23.4.2002
Ich war zurück in Biberach, begoß meinen 21. Geburtstag und kümmerte mich wieder um die SDAJ-Gruppe. Die DKP mußte im Bundestagswahlkampf unterstützt werden. Im Juni `72 hatte ich im mit Wandzeichnungen des vormaligen Gymnasiasten geschmückten Souterrainzimmer von Uli W., der an jenem Wochenende im elterlichen Haus gewesen war, den Aufnahmeantrag unterschrieben, der mich dann zum Mitglied der orthodox marxistischen Partei gemacht hatte, die 1968 als Nachfolgepartei für die 1956 verbotene KPD gegründet worden war. Zu dieser Zeit war noch Kurt Bachmann Vorsitzender der DKP gewesen. Uli W., dessen linke Karriere als Anarchosyndikalist begonnen hatte, war nun überzeugter von der DKP-Linie als ich, der ich noch zögerte, den Schritt in diese Partei hinein zu tun, denn nicht alles an ihr behagte mir, meinte, nun sei die Zeit aber gekommen, um den vor einem guten halben Jahr gefaßten Plan, Biberach zu einer Ortsgruppe dieser Partei zu verhelfen, allmählich konkret werden zu lassen. Alles mußte damals in linken Kreisen, früher oder später, besser früher, “konkret“ werden. Ich las die Zeitschrift „konkret“ nicht regelmäßig. War ja auch immer eine Geldfrage. Sold, ein Nichts sowieso, bekam ich nicht mehr, einen Job machen wollte ich nicht; wie eigentlich konnte ich mich abends in den „Strauß“ setzen? Einmal in der Woche trafen sich die sieben oder acht Engagierten der SDAJ-Gruppe; solche Gruppen waren ja auch, überall, Orte einer „Freizeitgestaltung“, die einen höheren Sinn für sich beanspruchte. Denn natürlich entstanden aus diesem häufigen Zusammensein Freundschaften; die wurden aber nicht als solche definiert und verinnerlicht, sondern als solidarische Bindungen der Großen Sache zuliebe. Ein Gruß allerdings hieß: „Freundschaft!“. Ein anderer „Druschba!“ Man unterzeichnete Briefe und Hinweise auf das nächste Treffen – man kam in Gastwirtschaftsnebenzimmern zusammen, aber nicht ausschließlich – auch gerne einmal mit „Rotfront!“ Die geballte Faust konnte der Empfänger, sogar die Empfängerinnen, denn solche gab es zeitweilig auch, sie entfernten sich aber wieder schneller als Empfänger, sich dazu denken. Ich weiß nicht mehr, was alles besprochen und beschlossen wurde. Leider habe ich keine Unterlagen mehr aus jener Zeit, mit der Ausnahme weniger Exemplare des „Roten Bibers“ (der ballte seine Faust aber erst 1973 und 1974) und einiger Schriebe, Adressenkarten und Ähnlichem, einiger Thesenpapiere, gedruckt oder hektographiert auch, aus der Parteihierarchie, die hüte ich in meinem Archiv. Ich weiß aber, wo alles verblieben war; davon später. Und alles plaudere ich sowieso nicht aus, allein aus Diskretionsgründen, die vom halbkonspirativen Denken jener Jahre übrig geblieben sind. Ich war Berufsrevolutionär geworden und noch der einzige DKP-Mann im Ort, denn Uli W. gehörte einer Hochschulgruppe in Stuttgart an. Als beurlaubter Soldat fand ich das apart. De facto war ich kein Soldat, und noch kein Zivi. Ich war in ein Zwischenreich der Bürokratie und des Rechts geraten, wo ich wühlen und unterwandern konnte, gemäß Dieter Süverkrüps Zeile in seinem Song „Der Kryptokommunist“: „Und dann zieht der Kryptokommunist die Unterwanderstiefel an ...“ Apropos Stiefel: seit meiner Bundeswehrzeit blieb mir eine fetischistische Vorliebe für blank geputzte Springerstiefel erhalten, die ich aber mit schwarzen, nicht weißen ..., Schnürsenkeln binde. Ich trage solche Stiefel noch heute, jetzt, in diesem Augenblick, als Fünfzigjähriger. Ich finde, sie kleiden mich vorzüglich, obwohl Freunde seit eh und je darüber lästern. Letztes Jahr im Sommer, als ich, der ich seit meinem Besuch beim Friseur in Bayreuth nie wieder einen solchen aufsuchte – mit einer Ausnahme: nach dem Tod meines Erzeugers im August 1977 ließ ich mir, meiner Mutter einen Gefallen nicht ausschlagend, die damals sehr langen Haare etwas kürzen, für die Begräbniszeremonie – , langhaarig, in Stiefeln und angetan mit hellem Trench, von der U-Bahn-Station Bernauer Straße zu meiner Wohnung gegangen war und einen Berliner Mitpassanten mit Hund überholt hatte, hatte dieser seinem Köter laut und so, daß ich es hören sollte, gesagt: „Ledermann, der auf Trenchcoat umgestiegen ist.“ Mit der Lederszene habe ich doch gar nichts, trotz Lederjacke und Springerstiefeln, zu tun! Diese boots verleihen ihrem Träger aber, wie ich es in Bayreuth und drum herum zu schätzen gelernt hatte, einen festen Tritt; beim Gehen, auch sonst. Ich bereute es nie, mich an der Sammelbestellung meiner Stubenkameraden beteiligt zu haben. Freilich trage ich nun eine Nachfolgegeneration. So stand ich einmal, im Herbst 1972, vor dem Wieland-Gymnasium zu Biberach an der Riß in meinen hochgeschlossenen Stiefeln, deren Schäfte die hochgekrempelten Jeans frei ließen, mit einer Baskenmütze, an die ich einen roten Stern drapiert hatte, schräg auf den wieder wachsenden Haaren und verteilte SDAJ-Flugblätter an die Schüler, als sie mittags den grauen Kasten verließen, und konnte hören, wie einer von ihnen, das natürlich gut, weil von mir getextete Flugblatt immerhin nicht sofort wegwerfend, zu dem, der neben ihm ging, sagte: „Hosch du den gsea, en seine Stiefel? Oglaublich.“ Tja, so trat man zünftig auf, als Berufssozialist.
- Sonnentag, über den nachmittags große, fleckenweise dunkel schattierte Kumuluswolken zogen. Vor 18 Uhr ein Minutenregen, heftig, aus der Sonnenhelligkeit, einem Gewitterschauer ähnlich, danach anhaltend „schön“. In der Dämmerung Eintrübung.
23.4.2002
- Sonnentag, über den nachmittags große, fleckenweise dunkel schattierte Kumuluswolken zogen. Vor 18 Uhr ein Minutenregen, heftig, aus der Sonnenhelligkeit, einem Gewitterschauer ähnlich, danach anhaltend „schön“. In der Dämmerung Eintrübung.
23.4.2002
23.04.