21
Mrz

21.3.2002

Beschreibung einer Wohnung. Wenn ich die Treppe, die in einem Bogen nach rechts vom Flur des Hochparterrre, von dem dort die Türen zu den Zimmern, zur Küche, zum Keller- und Hauseingang abgingen (eine zweite Tür vor der Haustür bildete mit dieser den Windfang), zum eigentlichen ersten Stockwerk hinaufführte, hinter mich gebracht hatte, öffnete ich mit dem großen Schlüssel die Tür zu unserer Wohnung, die ein Teil der unten aus einer Holzwand, über dieser aus zwei Fenstern, die immer mit einem fixierten Vorhang versehen waren, der vor Blicken schützte, bestehenden nachträglich eingebauten Abtrennung war. Ich trat in die Wohnung ein, im Jahr 1966 oder 1967, meinetwegen im März, und schloß sie hinter mir. Ich stand in einem keine zwei Meter breiten, etliche Meter nach rechts weisenden Gang, der mit Linoleum ausgelegt war, das, nicht über die volle Länge des Flurs hinweg, von einem schmalen grauen Läuferteppich bedeckt war. Links von mir verschloß eine Tür das Schlafzimmer; vor mir stand die Tür zum Wohnzimmer vielleicht etwas offen, vielleicht war meine Mutter eben erst hineingegangen oder herausgekommen, oder ich hatte sie vor einigen Minuten, als ich, vielleicht um den Müll zum Kuttereimer, wie der graue metallene Mülleimer bei uns genannt wurde, zu bringen, das Wohnzimmer verlassen hatte, nicht geschlossen; rechts endete der Flur vor der Tür zur Küche, auf seiner rechten Seite, der Küchentür näher als der Wohnzimmertür, trat man durch die dort zu sehende Tür in jenes Zimmer ein, in dem die tote Oma aufgebahrt worden war und das in den Jahren `66 und `67 noch als Rumpel- und Abstellkammer zweckentfremdet benutzt wurde; von dort aus, wo ich noch immer stehe, oder womöglich habe ich einen sehr kleinen Schritt nach rechts hin getan, um mich im dort an der Gegenwand befestigten Garderobenspiegel zu betrachten, sind die beiden schmaleren Türen zu Toilette und Bad, zwei kleinen Räumen, nicht zu bemerken. Ich gehe in die Küche, um mir die Laugenbrezel, die ich vorhin, denn jetzt ist der Nachmittag fast Abend geworden, „aus der Stadt“ mitgebracht habe, mit Butter zu beschmieren, nachdem ich sie mit einem scharfen Messer horizontal aufgeschlitzt habe; um während des Lesens eine Butterbrezel zu verspeisen. Die Küche ist nicht sehr geräumig. Die linke Wand ist etwas abgeschrägt, wegen des Daches, das dort schon zum First geht. Vor dieser schrägen Wand steht ein Küchenschrank in einer elfenbeinernen Farbe, mit Schrank- und Schubfächern in seinem Ober- und Unterteil. Zwischen Schrank und Wand bleibt also etwas Platz, in ihn hatten wir, die Kinder von Frau H. und ich, uns oft verkrochen, nicht zuletzt deshalb, um meine gutmütige, aber um das Kinderseelenwohl stets fürchtende Großmutter ein wenig zu ärgern, die dann schimpfte: „Was macht ihr da hinten, kommt sofort heraus, was macht ihr denn da?“ Dachte sie, wir würden uns, die kleinen Mädchen und die kleinen Buben, etwa mit kleinen Doktorspielchen vergnügen? Diesen Verdacht hatte sie bestimmt, allerdings, soweit ich mich erinnern kann, zu Unrecht. Sexualität war in meiner Kindheit und Jugend bis weit in die Zeit der Erwachsenenjahre – sofern ich nicht immer pubertär geblieben bin – ein Tabu, und das war nicht nur in den Verhältnissen bei mir so. Für uns, im Alter von vier und fünf Jahren, war „Sexualität“ ja kein Thema, aber in der Gedankenwelt mancher Erwachsenen ist selbst kindliche Unschuld vor satanischen Einflüsterungen nicht gefeit; das war es wohl, was meine besorgte Oma nicht ganz ausschließen wollte. Das einzige Fenster zeigt nach Norden, vor ihm steht einer der zwei großen Tische, links neben ihm ein einfacher Stuhl, vor ihm auch einer. Auf dem Tisch liegt eine der Tischdecken, heute, wie gestern und vorgestern, die mit den Blümchenstickereien; das ist hübsch. Rechts beansprucht die Waschmaschine, ein breites Ding, das nicht einmal die Wäsche in seinem Inneren herumschleudern, sondern nur langsam umwälzen kann, und auch dabei muß man, manchmal meine Mutter, gelegentlich ich, mit einer größeren Holzzange nachhelfen. So einen modernen Miehle- oder Constructa-Apparat mit fünf und sechs automatischen Waschgängen, wie sie in anderen Haushalten selbstverständlich standen, hatten wir nie; kein Geld dafür. Diese Maschine füllt den Platz, den es zwischen Tisch und einem eingebauten schmalen Besen- und Geräteschrank, der aber fast ausschließlich leere Pralinen- und andere Schachteln samt Geschenkverpackungsmaterial enthält, an der rechten Wand hat, völlig aus; aber da dieser Wandschrank nur sehr selten geöffnet wird, stört das nicht. Auf der anderen, der Innenwohnungsseite der Küche, befinden sich ein steinernes Becken für die Geschirr- und, im Winter, Körperwaschvorgänge, ein Holzkohleofen, der Elektroherd. Mehr ging, mit Menschen, in diese Küche nicht hinein. Ich trage den Teller mit der Butterbrezel und das Glas Sprudel (süßer) ins Wohnzimmer.
- Trüb. Am Nachmittag für eine Viertelstunde, vielleicht etwas länger, ein Anflug von Aufhellung. Große Regentropfen glänzten an den Unterseiten der aufknospenden Zweige. Abends etwas Regen.
21.3.2002
Made (Gast) - 21. Mär, 10:42

hmmm

Ist ja ganz nett dieser Abschnit, wenn nur nicht immer diese verdammt langen Schachtelsätze wären.

made (Gast) - 22. Mär, 08:27

Abschnitt meinte ich natürlich
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Ein wichtiges Projekt!
Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
Tadellöser - 20. Dez, 13:02

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