19.4.2002
Ich konnte mich aber beherrschen, wie ich mich stets beherrschte. Während mehrtägiger, mehrnächtlicher Übungen lagen wir zu zweit in kleinen Zelten in verschiedenen Wäldern. Mir war aber nicht romantisch zumute, den Typen neben mir, wie ich sie inzwischen kannte, auch nicht. Wir fluchten oft, aber mit Ironie. Einer von den beiden aber, die ich erwähnt, aber nicht beschrieben habe, nicht sehr hübsch, aber irgendwie etwas weich im Wesen, wäre wohl zu haben gewesen; für Sekunden, die vorübertickten, geriet ich in Versuchung. Es wäre unter uns geblieben, natürlich, das spontan Unnatürliche. Andere Male, während der vier Wochen im „Steinwald“, mitten im Bayrischen Wald, während der längsten Übung, die wir je hinter uns brachten (in meinen Monaten), dort im ehemaligen Hotel, das als Ausbildungslager diente, lag ich in einem Ehebett mit ihm; wir waren Partner, was die Schlafplätze anging..., das war nicht unerotisch, womöglich empfand er ebenso, obwohl er, natürlich, die übliche Freundin hatte, zuhause, lästerte unser kleines Stubendickerchen: „Die liegen zusammen wie Schwuuule!“ Ich konterte kühl. „Wenn du wüßtest, Dicker“, dachte ich. Ich war der in-offizielle Gruppenführer, wenn ich das hier schreiben kann, ohne daß ich eines SS-Jargons geziehen werde. Die Jungs hörten auf mich.
Dem Dicken trug ich dann, so menschen- und kameradenfreundlich war ich in jenen Jahren, aus lauter Mitleid über längere Strecken, als wir 120 Kilometer heimwärts vom Wald nach Bayreuth marschierten, sein Kampfgepäck, seine Knarre nahm einer aus der Gruppe zu seiner dazu; ich schleppte sein „Geraffel“ über die Brust geschnallt, denn im Rücken hing mein eigenes. Herrliche Hügel humpelten wir hinauf und hinab. Wir trugen die Sachen des Dicken, weil wir vorankommen wollten. Er schnaufte uns lamentierend hinterher. Nach zwanzig Kilometern hatten wir offene Blasen an den Füßen; daran waren wir gewöhnt. Wir gingen nur weiter. Die Socken steckten, von Schweiß und Blut getränkt, in den Springerstiefeln, die wir nie auszogen; das war der Trick dabei. Wir hätten sie nicht mehr drüber bekommen. Wir latschten als Gruppe solo nach Bayreuth. Ich hatte die Karte, unser Kräftigster trug das Funkgerät; zusätzlich zum sonstigen Gepäck, das sein Gewicht hatte. Das G3 war mir so vertraut, als trüge ich einen Stecken durch’s Land. Unteroffiziere waren nicht dabei, wir mußten den Weg ohne sie finden; Teil der Übung. Nach zwei oder drei Stunden übernahm ein anderer das Zeug vom Dickerchen, so wechselten wir uns ab. Drei Tage benötigten wir, um Bayreuth nahe zu kommen. Ich machte dann noch einen Kartenfehler und schickte meine Jungs ein paar unnötige Kilometer mehr herum, vielleicht, weil’s so schön war. Schönes Wetter war ja. Wir schwitzten schön. Aus dem Funkgerät kam schließlich: „Verdammt, wo seid ihr?! Die anderen sind schon da!“ Ich sah auf der Karte nach – oha. Die Jungs waren nicht gar so sauer, sie verziehen mir, schon deshalb, weil uns aufgrund der Verspätung ein Fahrzeug abholte. In der Kaserne zogen wir ächzend die Stiefel aus. Ende dieser Schilderung.
Das passierte mir im Juli 1972. Erst nach sechs Wochen, im Mai, hatten wir zum ersten Mal Heimaterlaubnis erhalten. Fünf Wochenenden waren wir, in zivil, in Bayreuth herum gelungert. Ich besah mir die Stadt, die in mir keinen Eindruck hinterließ, trotz Wagner. Ich blieb an Wochenenden sogar in der Kaserne, las und trank Bier auf meiner Pritsche, ging in die Kantine. Keiner wollte etwas von einem. Ich lernte andere Gesichter aus anderen
Kasernenbereichen von denen in unserer Kompanie zu unterscheiden. Es war öde. Post kam aus Biberach, Ch. G., den alle nur „Kiki“ nannten, schrieb Postkarten, vielleicht zwei, berichtete, wie die Dinge in der SDAJ-Gruppe standen und welche Aktionen vorgesehen waren. Kiki war nett. Ein großer, schlaksiger Junge, damals noch in einer der letzten Gymnasiumsklassen (Wieland-G.), mit halblangen blonden, ein wenig strähnigen Haaren, vollen Lippen, die er über den weißen Zähnen spöttisch schürzte.
Sein Lachen war nett und kippte gern in eine etwas höhere Stimmlage, deshalb: Kiki. Ich schrieb zurück, gab meinen Rat zu den Plänen dazu. Ich wurde körperlich fit. An einem Freitag im Mai fuhr ich nachmittags von Bayreuth nach Biberach. Abends kam ich an. Den Samstagabend verbrachte ich zwischen neugierigen Genossen im „Strauß“. Am Sonntag nach dem Mittagessen fuhr ich zurück. Die Fahrten kosteten nichts.
- Heute das Wetter ähnlich dem gestrigen. Dünnes Sonnenlicht vormittags, dann Eintrübung, zwischendurch wieder Sonnenlicht. Es wird wärmer.
19.4.2002
Dem Dicken trug ich dann, so menschen- und kameradenfreundlich war ich in jenen Jahren, aus lauter Mitleid über längere Strecken, als wir 120 Kilometer heimwärts vom Wald nach Bayreuth marschierten, sein Kampfgepäck, seine Knarre nahm einer aus der Gruppe zu seiner dazu; ich schleppte sein „Geraffel“ über die Brust geschnallt, denn im Rücken hing mein eigenes. Herrliche Hügel humpelten wir hinauf und hinab. Wir trugen die Sachen des Dicken, weil wir vorankommen wollten. Er schnaufte uns lamentierend hinterher. Nach zwanzig Kilometern hatten wir offene Blasen an den Füßen; daran waren wir gewöhnt. Wir gingen nur weiter. Die Socken steckten, von Schweiß und Blut getränkt, in den Springerstiefeln, die wir nie auszogen; das war der Trick dabei. Wir hätten sie nicht mehr drüber bekommen. Wir latschten als Gruppe solo nach Bayreuth. Ich hatte die Karte, unser Kräftigster trug das Funkgerät; zusätzlich zum sonstigen Gepäck, das sein Gewicht hatte. Das G3 war mir so vertraut, als trüge ich einen Stecken durch’s Land. Unteroffiziere waren nicht dabei, wir mußten den Weg ohne sie finden; Teil der Übung. Nach zwei oder drei Stunden übernahm ein anderer das Zeug vom Dickerchen, so wechselten wir uns ab. Drei Tage benötigten wir, um Bayreuth nahe zu kommen. Ich machte dann noch einen Kartenfehler und schickte meine Jungs ein paar unnötige Kilometer mehr herum, vielleicht, weil’s so schön war. Schönes Wetter war ja. Wir schwitzten schön. Aus dem Funkgerät kam schließlich: „Verdammt, wo seid ihr?! Die anderen sind schon da!“ Ich sah auf der Karte nach – oha. Die Jungs waren nicht gar so sauer, sie verziehen mir, schon deshalb, weil uns aufgrund der Verspätung ein Fahrzeug abholte. In der Kaserne zogen wir ächzend die Stiefel aus. Ende dieser Schilderung.
Das passierte mir im Juli 1972. Erst nach sechs Wochen, im Mai, hatten wir zum ersten Mal Heimaterlaubnis erhalten. Fünf Wochenenden waren wir, in zivil, in Bayreuth herum gelungert. Ich besah mir die Stadt, die in mir keinen Eindruck hinterließ, trotz Wagner. Ich blieb an Wochenenden sogar in der Kaserne, las und trank Bier auf meiner Pritsche, ging in die Kantine. Keiner wollte etwas von einem. Ich lernte andere Gesichter aus anderen
Kasernenbereichen von denen in unserer Kompanie zu unterscheiden. Es war öde. Post kam aus Biberach, Ch. G., den alle nur „Kiki“ nannten, schrieb Postkarten, vielleicht zwei, berichtete, wie die Dinge in der SDAJ-Gruppe standen und welche Aktionen vorgesehen waren. Kiki war nett. Ein großer, schlaksiger Junge, damals noch in einer der letzten Gymnasiumsklassen (Wieland-G.), mit halblangen blonden, ein wenig strähnigen Haaren, vollen Lippen, die er über den weißen Zähnen spöttisch schürzte.
Sein Lachen war nett und kippte gern in eine etwas höhere Stimmlage, deshalb: Kiki. Ich schrieb zurück, gab meinen Rat zu den Plänen dazu. Ich wurde körperlich fit. An einem Freitag im Mai fuhr ich nachmittags von Bayreuth nach Biberach. Abends kam ich an. Den Samstagabend verbrachte ich zwischen neugierigen Genossen im „Strauß“. Am Sonntag nach dem Mittagessen fuhr ich zurück. Die Fahrten kosteten nichts.
- Heute das Wetter ähnlich dem gestrigen. Dünnes Sonnenlicht vormittags, dann Eintrübung, zwischendurch wieder Sonnenlicht. Es wird wärmer.
19.4.2002
19.04.