20.6.2002
Solche trocken repetierten Angelegenheiten geschahen in ihrer Wirklichkeit des sommerlich summenden Frühjahrs vom Jahr 1976 freilich in der lebendig-pulsierenden und keineswegs nur von der schon heißen Atmosphäre eines über Biberach und Oberschwaben und überhaupt über dem Südwesten der Bundesrepublik verharrenden Hochs begünstigten Stimmungslage der Kleinstadtbewohner, oder doch wenigstens, um die Einschränkung zuzulassen, daß bestimmt nicht jeder von ihnen in jenem Frühjahr sich in einer frei fühlenden, oder Freiheit fühlenden, jugendlichen zumal, Stimmungssituation befunden haben mochte, im – nun erscheint mir dieser Begriff wieder, und ich gebrauche ihn auch wieder – Lebensgefühl derjenigen jungen Leute, die sich, wie nah im imaginären Zentrum oder eher entfernt an dessen peripheren Rändern auch immer, als der „Szene“ zugehörig dachten und definierten – und wir Bewohner der Karpfengasse 24, in gar nicht so abwegig erscheinender Weise durchaus Bewohner eines Elfenbeinturms, durften uns unbestritten zu ihr zählen. Alkohol trug bei mir in diesen Monaten, in denen ich den müßiggängerisch-flaneurhaften Lebensstil eines sehr freien Kleinstadtbohemiens und -intellektuellen genoß, der auf einem Konto bei der Kreissparkasse hatte, was er dafür benötigte (denn das Studentenwerk Stuttgart hatte, obwohl ich mein Studium längst nicht mehr an der Universität pflog, eine satte Befög-Nachzahlung überwiesen), zu der gesteigerten Empfindungsfähigkeit bei, die auch aus dem Bewußtsein der schönen Jugend und der guten Talente, über die zu verfügen ja auch ein gespürtes Glück, das das Selbstbewußtsein beflügelte, ist, ihre Ingredienzien bezog. Ich pendelte zwischen meinem dunklen Zimmer in der „Karga“, dem „Strauß“, der Stadtbücherei, dem „Rebstock“, der Wohnung auf dem Hühnerfeld,zu der mich der Stadtbus brachte und mit dem ich, wochentags, auch zurück fuhr, den Auftrittsorten-, sälen, an und in denen die Jazzgruppen, die unser Jazzclub von auswärts in die Stadt holte, hin und her, und immer stand genug Gin, und O-Saft und Bitter Lemon von Schweppes, im Kühlschrank in meinem Zimmer. Es war meine Gin-Phase. An manchen dieser Tage, doch insgesamt zu selten, hockte ich hinter meiner roten IBM-Kugelkopfschreibmaschine, damals ein Erzeugnis fortgeschrittener Bürotechnik, und versuchte, an einem Manuskript weiter zu schreiben, das ich im Winter begonnen hatte; es sollte eine Jugendlichen-, eine Schülergeschichte werden, doch zu sehr lenkte „das Leben“ mich immer davon ab in seine Tage und Nächte. Auf so selbstverständliche Weise, daß es mich erstaunte, befreundete ich mich mit einem Siebzehn-, höchstens Achtzehn-jährigen hübschen großen schlanken jungen Schüler; auch auf ihn hatte ich zwei Jahre zuvor schon in aller Heimlichkeit meine vorbei gleitenden Beiläufigkeitsblicke gerichtet. Er hatte einen etwas älteren Bruder, der mir 1973 ebenso gut gefiel; mit seiner Prinz Eisenherz-Frisur hatte er beim Rockfestival, zu dessen Erfolg auch Manfreds „Agitprop“-Gruppe ihren Anteil beigetragen hatte, auf der Bühne gestanden und, seine E-Gitarre bearbeitend, als Leadman seiner Gruppe seine Songs ins Mikro gesungen. In seinen hautengen Jeans und im T-Shirt war er so hübsch, so erotisch! Akademikersöhne. C.M., der jüngere, war ein begabter Zeichner und er malte auch; wir kamen überein, ein Kinderbüchlein mit dem Titel „Der blaue Elephant“ zu schreiben und zu illustrieren, doch nie wurde etwas daraus, und ich war schuld daran, nie fand ich in meinem unruhigen Hin und Her Muße und Konzentration dafür. Einmal im Frühjahr `76, zur Abwechslung hatte ich am Abend zuvor aus lauter innerer Erregung viel Whisky konsumiert, schlief er eine Nacht lang neben mir, die ich größtenteils, keineswegs betrunken genug, um nicht mehr aktiv werden zu können, schlaflos neben ihm verbrachte, denn keusch blieben wir, nichts geschah. Am Vormittag meinte er: „Mir dir zu schlafen ist ja ganz nett“, und das gab mir doch zu denken. Schnell rief er seine Mutter an, denn kein Wecker rasselte mehr bei mir, und schlüpfte aus dem Haus. Wir verloren einander ziemlich bald wieder aus den Augen. Als ich Jahre danach im „Sternchen“ in einer ruhigen Minute an der Theke stand, kam er mit Kindern, seinen, aus dem Halbdunkel des Saals an mir vorüber, er kannte mich noch, wir plauderten für zwei Minuten. Inzwischen lebte und arbeitete er, in einem sozialen Beruf, wenn ich mich gut genug erinnere, in einem Dorf in der Gegend. Seit fast zwanzig Jahren weiß ich nichts mehr von ihm.
- Sonniger schwüler Tag, der sich zum Abend hin eingraute; ein Gewitter nahte, rülpste auch ein paar Mal dumpf, sein Regen fiel und vertröpfelte sich, als der Wolkenhimmel, der um 22 Uhr noch immer nicht völlig die Verdunkelung erreicht hatte, ganz Nachthimmel war.
20.6.2002
- Sonniger schwüler Tag, der sich zum Abend hin eingraute; ein Gewitter nahte, rülpste auch ein paar Mal dumpf, sein Regen fiel und vertröpfelte sich, als der Wolkenhimmel, der um 22 Uhr noch immer nicht völlig die Verdunkelung erreicht hatte, ganz Nachthimmel war.
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