht einmal so übel aus.“ Keine Ahnung mehr habe ich davon, wie dieser Stuttgarter zu der Gelegenheit gekommen war, in der Städtischen Galerie ausstellen zu können. Dieter „Jonny“ Arnold hatte daran seinen Verdienst, nicht aus eigenerotischen Überlegungen, sondern aus kunstideologischen. Wir scherzten, aber nicht lange, denn so viel ging uns der OB nicht an, über dies Eingeständnis einer sehr vagen Affinität. „Bist du beschnitten?“, wollte Below bald darauf von Bernd H. wissen, der – sehr lange schwarze Haare, langer schwarzer Bart, schwarze Kleidung, etwas gebogene Nase – vielleicht etwas rabbihaft auf den, der ihn nicht kannte, wirkte. Ich mußte grinsen. Bernd entgegnete kühl etwas wie: „Sehe ich so aus, als müßte es so sein? Aber ich gebe eine klare Antwort: nein!“ Sicherlich reimte sich das in seiner Replik nicht so wie hier, aber ihren Inhalt wortgetreu jetzt zu überliefern gelingt mir natürlich nicht. Ich ließ das Ausstellungsplakat vom Künstler signieren, glaube ich doch. (Habe es seit langem nicht mehr beachtet.)
1976 hing ich es an eine Wand meines Karpfengassenzimmers, stellte die schwarze geschnitzte Jugendstilsäule davor und eine Grünpflanze auf diese; das ergab ein Arrangement, das einen gewissen selbstironischen Gestus verbreiten sollte, doch nur ich dürfte das kapiert haben. War wohl zu subtil. Als meine Mutter einmal eines Augustabends mir gegenüber saß (um sich zu informieren, wie ich mich in dieser Wohngemeinschaft eingerichtet hatte) – ein Streifen Sonnenlicht senkte sich durch das Westfenster, vor dem ein anderes Haus stand, in einem trickreichen Winkel über das Nebendach oder durch eine Lücke der Dächer, die ich nie bemerkte, in das Zimmer – , schlecht gelaunt oder eher missmutig erschöpft, ging ihr Blick an mir vorüber an die Wand und entdeckte dieses Plakat. „Homoerotische Bekenntnisse ...“, sagte sie mißbilligend, „mußt du denn sowas aufhängen?“ Ich weiß nicht mehr wörtlich, was ich erwiderte, aber es war eine von Trotz nicht freie Verteidigung des Plakats und meiner Freiheit, es an die Wand pinnen zu können und damit ein Signal für jeden, der dafür ein Auge hatte, zu geben. Müde wechselte meine von ihren Enttäuschungen schon in eine resignierte Gleichgültigkeit versetzte Mutter das Thema. Einige Zeit vor ihrem Tod sagte sie mir, sie habe schon in den ersten siebziger Jahren den Verdacht nicht von sich weisen können, daß ich homosexuell veranlagt sein könnte.
- Warmer Augusttag mit Sonne, vor die sich abends eine blaugraue Wolkenschicht schob, durch die sie glostete.
8.8.2002
1976 hing ich es an eine Wand meines Karpfengassenzimmers, stellte die schwarze geschnitzte Jugendstilsäule davor und eine Grünpflanze auf diese; das ergab ein Arrangement, das einen gewissen selbstironischen Gestus verbreiten sollte, doch nur ich dürfte das kapiert haben. War wohl zu subtil. Als meine Mutter einmal eines Augustabends mir gegenüber saß (um sich zu informieren, wie ich mich in dieser Wohngemeinschaft eingerichtet hatte) – ein Streifen Sonnenlicht senkte sich durch das Westfenster, vor dem ein anderes Haus stand, in einem trickreichen Winkel über das Nebendach oder durch eine Lücke der Dächer, die ich nie bemerkte, in das Zimmer – , schlecht gelaunt oder eher missmutig erschöpft, ging ihr Blick an mir vorüber an die Wand und entdeckte dieses Plakat. „Homoerotische Bekenntnisse ...“, sagte sie mißbilligend, „mußt du denn sowas aufhängen?“ Ich weiß nicht mehr wörtlich, was ich erwiderte, aber es war eine von Trotz nicht freie Verteidigung des Plakats und meiner Freiheit, es an die Wand pinnen zu können und damit ein Signal für jeden, der dafür ein Auge hatte, zu geben. Müde wechselte meine von ihren Enttäuschungen schon in eine resignierte Gleichgültigkeit versetzte Mutter das Thema. Einige Zeit vor ihrem Tod sagte sie mir, sie habe schon in den ersten siebziger Jahren den Verdacht nicht von sich weisen können, daß ich homosexuell veranlagt sein könnte.
- Warmer Augusttag mit Sonne, vor die sich abends eine blaugraue Wolkenschicht schob, durch die sie glostete.
8.8.2002
08.08.