5.8.2002
Das große Haus, das an der Ostseite des Hofes stand, um den sich im Quadrat noch andere, niedrige Häuser und Schuppen zogen, in denen noch andere, nicht zur Verwandtschaft zählende Bewohner hausten, die ich so gut wie nie zu sehen bekam, war nun also Schlaf- und Lebensort für die drei Wochen des Ferienaufenthalts. Ging es in der Wohnung in der Lindelestraße in Biberach ruhig und gedämpft zu, eine Wohnstimmung, die mir stets gefiel, so verlief das Leben auf dieser alten Försterei, die ihre Zwecke in einer Vergangenheit, von der mir nie etwas bekannt wurde, erfüllt hatte, lebhafter, doch in ländlicher Prägung. Lebhafter, weil dort meine um knapp zwei Jahre jüngere Kusine K. und mein kleiner Cousin S. wohnten, und mit ihnen streifte ich in Sommertagen durch die umliegenden Felder und Wälder, auch ihr Papa, Onkel Heinz (der mit dem Motorrad), begleitete uns, führte uns in die Pilze, und abends kredenzte dann Oma Sommer, die in der Küche das Hauptregiment führte, zu Kartoffeln köstliche Steinpilze und Pfifferlinge, dazu wurde Kaninchenfleisch aus den Ställen hinter dem Anwesen, vor den Wiesen, über deren Feldwegen es zu den südlich und nahe stehenden Wäldern ging, gereicht. Die Tierchen, die morgens noch ihr Gras und ihre Möhren gemümmelt hatten, taten mir ja leid, aber dennoch, ich mußte es mir zugeben, schmeckten solche Mahlzeiten sehr gut. Vater Sommer, der Großvater, ein zuweilen herrischer alter Mann mit einer Glatze, die ihn noch kerniger erscheinen ließ, äußerte zuweilen ein Wort der lauten Mißbilligung, aufgrund dieser oder jener recht unbedeutenden Begebenheit (er konnte sehr unwirsch reagieren), doch ahnten wir: rauhe Schale, weicher Kern. Er war unumstritten der – etwas tyrannische – Herr im Haus. Vormittags kümmerte er sich, wie ich so manchen Tag beobachtete, um die Bienen, die aus zwei aufgebockten Bienenstöcken um ihn summten und brummten, aus den „Törchen“ hinausschwirrten und hineinmanövrierten. Opa Sommer trug keinen Imkerhut mit dem Schleier vor dem Gesicht und schien mit den Honiglieferantinnen in recht gutem Einvernehmen zu stehen. Ich hatte allerdings meine Bedenken hinsichtlich der stechenden Biester, aber ich kann mich nicht entsinnen, jemals gepiekt worden zu sein.
In der Mitte des ungepflasterten Hofs befand sich der Brunnen. Ich betätigte den großen geschwungenen Eisenschwengel, zog ihn in die Höhe, drückte ihn hinunter, das helle Wasser strömte aus dem dicken Hahn und füllte die beiden Wassereimer, deren Inhalt im Haus gebraucht wurde und die ich die Treppe hinauftrug. Auch die Kusine, die das ja täglich gewohnt war, packte mit an. (Aber im Wohnhaus gab es doch fließendes Wasser? Auf der Toilette aber nicht, soviel steht fest.) Nachts ruhte ich in einem Zimmer, in dem auch der sechsjährige Cousin Stephan schlief und im Schlaf mit den Zähnen knirschte – zunächst wußte ich mir dieses eigenartige, noch nie vernommene Geräusch nicht zu erklären. Vielleicht aus innerer Anspannung, die durch den in jenen Tagen bevorstehenden Schuleintritt verursacht wurde? Denn eines wolkenverhangenen Tages Anfang September schritten alle Hausbewohner und auch meine damals in Dresden in einer Klinik als Krankenschwester arbeitende Tante Gerda, und Onkel Roland, ein jüngerer Bruder von Onkel Heinz, der in späteren Sechzigerjahren Tante Gerda heiratete, über die sandigen Wege, die durch Felder hinüber zum Dorf wiesen, S. balancierte seine große Schulanfängertüte, die über ihn hinausragte, in den Armen, und ich Zwölfjähriger, dem die Schule längst zur Selbstverständlichkeit geworden war, dachte einmal: „Sehr glücklich sieht er ja nicht drein.“ In der Schule wurde dann eine Rede gehalten. Ich langweilte mich. Der Tag drohte regnerisch zu werden. Endlich standen alle Eltern mit ihren mehr oder weniger glücklichen Sprößlingen im und vor dem Schulgebäude herum, es wurde viel fotografiert, und ich habe diese Schwarzweißfotos von diesem Tag noch, auf denen auch ich zu sehen bin.
- Ein regnerischer Tag, dennoch nicht kühl.
5.8.2002
In der Mitte des ungepflasterten Hofs befand sich der Brunnen. Ich betätigte den großen geschwungenen Eisenschwengel, zog ihn in die Höhe, drückte ihn hinunter, das helle Wasser strömte aus dem dicken Hahn und füllte die beiden Wassereimer, deren Inhalt im Haus gebraucht wurde und die ich die Treppe hinauftrug. Auch die Kusine, die das ja täglich gewohnt war, packte mit an. (Aber im Wohnhaus gab es doch fließendes Wasser? Auf der Toilette aber nicht, soviel steht fest.) Nachts ruhte ich in einem Zimmer, in dem auch der sechsjährige Cousin Stephan schlief und im Schlaf mit den Zähnen knirschte – zunächst wußte ich mir dieses eigenartige, noch nie vernommene Geräusch nicht zu erklären. Vielleicht aus innerer Anspannung, die durch den in jenen Tagen bevorstehenden Schuleintritt verursacht wurde? Denn eines wolkenverhangenen Tages Anfang September schritten alle Hausbewohner und auch meine damals in Dresden in einer Klinik als Krankenschwester arbeitende Tante Gerda, und Onkel Roland, ein jüngerer Bruder von Onkel Heinz, der in späteren Sechzigerjahren Tante Gerda heiratete, über die sandigen Wege, die durch Felder hinüber zum Dorf wiesen, S. balancierte seine große Schulanfängertüte, die über ihn hinausragte, in den Armen, und ich Zwölfjähriger, dem die Schule längst zur Selbstverständlichkeit geworden war, dachte einmal: „Sehr glücklich sieht er ja nicht drein.“ In der Schule wurde dann eine Rede gehalten. Ich langweilte mich. Der Tag drohte regnerisch zu werden. Endlich standen alle Eltern mit ihren mehr oder weniger glücklichen Sprößlingen im und vor dem Schulgebäude herum, es wurde viel fotografiert, und ich habe diese Schwarzweißfotos von diesem Tag noch, auf denen auch ich zu sehen bin.
- Ein regnerischer Tag, dennoch nicht kühl.
5.8.2002
05.08.