3.7.2002
Unser Tambourmajor, die für uns sehr selbstverständliche militärische Benennung unseres „Anführers“– vieles war selbstverständlich in solchen Jahren, weil, jedenfalls in mir, die Lust und der Willen zu kritisieren und aus der betrachtenden Kritik heraus sich die Menschenwelt und die in ihr agierenden Ausdrucksweisen und Ausformungen genauer anzueignen, erst einmal, noch nicht ausgeprägt war –, warf seinen Stab mit den wohl blaugelben Quasten unter der Spitze in die Sommerluft, der wirbelte zweimal um sich selbst, das Licht blitzte vom Metall des Knaufs und der Spitze, in einer eleganten und lang geübten zugreifenden Bewegung während des Gehens, dessen gemessene Schritte die Rhythmen der Trommelschläge hinter ihm vorgaben, fing er, der mit dem hohen Helm, von dessen Scheitel weiße Kunsthaare rings um die Kopfbedeckung, sie verdeckend, herunterfielen, diesen großen Taktstock wieder auf. So zogen wir durch die Gassen und die Straßen der fahnengeschmückten kleinen Stadt, um die Ecken und Kurven; diejenigen unter uns, die nicht zum ersten Mal dabei waren, kannten die „Festzugsstrecke“, wußten, wo mehr, wo weniger der aus dem Landstrich rings um die Stadt herbeigeeilten Leute Aufstellung genommen hatten, die unseren Auftritt freundlich-sentimental beklatschten. Von irgendwo aus einer Stelle der „Festzugsstrecke“ erschien dann plötzlich meine Mutter in hellem Sommerkleid mit dem Fotoapparat und knipste mich, uns; mir war das eher peinlich, oder es war, in dieser Uneindeutigkeit befanden sich die Gefühle, Verlegenheit, die von einem gesteigerten Selbstbewußtsein überspielt wurde; wörtlich. Waren wir zu Beginn der Durchmarschiererei schon über den Marktplatz, auf dem in den ersten sechziger Jahren nur eine Stufentribüne, vor den Gutermannschen, diesen den Marktplatz, vor dem aufragenden Turm der Kirche, markant zierenden Doppelhäusern, aufgestellt war, auf der die „Schützendirektion“ und Honorige von nah und fern im Schützenmontags- und -dienstagsstaat saßen, defiliert, so kehrten wir nach all den Schleifen und Winkelzügen, die der Festzug dann durch die Stadt gelegt hatte, wieder, in triumphalistischem Gestus, auf ihn, von der anderen Seite einmarschierend, zurück; der Vorsitzende der Schützendirektion erklärte, stehend hinter dem Mikrophon an der Brüstung der „Ehrentribüne“, mit getragener Stimme: „Die Festzugsspitze erreicht nun mit den Schützentrommlern und -pfeifern wieder den Marktplatz, auf dem sich zum gemeinsamen Singen unseres schönen Schützenfestliedes alle Teilnehmenden versammeln.“ Das waren nicht wenige, und standen schließlich alle Gruppen in langen Reihen nebeneinander zwischen den Bürgerhäusern des Platzes, war die „gute Stube Biberachs“ rappelvoll. Von Rappen voll kann ich nicht angeben, denn die Pferde – des Großen Historischen Festzugs, in dem die geschichtlichen Ereignisse, die die Freie Reichsstadt ehedem heimgesucht hatten, nun bürgerstolz visualisiert wurden, in Kostümen und mit allerhand Soldaten- und Marketendertum, das sich in alten Städten durch die Zeitläufte getummelt hatte, – waren doch oft nur Ackergäule, die die schweren Wagen, nicht nur die historisch nachgebauten, ziehen mußten, und keine schwarz-rassige Reittiere; diese gab es nur in den Verkörperung von Braunen, die die Ritter von Essendorf, kaiserliche und schwedische Offiziere und, aber damals, als ich trommelte, noch nicht, die Höflinge des „Musenhofes von Warthausen“, vom Grafen Stadion, Günstling des Erzbischofs von Mainz, tänzeln ließen; aber letztere, inklusive Wielandens, des Dichters und Biberacher Kanzleidirektors, vulgo Bürgermeisters, saßen doch in zwei Kaleschen? Zwischen diesen spätmittelalterlichen und frühbarocken Herrschaften und Glaubenskriegern schritt, die Rechte hin und wieder huldvoll in einer winkenden Geste emporhebend, der Kreisarchivrat (inzwischen Ober-) Dr. D., einen Abt oder Fürstabt im schwarzen Ornat mimend, die politisch-gesellschaftlichen Gegebenheiten in der Stadt und drumherum aufs trefflichste symbolisierend. Die Bande des „Schwarzen Vere“ – über den zu schreiben etwas lohnte, vielleicht zu ihm in Bälde – machte aus dem Festzug heraus die Reihen der Festzugsbesucher unsicher und stieg auch schon einmal mit einer langen Leiter in offen stehende Fenster ein, raubte dicke Würste und andere Viktualien, sogar Geld, das rechtzeitig bereitgelegt worden war. Es war „Schützen“.
- Regnerisch, doch mit etwas Wärme in der Luft.
3.7.2002
- Regnerisch, doch mit etwas Wärme in der Luft.
3.7.2002
03.07.