22
Mai

22.5.2002

War es noch Ende Dezember 1973 oder im Januar 1974, als ich an einem Samstag Abend, spät gegen dreiundzwanzig Uhr, von unerklärlicher, fast panischer Unruhe getrieben, mich, schon mit Alkohol im Blut, aber wann hatte ich keinen Alkohol im Blut, hastig bei Falk mit der Bemerkung, ich müsse schnell mal nachhause gehen, verabschiedete (der Club war zum Bersten voll) und durch die nächtliche Schneelandschaft des Gigelbergs eilte, zum Haus und zur Wohnung in der Lindelestraße? Ich wußte nicht warum, ich hatte keinen konkreten Grund, aber ich fürchtete, daß vielleicht etwas nicht in Ordnung sein könnte, mit meiner Mutter. Es gab keine aktuelle Ursache anzunehmen, daß womöglich etwas Schlimmes geschehen wäre, etwas, das ich seit Jahren schon insgeheim fürchtete, und das nur die unterschwelligen Gedanken, die oft gar keine voll ausgedachten Gedanken waren, sondern eben unterhalb der Schwelle des auf den Alltag sich eingestimmten und ihn bewältigenden Bewußtseins lagen, lauerten, vorhanden war. Es waren dies Gedanken, die als solche nur dann diese Benennung ihrer Erscheinungsform zu Recht trugen, wenn man den Ahnungen und Empfindungen, die eine halbschlafähnliche Existenz unter den kräftigen und sehr bewußt daher kommenden Vollgedanken leben, auch den Status von – Schwingungen vielleicht, die erst zu Gedanken sich bilden wollen, allmählich, zugestehen mag. Solche Halbgedanken, wie man sie auch charakterisieren könnte, beeinflussen unsere Handlungen, indem sie auf die schon geltenden Gedanken, die wir, in ihrem fast schon halbaxiomatischen Anspruch auf unser Denken, öfters haben, als uns wiederum bewußt wird, mehr, als wir annehmen möchten, vielleicht, weil sie den Gedanken, die sich gegenseitig so vertraut sind, daß sie mit einer gewissen Gleichgültigkeit und Ermüdung miteinander Umgang pflegen, etwas Neues, Frisches, und Gefährliches auch, zukommen lassen, wenn eine Berührung erst einmal erfolgt; aus der Überraschung heraus, die eine Gemeinschaft von einander bekannten Gedanken erfährt, wenn solch ein Halbwesen von Gedanke, die ein wenig amorphe und noch in ihrer Gestalt nicht völlig zu erkennende Zwittererscheinung sie tangiert und sie mit ihrer seltsamen Eingebung infiltriert, gehorchen sie dieser, und der Mensch handelt dann auf eine Weise, die ihm deutlich macht, denn er kann sie reflektieren, daß mehr in ihm schlummert, als er wahr haben möchte. – Nach zwanzig Minuten war ich wieder unten im Club. Zuhause war alles in Ordnung gewesen.
- Heißer Tag. Haufenwolken ruhten unter dem weißlich getönten Himmel über Berlin.
22.5.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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