15.6.2002
Ich flipperte im Winter und im Sommer, im Herbst und im Frühjahr. Es ging selten eine Woche ins oberschwäbische Land, in der ich nicht flipperte. "Ich geh mal’n bißchen flippern“ oder „Ich war beim Flippern“ waren so Sätze, die ich zu Falk, Gerd, Herbert, zu Kiki, Frank, zu anderen beiläufig von mir gab, um zu erklären, woher ich eben kam, wenn ich mich schon am frühen Abend in den „Strauß“ setzte oder wohin ich zu gehen beabsichtigte, wenn es mir im „Strauß“ zu langweilig wurde. Oft ging ich direkt von zuhause zum Flippern und Kickern; am späten Vormittag, so daß ich gegen dreizehn Uhr wieder in meinem Zimmer war, um zu Mittag zu essen, und am späten Nachmittags, manchmal sowohl als auch, wenn wieder die Unruhe, die ich spürte, mir zu verstehen geben wollte, daß ich über Lektüren und Manuskripten „das Leben“ versäume. Als ich bei der EVS arbeitete, ging ich nach dem Arbeitstag zum Kickern und Flippern; nicht jeden Abend, natürlich nicht. Doch schon auch. Als ich meinen Zivildienst Tag um Tag hinter mir ließ, führten meine Schritte mich vom Kreiskrankenhaus zum Marktplatz und dort in die Spielhalle hinein. Ich flipperte mit Genossen, Sympathisanten und Nichtgenossen. Mit Hans-Peter K., den ich seit 1972 kannte, als Uli W. und ich die SDAJ-Gruppe aufbauten und uns nicht scheuten, auch Mitglieder einer katholischen Jugendgruppe, von deren Existenz wir erfahren hatten und bei der wir potentielle Mitmacher bei unseren linken Dingen vermuteten (es war dann auch so), und Hans-Peter K. war damals einer aus der katholischen Gruppe, der aber später bei uns nie Mitglied wurde, traf ich mich mittags zum Tischfußballspielen, ohne daß wir uns definitiv verabredet hätten (auch das kam vor), wenn er, der in einem Zahnlabor in der Innenstadt eine Ausbildung zum Zahntechniker machte, seine Mittagspause hatte. Er war mittelgroß, nicht schön, nicht häßlich, mit offenem Wesen, stets gut aufgelegt und munter. Ich unterhielt mich gern mit ihm und kickerte auch gern mit ihm, denn er konnte kickern wie ich es konnte, gut bis hervorragend; so spielten wir fünf bis acht Partien hintereinander, bis er zur Arbeit mußte. Uns abwechselnd steckten wir die Münzen in den Kicker. Wir hatten Spaß. Ich flipperte und kickerte dann vor allem aus erotischen Gründen, denn ein großer schlanker Typ mit langen glatten Haaren und einem hübschen, eine Spur ins Feminine weisenden Gesicht eines Tags stand eines Tages in der Spielhalle an einem der Kästen, zwei junge Typen, die ich oft als seine Begleiter sehen sollte, die aber für mich uninteressant waren, standen daneben; mit ihnen als Partnern flipperte er, auch er hatte seinen Flipperfavoriten, dieser stand als letzter der Reihe in der stickigen Tiefe des Raums. Dieser Typ hatte es mir angetan, der hatte mein kühles Herz berührt. Bis zum Herbst 1974 war er, vor allen anderen Gründen, denn so mancher Knackarsch steckte dort in knallengen Jeans und, sommers, Shorts, die einen verstohlenen Blick wert waren, die Gesichter darüber hingegen selten, der schöne Grund meiner regelmäßigen Anwesenheit an diesem miefigen Ort, denn Flippern und Kickern ermöglichten mir, Blicke auf ihn zu werfen; Nebenbeiblicke, scheinbare, von denen ich hoffte, er würde sie nicht bemerken und gleichzeitig hoffte, er würde sie bemerken. Vielleicht hatte er sie auch bemerkt und machte sich seinen Gedanken, aber er tat nichts, was ich als positives Zeichen hätte deuten können. Nie sprach ich ihn an. Nur einmal, als ich, womöglich mit Hans-Peter K., kickerte, Monate waren schon verstrichen, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, kamen wir uns für drei Sekunden näher. Der Holzball wurde während des Spiels aus dem Kickerkasten geschleudert, kullerte zwischen vorbeigehenden Beinen in die Richtung des am Ende der Reihe stehenden Flipperautomatens, und ich hatte im Spiel wie abwesend rasche Blicke in jene Richtung geworfen, und nun wußte ich in dieser besonderen Sekunde, als ich sah, wohin der Ball gerollt war, nicht, was ich tun würde, würde ich meine Zurückhaltung endlich aufgeben, und ging die vier Schritte hinüber, und der hübsche Große mit den langen glatten Haaren hatte sich schon gebückt und den Ball aufgehoben und reichte ihn mir mit einem freundlichen Lächeln. Ich sagte ein „Danke“ und lächelte zurück, das Herz klopfte, ich wandte mich, wie leicht benommen, um, warf den Ball in den Tischfußballkasten, wir kickerten weiter. Ich war abwesend und verlor. Ich war ja so bescheuert. In den Wochen vor oder nach diesen Augen-Blicken kam ich sogar ins Gespräch mit einem der beiden Freunde des Hübschen, und auch diese Möglichkeit, über ihn mich ihm bekannt zu machen, versäumte ich; ich traute mich nicht und verfluchte meine Hemmungen. Dafür setzte ich mich dann im Frühsommer `74 an die Olivetti-Reiseschreibmaschine und begann, das ominöse Zwicken in der rechten Bauchseite, Blinddarmseite, spürte ich schon, jenen längeren Text, „Die Formierung der Gefühle“, den ich den Sommer hindurch schrieb, den die Bewunderung des Hübschen aus der nahen Ferne initiierte. Ich sublimierte eben. Ich sah den Jungen sporadisch auch im „Strauß“. Schrieb und konnte es nicht glauben, wie verkorkst ich war. Summer was gone, die unerklärlichen Schmerzen waren, so unerklärlich, wie sie sich eingenistet hatten, wieder fort, ich war Student in Stuttgart. Ich sah den Hübschen danach vielleicht alle fünf Jahre zufällig irgendwo in Biberach, längst lag die Spielhallenzeit hinter uns; auch er war geblieben, er hatte sich offenbar verheiratet. Das zu bemerken entlastete mich – sofern man sich nach so langer Zeit noch entlastet fühlen kann – von meinem Gefühl des damaligen Versäumnisses; „es wäre ja doch nichts geworden“.
- Zunächst Vormittagssonne, die von einem Regengrau mit Schauer (große Tropfen) verscheucht wurde. Langsam Aufhellung, Zwischenlicht, die Luft warm-feucht. Das Sonnenlicht strahlte dann durch, etablierte schönes Wetter, Wind kühlte die Fast-Hitze. Nachmittags bis in den Abend schwul (ab Motzstraße).
15.6.2002
- Zunächst Vormittagssonne, die von einem Regengrau mit Schauer (große Tropfen) verscheucht wurde. Langsam Aufhellung, Zwischenlicht, die Luft warm-feucht. Das Sonnenlicht strahlte dann durch, etablierte schönes Wetter, Wind kühlte die Fast-Hitze. Nachmittags bis in den Abend schwul (ab Motzstraße).
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15.06.