29
Apr

29.4.2002

Drei Jahre zuvor hatte ich am Ende des Aprils drei Monate meines Zivildienstes hinter mir und drei noch abzuleisten. Am 31. Januar 1973 hatte ich diesen Dienst am Allgemeinwohl im Biberacher Kreiskrankenhaus angetreten. Die Stelle hatte ich mir während des Winters über den Jahreswechsel von `72 auf `73 besorgt, weil es angenehmer war, als „Heimschläfer“ die Nächte im vertrauten eigenen Bettchen als irgendwo in einer kümmerlichen Unterkunft, in irgendeiner fremden Stadt, zu verschlafen, außerdem hatte ich darauf zu achten, nicht etwa, weil die Partei mich dazu aufgefordert hätte, sondern aus eigenem Interesse, daß die linke Bewegung in Biberach keinen Schaden nahm. Und das Bundesverwaltungsamt, zuständig für die Organisation des Zivildienstes, hatte auch etwas davon: für sie wurde meine Dienstzeit billiger.
Die Tage begannen nach den Monaten der Zwischenzeit, in der ich mich, gemütlich im Biberacher Tageslauf wieder eingebettet, um die Belange der Gruppe gekümmert, gelesen, Rezensionen geschrieben, im „Strauß“ und im „Rebstock“ gesessen hatte, wieder früher. Um sieben Uhr dreißig oder erst um acht Uhr? Ich war als Hilfshausmeister dem Krankenhaushausmeister unterstellt, einem zu kurz geratenen älteren Schwaben mit, wenn ich nun nichts Falsches von mir gebe, einer Glatze und nicht gar so fein geschnittenen Zügen im Antlitz, der in seinem grauen Meistermantel, der mich sofort an das Auftreten meines Erzeugers in den Hallen und Gängen von „Kaltenbach & Voigt“ am Bismarckring erinnerte, durch die Krankenhausgänge und -räume wuselte und der, wenn ihm gerade keine andere Arbeit für die beiden Zivis, denn wir waren zu zweit dort, die langhaarigen, einfiel, die Worte: „Fäega! Fäega!“ ausstieß, die bedeuteten, daß wir die Besen ergreifen und den mit Platten bedeckten kleinen Vorplatz vor dem damals noch, als der Neubauteil des Krankenhauses noch nicht gebaut worden war, an der Riedlingerstraße gelegenen Haupteingang, zu dem von der Straße – einen nicht sehr hohen Hang hinauf – ein Weg führte, ebenfalls plattenbedeckt, der ebenfalls mit „Fäega! Fäega!“ gemeint war, fegen sollten. Wir taten dem guten Mann sogar den Gefallen; meistens. Dann schwangen wir die Besen gemütlich hin und her, eine Betätigung an der frischen Luft, im Gegensatz zu der, die an manchen anderen Orten, drinnen im lang gestreckten Gebäude, miefte, zu schweigen von der, die im Verbrennungsraum waberte. In diesem Kellerraum wurden keine Leichen verbrannt (die lagen friedlich, aller Sorgen ledig in einem Nebenbau), sondern die blauen und roten Plastiksäcke voller Müll, der in einem Krankenhaus täglich so an- und in diese Säcke hineinfällt – Wattebäusche, Binden, leere Medikamentenschachteln, Taschentücher, Verbandsmaterialien, Pflaster, Gummihandschuhe, Spritzen u.v.m.. Die Ausbeute jeden Vormittag war beträchtlich. „Ein Jahr später schob ich schon seit zwei Monaten Tag für Tag einen länglichen Karren mit tiefer Ladefläche – “; dieser am 11.4. abgebrochene Anfang einer neuen Notiz hat sich auf den Zivildienst bezogen, und weil dieser unabgeschlossene Satz vor einigen Tagen einen Anfang hätte einleiten sollen, der im Zeitsprung zu einem anderen Punkt in meiner Zeit geführt hätte, beende ich mit ihm die heutige Aufzeichnung, ohne ihn in der Modifikation „Ende April 1973 schob ich schon seit drei Monaten Tag für Tag einen länglichen Karren mit tiefer Ladefläche“ zu vervollständigen, obwohl dieser Satz nun erzählerisch sinnvoll angefügt werden könnte, denn ich lese jetzt lieber in Ronald Haymans Proust-Biografie von 1990 weiter, auf Seite 514.
(Ronald Hayman, Marcel Proust, Die Geschichte seines Lebens, Suhrkamp taschenbuch 3311, Erste Auflage 2002, Suhrkamp Taschenbuch Verlag)
- Aprilwetter. Das Licht fiel wie in Morsezeichen auf Berlin, an – aus, ananan – aus, kurz – lang, usw., die zerrissenen Wolken waren die Blenden. Sehr windig, kühl.
29.4.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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