30
Mai

30.5.2002

Ungefähr in jener Lebenszeit, in der ich diese Comics mochte, spannte ich einmal unter der Woche, wenn der Mai seine letzten Tage verlor, der Juni wärmere versprach, die flache Trommel der Schützentrommler auf den Gepäckständer des blauen Fahrrads, und Helmut K. und Heinz-Wolfgang B., die vor dem Haus auf der Straße auf ihren Rädern warteten, und ich flitzten die Gaisentalstraße, den Bismarckring bis zur Kreuzung mit der Ulmer Tor-Straße hinunter, wir fuhren nach links in diese hinein, an der Post vorbei, über den „Eselsberg“, die Straßenbrücke, die die Bahnlinie (Ulm – Friedrichshafen) überquert, im Bogen nach rechts auf die Memminger Straße, und hinter dem Freibad, dessen Wasser mich kühl ließen, wieder nach links einen steinigen, sandigen Feldweg hinauf zum Fohrhäldele, einem Waldstreifen auf Dreiviertel der Anhöhe; dort übten Schützentrommler und Schützenpfeifer ihre Märsche ein, die, Ende Mai, Anfang Juni, schon ganz gut „saßen“, wenn auch noch nicht zum völligen Wohlgefallen von „Herrn Kehle“, wie der mittelalte, mittelgroße Mann, gewöhnlich in einen nicht mehr ganz neuen Anzug gekleidet, im Dialekt der Jungenzungen angeredet wurde, der seit Jahren damals schon sein Ehrenamt als Ausbilder wahrnahm; der Trommler nur, die Pfeifer hatten einen anderen. „Dô hott’s no Radda“, pflegte er trocken festzustellen, „da hat’s noch Ratten“, wenn die Schlegelschläge nicht rhythmisch exakt auf’s Trommelfell fielen und die Märsche – erster, zweiter, dritter, vierter und Schlegelmarsch, die „Locke“ nicht zu vergessen – nur „gerührt“, unsauber geschlagen hinunter ins Tal klangen. Zunächst brachten die, die mindestens schon das vergangene Jahr getrommelt hatten und „Alde“ genannt wurden, den Neuen, „de Neie“, die jedes Jahr dazu kamen, und „Alde“ verließen den Trommlerzug, das richtige Halten der schweren schwarzen Schlegel zwischen den Fingern bei, Voraussetzung für das korrekte Trommeln, danach die verschiedenen Tricks, wie die Schlegel auf das Fell zu schlagen seien, um bestimmte Schläge hervor zu bringen, die Wirbel ausdauernd und pointiert in die Länge ziehen zu können und was der Trommelkunst noch zu eigen war und ist. Auch meine beiden Freunde und ich waren im zweiten Jahr „Alde“; „de Alde“, wie Herr K., dem ganzen Trupp gerne kundtat, wüßten, wie es dann während der Festtage zuginge, „de Alde“ kennten dies und jenes, „de Alde“ würden ja verstehen, was er meine, wenn ihm ein Witzchen entschlüpft war, das eine gewisse Anzüglichkeit beinhaltete, „de Alde“ grinsten, denn „de Alde“ wußten Bescheid, als Frühpubertierende. Das Proben geschah erst einmal in Grüppchen, die sich zwischen die Bäume des Wäldchens stellten, in dem in jeder Ecke verschiedene Schlagfolgen erschallten und aus dem ein beunruhigendes, dumpfes Dauergeräusch aufstieg; für eine halbe Stunde etwa. Dann traf sich alles vor dem Wäldchen auf dem Weg, nun wurde das Gelernte im Zusammenspiel der ganzen Mannschaft geübt. Die Pfeifer hatten ihren Waldteil, aus dem es zirpte und pfiff, flötete und kreischte, als würde sich ein wild gewordener Schwarm unbekannter Jungvögel in den Federn liegen. Oh ja, wenn dann alle hintereinander in Reih und Glied standen, die Trommler vor den Pfeifern, und loslegten, dann konnte, bei diesem Stand der Übungen, ein unten an der Memminger Straße Vorbeigehender manchmal der Ansicht sein, dort oben fände ein undefinierbares Grummeln mit Rattenfiepen statt. Aber er hätte es freilich besser gewußt: „‘s schützelet“, hätte er gedacht und sich gefreut. Mitte Juni dann marschierten nicht nur die Schützentrommler und -pfeifer übungshalber durch die Randbezirke der Stadt und auch durch deren Gassen, hin und wieder, auch die anderen Gruppen zeigten, noch „in Zivil“ daherkommend, der Feierabendbevölkerung, was sie konnten – WG-Trommler, Schweden, das „Harmonieorchester Gögler“, das neu gegründete Trommler- und Pfeifercorps des „PG“, des Mädchenprogymnasiums, das (wenn’s sein muß, dachten wir 1966, nun bei der „Kleinen Schützenmusik“ unsere Schlegel schwingend) eine Mädchentruppe war; und wenn‘s an einem sonnig-milden Juniabend von fern her aus den vier Himmelsrichtungen spielte, trommelte, pfiff, war jedem, der es hörte, sonnenklar: `s schützelete.
- Ein sonniger und milder Tag, mit schwachem Wind.
30.5.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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