29.5.2002
In der Bürgertumstraße, in Biberach, nicht weit von der Kirche in der Mitte der Stadt entfernt, gab es zu Beginn der sechziger Jahre einen engen Laden, dort, wo seit Jahren und Jahrzehnten wohl schon eine Bäckereifiliale ihre Brote, Brötchen und süßen Stückchen zum täglichen Verzehr verkauft, der Bonbons, Lakritze, Süßigkeiten verschiedener Art und Krimskrams und überhaupt ein buntes, wörtlich sei das zu verstehen, Sortiment an allerlei Kleinwaren feil bot, auch Wundertüten. Die lagen links vom Eingang unter Regalen. Wenn das Taschengeld reichte, betrat ich den Laden und kramte in der Anzahl von Wundertüten, in denen, so viel war klar, Comics steckten, aber welche? Der Laden hatte – so war es doch? – Comicwundertüten und normale, in den normalen war allerhand Tand, Kinderspielzeug en miniature und Ähnliches, eingepackt. Ich versuchte durch Betasten der Wundertüte herauszufinden, wie groß der Inhalt der Comictüten etwa war, denn an der Größe konnte ich ahnen, aus welchen Serien das Heft war, das hervor zu ziehen, nach dem Kauf der flachen Tüte, auch eine nicht so begehrte, nicht so wunderbare Überraschung bereiten konnte. Ich hatte Favoriten, nahm aber auch zweitklassige Wunder gern an. „Sigurd“, „Falk“, „Nick der Weltraumfahrer“, die Favoriten, waren „Piccolos“, kleinformatige streifenartige Heftchen, und besonders begehrt „Sigurd“, der mittelalterliche Ritter, der seine Kämpfe gegen Unholde und schurkische Verräter focht, der interessanteste Held; nicht nur für mich. Obwohl – „Falk“ war auch nicht schlecht, auch er ein guter Held und Ritter. Er war dunkelhaarig und nicht blond wie der Falk, mit dem ich im nächsten Jahrzehnt befreundet sein sollte. „Sigurd“ hatte, später urteilte man über diese Serie auch so, als die Preise für sie auf Händlermessen in beachtliche Höhen stiegen, Kultstatus, nur kannten wir diesen Begriff natürlich nicht. „Sigurd“ war in den Fünfzigern des 20. Jahrhunderts einer der berühmtesten und beliebtesten Comicserienhelden. Die „Meteor“-Hefte, im Format etwas kleiner als Schulhefte, boten Weltraumabenteuer; wie „Nick der Weltraumfahrer“ (eine „Piccolo“-Serie), der war ein bißchen naiv. Die „Meteor“-Serie war im Original eine französische; der Zeichenstil gefiel mir nicht übel. Immer wieder klafften Lücken im Erzählfluß, weil mir nächstfolgende Hefte nicht in die Hände fielen. Ich verschlang sie unten im Fahrrad- und Abstellraum des Lindelestraßenhauses, heimlich, versteht sich, denn meine Mutter wollte nicht, daß ich solchen Schund las; und diese Heftchen waren für sie Schund, doch die „Micky Maus“- und „Fix und Foxi“-Hefte hatte sie mir, als ich noch kleiner gewesen war, selbst gekauft, die hatte ich, wenn ich mit Mumps oder erkältet mit Fieber im Bett lag, sehr gern gelesen und betrachtet. Donald, der ewige Verlierer, war immer eine meiner Lieblingsfiguren in meinem Kindercomickosmos gewesen. Manchmal zog ich aus der Wundertüte auch ein „Flash Gordon“-Heft, alles wurde verinnerlicht. Auch durch diese „utopischen“ Heftchenserien wuchs allmählich die Faszination an diesem Erzählrahmen, an solchem Design der technischen Utopie. So wird man Science Fiction-Leser. Mir ist schleierhaft, warum ich die Heftchen nicht mehr habe. Kam meine Mutter mir auf die Schliche, hatte sie sie in den Schubladen eines vergammelten Küchenschranks, der im Abstellraum an der Wand stand, entdeckt und vernichtet? Wann hätte das geschehen können? Eines Tages waren die Heftchen nicht mehr an ihrem Ort, wahrscheinlich ärgerte ich mich darüber, dann vergaß ich sie. In den Achtzigern erinnerte ich mich an sie und ärgerte mich wieder, denn diese Schwarzweiß-Comics (nur ihre Titelblätter waren farbig) hätten mir, der ich permanent Geld brauchte, ein Sümmchen einbringen mögen.
- Ein sonniger, freundlicher, frischwindiger Tag, trotz der Verschattungen da und dort, und nicht so kühl wie der gestrige.
29.5.2002
- Ein sonniger, freundlicher, frischwindiger Tag, trotz der Verschattungen da und dort, und nicht so kühl wie der gestrige.
29.5.2002
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