19.6.2002
Mitte der sechziger Jahre wurde C.-W. Hoffmann in Biberach der jüngste Oberbürgermeister der Bundesrepublik. Er war groß und sah gut aus und stammte aus der Gegend von Stuttgart, der Vater war eine Persönlichkeit. Er hing sich die Amtskette um den Hals und lenkte danach sechsundzwanzig Jahre lang, bis 1993, die Geschicke der Stadt. Er war kunstsinnig oder galt dafür wenigstens in den besseren Kreisen und er lebt noch, inzwischen als Rechtsanwalt und Ehrenbürger der Stadt. Zweifellos in vielen Dingen ein Mann mit Verdienten, konnte er jedoch im Juni `76 nicht an sich halten und ordnete an, in der „Galerie in der Unteren Schranne“, die im ersten Stock der Stadtbücherei seit Jahren Ausstellungen bot, zwei Bilder von Manfred Schmidt abzuhängen, nach einem Hinweis aus CDU-Kreisen (er gehörte noch nicht dieser Partei an), die sich an diesen Bildern stießen, in denen der CSU-Boß F.J. Strauß aufgrund seiner hinlänglich bekannten Äußerungen in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt wurde. Manfred lebte inzwischen in einer winzigen Kammer im obersten Stock der „Karga“ und so erhielt ich schnell die Nachricht, daß aufgrund dieser politisch motivierten Zensurmaßnahme des Oberbürgermeisters alle Ausstellenden dieser „Folge 2“ einer „Szene Biberach“ betitelten Präsentationsreihe ihre Bilder abgehängt hätten, nachdem Dieter „Johnny“ Arnold, der in den Siebzigern als Künstler und Kunstberater des Gemeinderats die avancierten Strömungen der Kunst vertrat und förderte, beschlossen hatte, aus Solidarität – dieses Wort war damals unter Künstlern noch nicht unbekannt – seine Objekte (oder Bilder) ebenfalls von der Wand zu nehmen; so bestand also diese Ausstellung in ihren letzten Tagen aus weißen Wänden. Nach der sogenannten „Below-Affäre“, die nur ein Affärchen gewesen war, zu dem Plakat und Bilder des Stuttgarter Frank Below ein Jahr zuvor Anlaß gegeben hatten, weil die Durchschnittsbiberacher von den gezeigten „Homo-erotische(n) Bekenntnisse(n) eines Empfindsamen“, die nicht ganz ihren Geschmack und ihre Weltsicht getroffen hatten, gar nicht so viel hatten wissen wollen, erregte nun diese OB-Eigenmächtigkeit mit zweifelhafter rechtlicher Grundlage die Künstlergemüter. Statt einer Finissage wurde eine Diskussion angekündigt und geführt. Ich hatte das Vergnügen, für’s lokale Blatt einen Bericht zu schreiben. (Ich spare mir am Anfang und Ende die philologisch korrekten Anführungszeichen):
„Sie haben deutlich Zensur ausgeübt“
Zu einer Diskussion über ein „heißes Eisen“ in der „Schranne“ – OB Hoffmann stellt sich der Kritik
„Herr Oberbürgermeister, Sie haben hier deutlich Zensur ausgeübt“, sagte einer der Diskussionsteilnehmer, und Oberbürgermeister Hoffmann meinte zu Beginn der Diskussion im Dienstagabend in der Schrannen-Galerie, zu der die Aussteller der Folge 2 im Rahmen der „Szene Biberach“ als Abschluß der Ausstellung eingeladen hatten, daß er es etwas außergewöhnlich fände und etwas betrübt sei, eine Diskussion über Exponate zu führen, die „aus Gründen falsch verstandener Solidarität“ nicht mehr an den Wänden hingen. Was war geschehen?
Die Vorgeschichte: Am Freitag letzter Woche wurde OB Hoffmann von einem Unbekannten darauf hingewiesen, daß zwei zusammengehörende Bilder von Manfred Schmidt Straftatbestände erfüllten; daraufhin besichtigte der OB gemeinsam mit einem hinzugezogenen Rechtsanwalt die Ausstellung, und die beanstandeten Bilder wurden aus der Galerie entfernt und in einem Nebenraum deponiert. (Der Text zu den Bildern lautete: „An CSU/CDU – führt einen ehrlichen Bundestagswahlkampf 1976“, und die Bilder: Hitler, betitelt „Unser Mann“, und ein Plakatentwurf nach einem alten CDU-Plakat, betitelt „Unsere Wege führen zum Glück – CSU“, mit einem aus „Bildzeitung“-Köpfen geformten Hakenkreuz als Sonnenaufgang.) Nachdem die Aussteller diese Maßnahme des OB nur zufällig bemerkt hatten – da, wie Dieter Arnold, einer der Aussteller der Folge 2, bemerkte –, vorher keine Information darüber erfolgt sei –, erklärten sie sich mit Manfred Schmidt solidarisch und entfernten ihre Exponate ebenfalls.
In der Diskussion, zu der ungefähr dreißig Interessierte gekommen waren, versuchte OB Hoffmann seine Maßnahme zu rechtfertigen. Als Verantwortlicher der Stadt habe er dafür zu sorgen, daß Ausstellungsobjekte, die – speziell in diesem Fall – eine Beleidigung der durch diese Exponate betroffenen Partei und die Verwendung eines nationalsozialistischen Emblems darstellten, entfernt werden müßten. Nachdem auch er gesehen habe, daß diese Bilder „nicht hängen bleiben“ könnten, habe er einen Rechtsanwalt zur Begutachtung hinzugezogen, dessen „Beurteilung“ der Bilder er auch in einem Brief an M. Schmidt, den er zu Beginn der Diskussion verlas, zitiert habe. Laut dieser Beurteilung sei es auch fragwürdig, ob das betreffende Bild (CSU/CDU) „Kunst im Sinne von Artikel 5 Abs. 3 Grundgesetz“ sei. Es fehle jener ästhetische Gehalt, der zum Begriff der Kunst gehöre. Aber selbst dann ändere dies nicht an dem strafbaren Tatbestand. Auch bedauerte der OB, daß der Produzent dieser Bilder die Grenzen, die der Aussage des Grundgesetzes, wonach Kunst frei ist, durch die allgemeinen Gesetze gesetzt sind, nicht bereit sei zu akzeptieren und so womöglich anderen Ausstellern Schaden zufüge.
H. Kaesdorf meinte daraufhin, warum die betroffene Partei denn nicht den üblichen Weg einer Privatklage gegangen sei; durch die Maßnahme des OB sähe es so aus, als identifiziere die Stadtverwaltung sich mit der CDU. Sowohl auf die Verantwortlichen der Stadt wie auch auf die CDU sei ein „sehr schlechtes Licht“ geworfen worden, und – was Kaesdorf später anmerkte – habe der OB dieser Partei die wünschenswerte Auseinandersetzung mit den Aussagen in Schmidts Bildern abgenommen. OB Hoffmann fragte, warum ein Künstler zu solchen „provozierenden“ Mitteln greifen müsse, warum keine formal subtileren Mittel gewählt worden seien, bei deren Verwendung dann keine strafrechtlichen Bedenken vorhanden gewesen seien.
Dieter Arnold, der ebenfalls ein Hitler-Bild und Hakenkreuz in Bildern verwendete, fragte, wieso nun seine Objekte, die ja auch den „Tatbestand des Nichterlaubten“ erfüllten, nicht abgehängt worden seien, worauf OB Hoffmann erwiderte, seine Exponate hätten eine formal gelungenere Aussage gemacht, wobei der künstlerische Gehalt auch überwiege. Im übrigen denke man ja, „wenn Hakenkreuz und Lederhose“ in einem Bild erschienen, sowieso an Strauß.
Manfred Schmidt führte dann aus, daß er mit seinen Bildern Aufmerksamkeit für den gefährlichen politischen Rechtstrend habe provozieren wollen. Für ihn sei das Bild sein Medium, mit dessen Hilfe er „auf die Gefahr des Faschismus“ aufmerksam mache; gerade die Behinderung, die er nun erfahren habe, habe doch verdeutlicht, daß die Aussage der beanstandeten Bilder berechtigt gewesen sei. Mit „schöner Kunst“ für einige Eingeweihte könne man seiner Ansicht nach nicht viel verändern; ihm käme es darauf an, mit seinen Bildern zu politischen Veränderungen beizutragen. Auch sei – wie andere Diskussionsteilnehmer ebensfalls mehrmals betonten – ein Rechtsanwalt wohl kaum kompetent, den künstlerischen Gehalt zu beurteilen, was sich auch daran zeige, daß sein Hitler-Bild gemalt und nicht, wie in der Beurteilung stand, gedruckt sei.
Dem Vorwurf, daß der Oberbürgermeister zensiert habe, um bestimmten Machtverhältnissen in Biberach Rechnung zu tragen, sprach Hoffmann dagegen, indem er wiederholt erklärte, daß er als Verantwortlicher für die Schranne nicht zusehen könne, daß [wenn] Objekte, die Straftatbestände erfüllten, hängen blieben. Allerdings konnte er diesen „unangenehmen Beigeschmack“, die seine Entscheidung hervorgerufen hat, im Verlauf der Diskussion nicht verschwinden lassen. Wer in Biberach überhaupt noch ausstellen wolle, wenn diese Praxis offizieller Stellen bekannt würde, fragte schließlich Martin Heilig und fügte hinzu, daß das beanstandete CSU-Bild durchaus vielschichtig interpretiert werden könne. Ein anderer Diskussionsteilnehmer fand es bedenklich, wenn Beamte sagen dürften, was Kunst sei und was gezeigt werden dürfe. Außerdem sei die Entscheidung des OB, daß Straftatbestände gegeben seien, überhaupt nicht durch die einzige Institution, die das letztlich beurteilen könne, nämlich das Gericht, bestätigt worden; und solange dieser Tatbestand nicht eindeutig geklärt worden sei, müsse – gerade, was die Kunst betrifft – die Meinungsfreiheit vorgehen. Der „selbstherrliche Zug“ des OB sei „verwerflich.
Heilig meinte auch, daß der Rechtstrend im allgemeinen politischen Geschehen sich nun auch „automatisch“ auf kulturelle Belange in Biberach auswirke. Und die Ängstlichkeit mancher Verantwortlicher der Stadt habe sich, wie Kaesdorf am Beispiel einer länger zurückliegenden Ausstellung im Museum ansprach, noch verstärkt, und auch Schmidt meinte, daß unbequeme Leute „abgestempelt“ würden, indem man Ausstellungsobjekte – wie bei der Jahresschau 75 geschehen – zurückweise, weil sie „sittlichen“ oder politischen Anstoß“ erregen könnten. Jeder – so ein anderer Teilnehmer –, der zukünftig in Biberach ausstellen möchte, müsse sich nach den Ereignissen um die Below-Ausstellung und der „Folge 2“ fragen, ob er ausstellen dürfe, was für sein künstlerisches Selbstverständnis wichtig ist. Die Funktion von Künstlern innerhalb einer bestimmten Gesellschaft sei auch dadurch charakterisiert, daß sie Impulse zu Veränderungen gäben, doch in Biberach schwebe mittlerweile „ein Damoklesschwert“ über ihren Köpfen.
Wenn durch solche Zensur-Maßnahmen, wie die Entscheidung des OB sie darstelle, die Konfrontation des Bürgers mit bestimmten Gedanken eines Künstlers verhindert werde, erweise man letztlich Demokratie und Freiheit – in deren Namen die Bilder entfernt worden seien – einen schlechten Dienst. Wenn der OB jetzt sage, daß man „die Leute zum Narren halte“, wenn sie in den letzten Tagen beim Besuch der Galerie leere Wände vor sich gehabt hätten, müsse man auch bedenken, daß durch das Fehler der Exponate ebenfalls Gedankenprozesse angeregt worden sein könnten, warum die Aussteller sich genötigt sahen, durch das Abhängen der Bilder gegen die Maßnahme des OB zu protestieren. In diesem Zusammenhang sprach Heilig auch noch davon, daß die Einschätzung der „Folge 2“ als „Wassersuppe mit Polit-Aroma“ den Exponaten kaum gerecht geworden sei, und auch das zeige, daß man sich allgemein scheue, nichtkonforme Meinungen anzuerkennen.
Gegen Ende der Diskussion wurde noch auf den zu gründenden Kunstverein eingegangen und gefragt, ob dann solche Maßnahmen zu vermeiden wären; wobei die Beteiligten sich jedoch darin einig waren, daß auch dann die Bedingungen, aus denen heraus die fragwürdige Entscheidung des OB resultiere, nicht aufgehoben seien. – kd
- Am frühen Vormittag noch grau, langsam drang Sonnenschein durch, der dann den ganzen Tag ohne jede Unterbrechung bediente. Sehr warm.
19.6.2002
„Sie haben deutlich Zensur ausgeübt“
Zu einer Diskussion über ein „heißes Eisen“ in der „Schranne“ – OB Hoffmann stellt sich der Kritik
„Herr Oberbürgermeister, Sie haben hier deutlich Zensur ausgeübt“, sagte einer der Diskussionsteilnehmer, und Oberbürgermeister Hoffmann meinte zu Beginn der Diskussion im Dienstagabend in der Schrannen-Galerie, zu der die Aussteller der Folge 2 im Rahmen der „Szene Biberach“ als Abschluß der Ausstellung eingeladen hatten, daß er es etwas außergewöhnlich fände und etwas betrübt sei, eine Diskussion über Exponate zu führen, die „aus Gründen falsch verstandener Solidarität“ nicht mehr an den Wänden hingen. Was war geschehen?
Die Vorgeschichte: Am Freitag letzter Woche wurde OB Hoffmann von einem Unbekannten darauf hingewiesen, daß zwei zusammengehörende Bilder von Manfred Schmidt Straftatbestände erfüllten; daraufhin besichtigte der OB gemeinsam mit einem hinzugezogenen Rechtsanwalt die Ausstellung, und die beanstandeten Bilder wurden aus der Galerie entfernt und in einem Nebenraum deponiert. (Der Text zu den Bildern lautete: „An CSU/CDU – führt einen ehrlichen Bundestagswahlkampf 1976“, und die Bilder: Hitler, betitelt „Unser Mann“, und ein Plakatentwurf nach einem alten CDU-Plakat, betitelt „Unsere Wege führen zum Glück – CSU“, mit einem aus „Bildzeitung“-Köpfen geformten Hakenkreuz als Sonnenaufgang.) Nachdem die Aussteller diese Maßnahme des OB nur zufällig bemerkt hatten – da, wie Dieter Arnold, einer der Aussteller der Folge 2, bemerkte –, vorher keine Information darüber erfolgt sei –, erklärten sie sich mit Manfred Schmidt solidarisch und entfernten ihre Exponate ebenfalls.
In der Diskussion, zu der ungefähr dreißig Interessierte gekommen waren, versuchte OB Hoffmann seine Maßnahme zu rechtfertigen. Als Verantwortlicher der Stadt habe er dafür zu sorgen, daß Ausstellungsobjekte, die – speziell in diesem Fall – eine Beleidigung der durch diese Exponate betroffenen Partei und die Verwendung eines nationalsozialistischen Emblems darstellten, entfernt werden müßten. Nachdem auch er gesehen habe, daß diese Bilder „nicht hängen bleiben“ könnten, habe er einen Rechtsanwalt zur Begutachtung hinzugezogen, dessen „Beurteilung“ der Bilder er auch in einem Brief an M. Schmidt, den er zu Beginn der Diskussion verlas, zitiert habe. Laut dieser Beurteilung sei es auch fragwürdig, ob das betreffende Bild (CSU/CDU) „Kunst im Sinne von Artikel 5 Abs. 3 Grundgesetz“ sei. Es fehle jener ästhetische Gehalt, der zum Begriff der Kunst gehöre. Aber selbst dann ändere dies nicht an dem strafbaren Tatbestand. Auch bedauerte der OB, daß der Produzent dieser Bilder die Grenzen, die der Aussage des Grundgesetzes, wonach Kunst frei ist, durch die allgemeinen Gesetze gesetzt sind, nicht bereit sei zu akzeptieren und so womöglich anderen Ausstellern Schaden zufüge.
H. Kaesdorf meinte daraufhin, warum die betroffene Partei denn nicht den üblichen Weg einer Privatklage gegangen sei; durch die Maßnahme des OB sähe es so aus, als identifiziere die Stadtverwaltung sich mit der CDU. Sowohl auf die Verantwortlichen der Stadt wie auch auf die CDU sei ein „sehr schlechtes Licht“ geworfen worden, und – was Kaesdorf später anmerkte – habe der OB dieser Partei die wünschenswerte Auseinandersetzung mit den Aussagen in Schmidts Bildern abgenommen. OB Hoffmann fragte, warum ein Künstler zu solchen „provozierenden“ Mitteln greifen müsse, warum keine formal subtileren Mittel gewählt worden seien, bei deren Verwendung dann keine strafrechtlichen Bedenken vorhanden gewesen seien.
Dieter Arnold, der ebenfalls ein Hitler-Bild und Hakenkreuz in Bildern verwendete, fragte, wieso nun seine Objekte, die ja auch den „Tatbestand des Nichterlaubten“ erfüllten, nicht abgehängt worden seien, worauf OB Hoffmann erwiderte, seine Exponate hätten eine formal gelungenere Aussage gemacht, wobei der künstlerische Gehalt auch überwiege. Im übrigen denke man ja, „wenn Hakenkreuz und Lederhose“ in einem Bild erschienen, sowieso an Strauß.
Manfred Schmidt führte dann aus, daß er mit seinen Bildern Aufmerksamkeit für den gefährlichen politischen Rechtstrend habe provozieren wollen. Für ihn sei das Bild sein Medium, mit dessen Hilfe er „auf die Gefahr des Faschismus“ aufmerksam mache; gerade die Behinderung, die er nun erfahren habe, habe doch verdeutlicht, daß die Aussage der beanstandeten Bilder berechtigt gewesen sei. Mit „schöner Kunst“ für einige Eingeweihte könne man seiner Ansicht nach nicht viel verändern; ihm käme es darauf an, mit seinen Bildern zu politischen Veränderungen beizutragen. Auch sei – wie andere Diskussionsteilnehmer ebensfalls mehrmals betonten – ein Rechtsanwalt wohl kaum kompetent, den künstlerischen Gehalt zu beurteilen, was sich auch daran zeige, daß sein Hitler-Bild gemalt und nicht, wie in der Beurteilung stand, gedruckt sei.
Dem Vorwurf, daß der Oberbürgermeister zensiert habe, um bestimmten Machtverhältnissen in Biberach Rechnung zu tragen, sprach Hoffmann dagegen, indem er wiederholt erklärte, daß er als Verantwortlicher für die Schranne nicht zusehen könne, daß [wenn] Objekte, die Straftatbestände erfüllten, hängen blieben. Allerdings konnte er diesen „unangenehmen Beigeschmack“, die seine Entscheidung hervorgerufen hat, im Verlauf der Diskussion nicht verschwinden lassen. Wer in Biberach überhaupt noch ausstellen wolle, wenn diese Praxis offizieller Stellen bekannt würde, fragte schließlich Martin Heilig und fügte hinzu, daß das beanstandete CSU-Bild durchaus vielschichtig interpretiert werden könne. Ein anderer Diskussionsteilnehmer fand es bedenklich, wenn Beamte sagen dürften, was Kunst sei und was gezeigt werden dürfe. Außerdem sei die Entscheidung des OB, daß Straftatbestände gegeben seien, überhaupt nicht durch die einzige Institution, die das letztlich beurteilen könne, nämlich das Gericht, bestätigt worden; und solange dieser Tatbestand nicht eindeutig geklärt worden sei, müsse – gerade, was die Kunst betrifft – die Meinungsfreiheit vorgehen. Der „selbstherrliche Zug“ des OB sei „verwerflich.
Heilig meinte auch, daß der Rechtstrend im allgemeinen politischen Geschehen sich nun auch „automatisch“ auf kulturelle Belange in Biberach auswirke. Und die Ängstlichkeit mancher Verantwortlicher der Stadt habe sich, wie Kaesdorf am Beispiel einer länger zurückliegenden Ausstellung im Museum ansprach, noch verstärkt, und auch Schmidt meinte, daß unbequeme Leute „abgestempelt“ würden, indem man Ausstellungsobjekte – wie bei der Jahresschau 75 geschehen – zurückweise, weil sie „sittlichen“ oder politischen Anstoß“ erregen könnten. Jeder – so ein anderer Teilnehmer –, der zukünftig in Biberach ausstellen möchte, müsse sich nach den Ereignissen um die Below-Ausstellung und der „Folge 2“ fragen, ob er ausstellen dürfe, was für sein künstlerisches Selbstverständnis wichtig ist. Die Funktion von Künstlern innerhalb einer bestimmten Gesellschaft sei auch dadurch charakterisiert, daß sie Impulse zu Veränderungen gäben, doch in Biberach schwebe mittlerweile „ein Damoklesschwert“ über ihren Köpfen.
Wenn durch solche Zensur-Maßnahmen, wie die Entscheidung des OB sie darstelle, die Konfrontation des Bürgers mit bestimmten Gedanken eines Künstlers verhindert werde, erweise man letztlich Demokratie und Freiheit – in deren Namen die Bilder entfernt worden seien – einen schlechten Dienst. Wenn der OB jetzt sage, daß man „die Leute zum Narren halte“, wenn sie in den letzten Tagen beim Besuch der Galerie leere Wände vor sich gehabt hätten, müsse man auch bedenken, daß durch das Fehler der Exponate ebenfalls Gedankenprozesse angeregt worden sein könnten, warum die Aussteller sich genötigt sahen, durch das Abhängen der Bilder gegen die Maßnahme des OB zu protestieren. In diesem Zusammenhang sprach Heilig auch noch davon, daß die Einschätzung der „Folge 2“ als „Wassersuppe mit Polit-Aroma“ den Exponaten kaum gerecht geworden sei, und auch das zeige, daß man sich allgemein scheue, nichtkonforme Meinungen anzuerkennen.
Gegen Ende der Diskussion wurde noch auf den zu gründenden Kunstverein eingegangen und gefragt, ob dann solche Maßnahmen zu vermeiden wären; wobei die Beteiligten sich jedoch darin einig waren, daß auch dann die Bedingungen, aus denen heraus die fragwürdige Entscheidung des OB resultiere, nicht aufgehoben seien. – kd
- Am frühen Vormittag noch grau, langsam drang Sonnenschein durch, der dann den ganzen Tag ohne jede Unterbrechung bediente. Sehr warm.
19.6.2002
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