24
Jun

24.6.2002

Im Juni 1996 versammelten sich in der Mittagszeit an den Samstagen im Lokal „Woodpecker“ zehn oder mehr junge Leute, Schüler, aber auch einige schon Ältere um die Dreißig und darüber um Valérie Lasserre und mich, um die Vorbereitungen für die Dreharbeiten zum Videofilm „Lost in Illusions“ (der diesen Titel noch nicht hatte, sondern als „Strauß-Film“ salopp bezeichnet wurde) zu besprechen, die Ende Juni beginnen sollten – und auch begannen. Diesen Film hatte ich Mitte Januar jenes Jahres initiiert, als Beitrag zum „Medienprojekt“ „Filme einer Stadt“, dessen Ursprung bei Dr. Biege, dem Kulturdezernenten der Stadt, gelegen hatte, der statt eines professionellen Films über Biberach bei der Landeszentrale für politische Bildung und der Landesbildstelle in Stuttgart angeregt hatte, doch engagierte Leute selbst Filme drehen zu lassen, um verschiedene authentische Blicke auf Biberacher Leben zu gewinnen. Etliche Gruppen hatten sich im Januar längst zusammengefunden, als ich mich – in einer Sonntagnacht, als ich nach Kinoarbeit und Mitternacht, von Klaus Leupolz‘ Wohnung zurück zum Kino hastend, von wo aus ich im Auto einer der „Sternchen“-Damen nachhause gefahren werden wollte, dem Radiojournalisten Ulrich S., der, als einer von zwei „Betreuern“ für das Gesamtvorhaben Filmprojekt, denn er hatte schon, auch mit V. Lasserre, Filme gemacht, über diverse Interna Bescheid wußte, auf dem winterkalten Marktplatz begegnet war, der mir auf meine Frage, ob man noch einsteigen könne, gesagt hatte, man könne, aber morgen gingen die von anderen Gruppen eingereichten Exposés schon nach Stuttgart – spontan dazu entschlossen hatte, auch einen Film, über die „Strauß“-Zeit, herzustellen. Noch in der Nacht hatte ich einen Plot und eine Treatment-Skizze geschrieben und das zur Tageszeit dann in der VHS, denn auch sie war in dieser großen sich entwickelnden Aktivität eingebunden, rechtzeitig abgegeben; so hatte dieser Film begonnen. Bis Anfang Juni hatte ich ein Drehbuch geschrieben, schrieb in den Tagen, da das Team, das noch viel mehr – honorarfrei – Mitmachende bekommen sollte, zusammengestellt wurde, auch noch immer daran; doch mußten nun – als Abgabetermin für alle Filme, die parallel zu unserem in jenen Wochen entstanden, war Mitte Juli festgelegt worden – Drehtage bestimmt werden und was wann wo aufgenommen werden mußte. Ich war guter Laune und freute mich, daß nun tatsächlich bald aus dem „Strauß“-Poem, das ich im Winter geschrieben hatte und das eine Textvorlage für den Film war, ein Videomovie hervorkommen würde; und außerdem erhielt ich von der Biberacher Verlagsdruckerei, die Oberschwaben- und andere Bücher, darunter die einiger regionaler Autorinnen und Autoren, druckte, einen Brief, in dem mir mitgeteilt wurde, man sei am Text interessiert und wolle ihn „machen“. So schien dieses Jahr `96 gar recht viel versprechend zu werden. Sogar Martin Heilig, der Kunstmaler, hatte sich dazu bereit erklärt, eine kleine Rolle zu übernehmen: die Rolle, die er in der Achtundsechzigerzeit in Biberach eingenommen hatte; allerdings, ich war nicht unschuldig daran, im Film mit pessimistisch-rückblickendem Charakter, was ihm nicht recht behagte. Ich saß Samstag Mittag im „Woodpecker“, hatte mein große Tasse Tee vor mir, Valérie, die Neuzehnjährige, die in diesen Monaten Abitur machte, die Regie führte und Kamerafrau war, dazu Mitproduzentin, sagte dem Team, wer was wann tun sollte, wer wann eine Vollzugsmeldung vorzulegen hatte, notierte Drehzeiten in das immer noch in Umarbeitung befindliche Drehbuch, zu dem auch sie während der zurückliegenden Tage Zusätze oder neue kleine Texte geschrieben hatte; der organisatorische Aufwand insgesamt war in der Zeit vor diesen Samstagen schon erheblich gewesen, kurzfristig mußte dies und das umdisponiert werden, Drehorte wurden verworfen und neue gesucht. Alles machte mir Spaß, da ich außer Schreiben vorerst nicht mehr viel zu tun hatte. Das Team begann zu arbeiten. Ich saß eines sehr schönen Samstags also an einem der Tische seitlich vor dem „Woodpecker“-Lokal, unter einem Sonnenschirm, und genoß etwas, das soeben der Kunstmaler, in einem gemischten Tonfall aus Belustigung und gespielter Entrüstung, gesagt hatte: „Der macht das doch bloß, um hier seine erotischen Bedürfnisse zu befriedigen.“
- Sonnig, bewölkt, ein schöner Spätjunitag.
24.6.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
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