6.4.2202
Die Zugfahrt zum „Truppenstandort“ Bayreuth kostete nichts. Ich saß im Zugabteil, das ich für mich hatte, trank Bier aus der Dose und betrachtete die Landschaften, die der D-Zug durchschnaufte. Die Wacholderbüsche auf den kleinen Anhöhen und Hängen sind auf einem dieser zahllosen Filme, die das Gedächtnis projiziert, am deutlichsten zu erkennen. Bayreuth hieß für mich: Wagner-Weihefestspiele und Adolf der Irre. Grüner Hügel. Grüne Hügel sah ich dann genug. Ich war sogar einmal im Park der Eremitage. Unsere Kompanie durfte dort Stühle und Bänke für eine Festivität aufstellen. Das war später. Ich saß im Zugabteil, die Beine in den hohen Stiefeln aus rotbraunem Kunstleder hatte ich auf dem gegenüberliegenden Sitz platziert, und stimmte mich auf die kommende Zeit ein. Ich war neugierig, was passieren würde. Im Bayreuther Bahnhof wurden wir – ein paar andere junge Gestalten waren dem Zug ebenfalls entstiegen – vom Empfangskomitee begrüßt; im Stauraum eines Militärlastwagens wurden wir in die Kaserne, erbaut in den sechziger Jahren, transportiert. Vieh zum Abschlachten. Man hatte sich erst einmal in Reih und Glied aufzustellen, dann wurden die „Stuben“ zugeteilt. Als ich, die Trageriemen der Reisetasche in der Faust, mein neues Logis betrat, hielten sich dort bereits zwei oder drei Rekruten auf. Ich sagte ein Begrüßungssprüchlein und wählte als Schlafstätte eine der oberen Pritschen der Doppelstockbetten, die sich um die Ecken verteilten; am Fenster. Und das ganz bewußt. Es war eng, die Spinde in der Mitte des Raums machten es nicht größer. Andere junge Männer – keiner von ihnen, keiner in der Kompanie, konnte mir gefallen – stolperten herein; es war eine Acht-Männer-Stube.
Diese Jungs bildeten meine „Gruppe“ in der 2. Kompanie, die zwei „Züge“ hatte. Drei? Wochen nach dem 5. April sagte einer von denen, die sich im Zimmer aufgehalten hatten, als ich hereingekommen war, in seiner oberfränkischen Mundart zu mir: „Als du rein gekommen bist, hab‘ ich `dacht, jetzt kommt der Kinski.“ Das war schmeichelhaft. Mit diesem Typ (kräftig-bullig, aber das nicht übertrieben, Spaßmacher) kam ich gut aus; auch vor dieser Bemerkung. Er bewunderte mich ein bißchen, das kapierte ich aber erst, als er verlegt worden war und wir uns nur zufällig innerhalb der Kaserne über den Weg latschten. Die meisten Soldaten dieser Kompanie waren Sprößlinge der Bayreuther und Wunsiedeler Gegend; die Schwaben, die vor allem aus dem „Unterland“ stammten, bildeten das dritte Drittel. Ich war einer von den drei, oder nur zwei, Abiturienten in der Kompanie. Ich packte mein Zeug, darin die juristischen Ratgeber, in ein Spindfach und wartete, wie sich die Situation entwickeln würde. Man lernte sich kennen. Mit den anderen auf der „Stube“ kam ich gut aus. Fast alle hatten schon einen Beruf. Jungs vom Land oder aus Städtchen. Der Spaßmacher; ein zweiter war von Naivität nicht ganz frei; ein dritter gutmütig, ein vierter nicht so helle; der fünfte ?; ein sechster dicklich und ängstlich; der siebte Frisör und etwas schleimig. Ich war unter ihnen der einzige Schwabe. Bald kam ich zu einem Spitznamen: Professor. Im politischen Unterricht, den Hauptmann Schoen persönlich gab – groß, ein Schrank, Bürstenhaarschnitt über dem nicht einmal so häßlichen kantigen Gesicht – , pickte er regelmäßig mich heraus, denn er wußte, daß wenigstens ich eine Antwort auf seine Fragen an die versammelten Staatsbürger in Uniform geben konnte; inzwischen war ich ihm aufgefallen ... Meine Antworten waren karg. Ich hatte kein Interesse daran, ihm behilflich zu sein. Wenn keiner etwas sagen wollte oder konnte, der „Unterricht“ – jede Zeitungslektüre einmal in der Woche hätte ihn gut ersetzen können – stockte, wurde „Jäger Diedrich“ aufgefordert, seinen Senf abzugeben. Parteipropaganda enthielt er sich, wg. Soldatengesetz.
Die ersten Tage beim „Bund“, um zu ihnen zurückzukehren, brachten wir mit marschieren, einkleiden, Dienstgrade erkennen, Langeweile hinter uns. Ich ging mit den anderen in die Kantine. Ich schrieb Karten: an meinen Rechtsanwalt in Metzingen, an meine Genossen der SDAJ-Gruppe in Biberach, an die DKP-Freunde in Düsseldorf, um kund zu tun, wo und in welchen Umständen ich mich befände und zu erreichen sei. Ich wartete auf die Stunde – nicht der wahren Empfindung, sondern der Waffenausgabe. Die kam. Wir marschierten – „Links, links, links, links ...“, aber damit war nicht gemeint, was ich damit verband, insgeheim grinsend, und es war auch kein roter Wedding, der hier marschierte, wie im alten KPD-Lied, das keiner von diesen Soldaten kannte, und der Wedding ist inzwischen auch stark angebräunt – zur Waffenkammer, um die Knarren, die G3-Gewehre, entgegen zu nehmen. Als ich in der Reihe dran war, schüttelte ich den Kopf und sagte: „Ich verweigere die Waffe.“ Die „Dienstgrade“ um mich herum guckten dumm. Dann sahen sich die beiden, denen es oblag, die Dinger auszuhändigen, an, einer der beiden blaffte: „Ich befehle Ihnen, sofort diese Waffe zu nehmen!“ Ich entgegnete gelassen: „Ich verweigere die Annahme dieser Waffe.“ Einer der Chargen trat heran und sagte: „Dann kommen Sie mal mit!“ Eskortiert von Uffzen – Unteroffizieren – ging’s zum Kittchen. Ich lernte den Bundeswehrknast kennen.
- Den ganzen Tag über grau. Nur am Vormittag und am Nachmittag gelang es den Fixsternstrahlen für Minuten, durch Wolkenlöcher und -scharten die Stadt zu erreichen. Winterkalt.
6.4.2202
Diese Jungs bildeten meine „Gruppe“ in der 2. Kompanie, die zwei „Züge“ hatte. Drei? Wochen nach dem 5. April sagte einer von denen, die sich im Zimmer aufgehalten hatten, als ich hereingekommen war, in seiner oberfränkischen Mundart zu mir: „Als du rein gekommen bist, hab‘ ich `dacht, jetzt kommt der Kinski.“ Das war schmeichelhaft. Mit diesem Typ (kräftig-bullig, aber das nicht übertrieben, Spaßmacher) kam ich gut aus; auch vor dieser Bemerkung. Er bewunderte mich ein bißchen, das kapierte ich aber erst, als er verlegt worden war und wir uns nur zufällig innerhalb der Kaserne über den Weg latschten. Die meisten Soldaten dieser Kompanie waren Sprößlinge der Bayreuther und Wunsiedeler Gegend; die Schwaben, die vor allem aus dem „Unterland“ stammten, bildeten das dritte Drittel. Ich war einer von den drei, oder nur zwei, Abiturienten in der Kompanie. Ich packte mein Zeug, darin die juristischen Ratgeber, in ein Spindfach und wartete, wie sich die Situation entwickeln würde. Man lernte sich kennen. Mit den anderen auf der „Stube“ kam ich gut aus. Fast alle hatten schon einen Beruf. Jungs vom Land oder aus Städtchen. Der Spaßmacher; ein zweiter war von Naivität nicht ganz frei; ein dritter gutmütig, ein vierter nicht so helle; der fünfte ?; ein sechster dicklich und ängstlich; der siebte Frisör und etwas schleimig. Ich war unter ihnen der einzige Schwabe. Bald kam ich zu einem Spitznamen: Professor. Im politischen Unterricht, den Hauptmann Schoen persönlich gab – groß, ein Schrank, Bürstenhaarschnitt über dem nicht einmal so häßlichen kantigen Gesicht – , pickte er regelmäßig mich heraus, denn er wußte, daß wenigstens ich eine Antwort auf seine Fragen an die versammelten Staatsbürger in Uniform geben konnte; inzwischen war ich ihm aufgefallen ... Meine Antworten waren karg. Ich hatte kein Interesse daran, ihm behilflich zu sein. Wenn keiner etwas sagen wollte oder konnte, der „Unterricht“ – jede Zeitungslektüre einmal in der Woche hätte ihn gut ersetzen können – stockte, wurde „Jäger Diedrich“ aufgefordert, seinen Senf abzugeben. Parteipropaganda enthielt er sich, wg. Soldatengesetz.
Die ersten Tage beim „Bund“, um zu ihnen zurückzukehren, brachten wir mit marschieren, einkleiden, Dienstgrade erkennen, Langeweile hinter uns. Ich ging mit den anderen in die Kantine. Ich schrieb Karten: an meinen Rechtsanwalt in Metzingen, an meine Genossen der SDAJ-Gruppe in Biberach, an die DKP-Freunde in Düsseldorf, um kund zu tun, wo und in welchen Umständen ich mich befände und zu erreichen sei. Ich wartete auf die Stunde – nicht der wahren Empfindung, sondern der Waffenausgabe. Die kam. Wir marschierten – „Links, links, links, links ...“, aber damit war nicht gemeint, was ich damit verband, insgeheim grinsend, und es war auch kein roter Wedding, der hier marschierte, wie im alten KPD-Lied, das keiner von diesen Soldaten kannte, und der Wedding ist inzwischen auch stark angebräunt – zur Waffenkammer, um die Knarren, die G3-Gewehre, entgegen zu nehmen. Als ich in der Reihe dran war, schüttelte ich den Kopf und sagte: „Ich verweigere die Waffe.“ Die „Dienstgrade“ um mich herum guckten dumm. Dann sahen sich die beiden, denen es oblag, die Dinger auszuhändigen, an, einer der beiden blaffte: „Ich befehle Ihnen, sofort diese Waffe zu nehmen!“ Ich entgegnete gelassen: „Ich verweigere die Annahme dieser Waffe.“ Einer der Chargen trat heran und sagte: „Dann kommen Sie mal mit!“ Eskortiert von Uffzen – Unteroffizieren – ging’s zum Kittchen. Ich lernte den Bundeswehrknast kennen.
- Den ganzen Tag über grau. Nur am Vormittag und am Nachmittag gelang es den Fixsternstrahlen für Minuten, durch Wolkenlöcher und -scharten die Stadt zu erreichen. Winterkalt.
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06.04.