7
Jun

7.6.2002

Im Frühjahr `74 sprach Falk Burhenne Klaus Leupolz auf dem belebten Marktplatz von Biberach an, unter bestem Frühlingssonnenschein, ob seine Mutter in Leupolz‘ „Galerie Kuckuck“ ausstellen könne. Klaus L. und ich waren noch nicht miteinander befreundet. Freilich war er mir bekannt; er war der ganzen Stadt bekannt. Die „Aktion Fortschritt“, eine Folgeerscheinung der APO-Geschehnisse in Biberach, hatte sich 1971 zusammengefunden, um gegen die konservative CDU-Politik im Gemeinderat anzutreten. In ihren Veranstaltungen zur Gemeinderatswahl hatte er mit poetisch-clownesken Flötenspieleinlagen und ironischen Äußerungen zur allgemeinen Erheiterung und Erbauung beigetragen und das Erscheinungsbild dieser „alternativ“ zusammen gewürfelten Truppe mitgeprägt. Ich hatte diese Ereignisse nur aus der Entfernung beobachtet, sie waren mir nicht links genug gewesen. Zwei Tage nach der Wahl war ich vor dem Aushangkasten der lokalen Zeitung gestanden und hatte die Wahlergebnisse studiert; die „Aktion Fortschritt“ hatte beachtliche Stimmen einfahren können, hinter dem Namen Leupolz hatten sich so viele angesammelt, daß er erstaunlicherweise ins Stadtparlament hätte einziehen können – wie bekannt wurde, überließ er seinen Sitz einem „Fraktionsfreund“.
Stämmig und mittelgroß, vierundvierzig Jahre alt, in roten oder gelben Hosen, mit breiten Hosenträgern, die über das T-Shirt liefen, das die behaarte Brust spannte, in Sandalen, stand er vor uns, hörte sich Falks Anliegen mit etwas mürrisch-skeptischer Miene und leicht zusammengekniffenen blauen Augen unter buschigen Brauen an – seine Gesichtslinien, schon etwas mißbilligend herabfallende Wangen im gebräunten, vollen, aber nicht runden Gesicht, ein stets etwas spöttischer Zug um nicht zu dünne Lippen zeugten von der sarkastischen Beurteilung der Welt – und sagte in einer typisch schwäbischen Stimme etwas von „muß ich ansehen“, „zeig mir was von ihr, dann unterhalten wir uns mal“, und setzte mit kräftigen Schritten seinen Gang zum Marktbrunnen fort – der war in den frühen siebziger Jahren der beliebte Treffpunkt aller „Marktbrunnenhocker“ (Freaks, Haschischbrüder und -schwestern, jugendliche Nichtstuer eben und Tagediebe), über denen, als eine Art unfreiwilliger Schirm- und Schutzherr, der einst graue, eines Nachts von nie ermittelten Tunichtguten bunt bemalte Steinritter auf der wasserverspritzenden Säule stand –, um dort als eine Art Guru, denn er war weitgereist und in den buddhistischen Mysterien erfahren, lebensberatend zu wirken.
- Regentrüb der ganze Tag und Abend, ohne Regen. Merklich kühl. Das Unwetter, das in anderen Teilen der Republik gewütet hatte, war in Berlin nicht angekommen.
7.6.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
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