26
Mai

26.5.2002

Als ich die Schneiderwerkstatt wieder betreten hatte, schlug W. eine Abänderung im Entwurf vor, mit der ich einverstanden sein konnte. Ich leistete eine Anzahlung. Falk und Gerd hielten inzwischen von unserer Kneipenidee eines Gemeinschaftsauftritts nicht mehr viel und nahmen davon Abstand, sie mit Bestellungen von Mänteln in die Tat umzusetzen; ich hatte es vermutet. Aber mir war ein exklusives „Modellmäntele“, wie Barbara, die „Strauß“-Wirtin, dann einmal, mit zartester Ironie nur, sagte, die etwa 400 Mark wert, die das gute Stück zwei Wochen nach der Anprobe kostete. Die eine Hälfte des Betrags konnte ich aufbringen, die andere steuerte meine Mutter bei. Der Mantel kleidete mich vorzüglich. Er war etwas kürzer als die weiten Schlabbermäntel der Kinoschurken, Kinohelden, so erkannte, was auch mir lieb war, niemand die ursprüngliche Absicht, aus der heraus er entstanden war. So weiß ummantelt schritt ich bis in die achtziger Jahre durch Biberach. Ich trug einen klasse Mantel, wie es ihn kein zweites Mal gab, in Biberach sowieso nicht, auch in Oberschwaben, Schwaben, in Baden-Württemberg nicht, nirgends. Er war eben ein Unikat. Er machte Eindruck. „Der Klaus sieht so großstädtisch in seinem Mantel aus“, sagte der Vater von Helmut K., sagte mir meine Mutter, Jahre danach. „Der rennt rum wie der Papst“, habe jemand zu einem meiner Bekannten gesagt, was dieser mir, später, zutrug. Kleider machen Leute. Ich trug meine dunklen Haare längst wieder sehr lang, einen Schnauzer, den weißen Mantel. Auch den hatte ich nötig. Auch Stuttgarter kamen dann in den Genuß dieses Anblicks. Der Mantel war okay. 1984 war ich in ihm noch ein paar Mal zu sehen, danach legte ich ihn ab. Ich habe ihn noch. Kleine Stockflecken beeinträchtigen das nicht ganz weiße Weiß des haltbaren Stoffes vom Schneider Wagenhals. Aber nicht wegen der Flecken ziehe ich ihn nicht mehr an. Er ist ein Signifikant meines Lebens in den Siebzigern, ich käme mir komisch vor, in des Wortes eigentlicher Bedeutung, würde ich in ihm durch Berlin-Mitte gehen. Vielleicht sollte ich das aber einmal ausprobieren; auf die eine oder andere Weise würde er mir sofort wieder Aufmerksamkeit zufallen lassen. Ich weiß aber nicht, ob mir überhaupt eine der Weisen, welche auch immer, gefiele.
- Regnerischer Tag, mit Nieselregen, der sich nie erhellte; der Tag.
26.5.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
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