8
Jul

8.7.2002

Schon am Nachmittag des Montags nach der „Schützenwoche“ – ich ging dann gern von der Innenstadt über den Gigelberg nachhause – lag der „Berg“ nun in einer unwirklich erscheinenden Leere vor mir. In der Nacht noch, nach 24 Uhr, hatten die Schausteller ihre gar nicht so kleine Geisterbahn, Dreh- und Schaukelkarusselle, Autoscooterbahn, das Riesenrad und die Schieß- und anderen Verlustigungsbuden abgebaut und in Lastern verstaut und zum nächsten Volksfest im Ländle abgefahren. Ich habe noch einige unklare Geräusche im Ohr, die von den Abbauarbeiten vom nächtlichen Gigelberg, von dem keine Schlagermusik mehr herüberwehte, durch das nachts im Sommer manchmal ein wenig halb geöffnete Schlafzimmerfenster an mein Bett klangen; kurze, metallisch klingende Geräusche, die, mal regelmäßig, häufiger in unregelmäßigen Abständen, auch eine Art zartes Sommernachtszirpen waren, bevor ich in meine Sommernachtsträume Einlaß fand. – Ich spazierte geruhsam über die wie zurückgelassen wirkende leere Weite des Gigelbergs, und aus meiner ein Tag und eine Nacht alten Erinnerung errichtete ich all diese Aufbauten und Buden mir wieder; „da ist das Kasperletheater gestanden“, flüsterte ich mir zu, „dort das Riesenrad, das Knusperhäuschen, wo ich die Tüte Magenbrot gekauft habe, da vorn“; so imaginierte ich mir die trubeligen, lauten, von bunter Fahrt im Kreis und den unzählig ineinander verschlungenen Geh-Wegen der leicht bekleideten „Berg“-Gänger, deren Linien wie Pinselstriche in den vielfältigsten Farben eines großen abstrakten Bildes über den grauen Asphalt der unbehausten Flächen miteinander verflochten schienen, belebten Tage der vergangenen Woche zurück. Gesenkten Kopfes schritt ich über den Platz, doch nicht betrübt, sondern, der Blick wanderte über Asphalt und Kies, Münzen suchend, Geldstücke, die in Eile oder aus Nachlässigkeit zwischen die Steinchen gefallen waren, dem ehemaligen Besitzer in der Sekunde des Geldbeutelöffnens oder -schließens aus den Fingern gefallen waren oder auf andere Weise, auch einem der Budenbesitzer vielleicht, abhanden gekommen waren. In den Sechzigern fand ich bei diesem nachschützenfestlichen Streifzug über den „Berg“, bei dem mir kaum einmal jemand begegnete (denn vor und nach „Schützen“ liegt die flache Anhöhe fast parkähnlich still), jedesmal Zehn-pfennig-, Fünfzigpfennig-, Ein- und sogar Zweimarkmünzen, die schmutzig mattgelb und -silbern zwischen den Steinen und dem Unkrautgras einem forschenden Auge entgegenschimmerten. Es kam schon vor, daß ich nach diesem Weg, zum Haus am Lindele, für den ich mir Zeit ließ, um drei Mark reicher war. Das war dann auch noch eine Nach-Schützenfreude.
- Die Stadt glühte in der Hochsommerhitze.
8.7.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Tadellöser - 20. Dez, 13:02

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