14
Apr

14.4.2002

Abenteuer kann ich hier nicht bieten, erotische schon gar nicht. Mein Leben verlief langweilig. Traurig aber wahr. Was soll ich tun? Nun ist es zu spät. Soll ich mich grämen? Wie in vielen Jahren? Ich kann nur noch eines tun: rekapitulieren, was und wie das so alles kam. Doch glücklicher werde ich damit nicht. Was soll das hier? Warum schreibe ich das? Aus Eitelkeit, hieß es an früherer Stelle. Eitelkeit ist ein Charakterfehler, der von Dummheit zeugt. Eitelkeit ist versteckter Stolz? Oder was ist sie? Es gibt ja Leute, die wollen zeigen, daß sie sich ihrer selbst so sicher sind, daß sie auch ihre Fehler und Mängel zugeben wollen. Wenn man stolz wird auf sein Mißlingen, dann wird es – was? Gefährlich oder lächerlich? Das Lächerliche an sich, an seiner Person, zugeben zu können, ist diese Eitelkeit, die ich wohl meinte. Ich stehe zu meinen Unzulänglichkeiten, das ist wohl der Satz, der hier gelten soll. Was bin ich doch toll, daß ich nicht befürchte, das könnte mir schaden? Ich glänze schön im Licht meiner Selbstkritik. Ist es so? Ich fürchte, so ist es.
Lächerlich war alles schon, also sollte ich in komischer Verzweiflung fortfahren? Mich nicht mehr blicken lassen, fort fahren? O liab’s Herrgöttle vo Biberach! Aber die Sache mit dem Sex war wirklich immer ein Problem. In diesem tragikomischen Konflikt (mit mir selbst vermutlich!) besetzt das Tragische den größeren Anteil. Aber wie komisch, das auch noch tragisch nennen zu wollen! Im Grunde ist das alles nur komisch; von einem komischen Vogel, der kaum zum Vögeln kam, einigermaßen unkomisch belabert zu werden. Unfreiwillig komisch vielleicht, und das kommt ja im Leben vor, häufiger. Der Stolz auf die Fehler. Leider nicht: Laster. Ich war zum Heiligen geboren? Keusch. Den höchsten Idealen zugetan. Gerechtigkeits- und Wahrheitsliebe. Sonst keine Liebe. Höchstens platonische. Der platonische Eros. Der pädagogische Eros. (Daß ich unterrichtete, Literatur: davon später. Hatte aber mit Eros nichts zu tun.) Meine Eitelkeit ist auch diese: zugeben zu wollen (o confessiones!), kaum Sex gehabt zu haben, in einer Gesellschaft, die von der heuchlerischen Tabuisierung des Geschlechtlichen zur nicht weniger entfremdeten – wenn’s erlaubt ist, auch noch mit diesem Terminus zu langweilen – Werbesendungsexualität überging. (Womöglich mag ich Houllebecqs Literatur nicht, weil ich eine Figur aus seinen Romanen sein könnte?) „Ohne GV verkaufen Sie keinen Roman.“ Hat das mehr oder weniger öffentliche Ficken die private Bettgymnastik befördert, beschädigt? Man diskutiert’s. Soll man. Soll man nicht? Es gibt ja inzwischen diese Keuschheitsbewegung, junge Menschen vögeln nicht vor der Ehe. Ob hetero, ob homo. Ich war ein Heiliger, als junger Mann, oder Tor, und litt wie einer; in sündiger Welt. Nun kann das außer mir niemand beurteilen; und das ist auch gut so. Ich will nichts erfinden. Deshalb bleibt das Thema schwierig. Ich war „theoretisch“ schwul, ab 1974. Ich war Schwuler für etliche der Biberacher Szene, die keine schwule war. Ich war rücksichtsvoll. Ich hätte haben können, glaubte aber, ich stünde darüber. Er stand mir oft. Ich nahm Gelegenheiten nicht wahr. War ich blöd. Das war’s für heute.
- Neblig, fast schon, gegen Abend, regnerisch.
14.4.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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