11
Mrz

11.3.2002

Das Wirtschaftsgymnasium war die falsche Schule für mich und doch auch nicht. Von humanistisch-geisteswissenschaftlichen Werten war, außer in den Fächern Deutsch und Englisch, wo sie „Stoffe“ hießen – wie freilich auch dort, wo der Begriff „Humanismus“ auch schon eher in die Nähe der Fremd- und Lehnwörter gerückt war, und diese „Stoffe“ sind ja in allen Schulen und Schularten zur späteren Verwertung gedacht, und insofern lagen sie da im Wirtschaftsgymnasium eigentlich schon viel näher an ihrer Bestimmung als in Instituten, wo von Bildung, möglichst umfassender und allgemeiner, gefaselt wurde, was dem Ort meiner Lernbemühungen sogar eine gewisse Ehrlichkeit verlieh –, von vornherein nichts geboten, dazu war diese Schule nicht da, und auch nicht viel zu bemerken, dafür kam wiederholt die Sprache auf andere Werte, eben jene, zu denen Stoffe aller Art gehören, und bezüglich dieser Stoffe, ihrer Verwertung, zu denen nun einmal auch die „humanen Resourcen“ gehören (so war das „Humane“ also doch anwesend), und ihrer korrekten Verbuchung – zumindest wollte man uns beibringen, wie es sein sollte, wie es wirklich ist, würden wir ja erfahren – herrschte ein angenehm aufrichtiger Ton, wenn J., eine forsche Type, in seinem Betriebswirtschaftslehre-Unterricht sagte, wie es war und ist: „Der Unternehmer muß über Leichen gehen!“
Wie ich aus meiner Marx-Lektüre und nicht nur aus ihr, die Zeitungen waren ja voll davon, wußte, hatte er, beziehungsweise der „Gesamtkapitalist“, der IVK, der „Internationale Verband des Kapitalismus“, das bis zum Jahr 1969, in dem diese hübsche Äußerung fiel, schon ausgiebig befolgt. Was wir in diesem Unterricht in manch schöner Stunde hörten, war – richtig beleuchtet – ergänzender Unterricht zu den überall im Lande in helleren Köpfen stattfindenden Marxismusstudien und hätte demnach schon damals mit Berufsverbot für solche Lehrer unterbunden werden müssen, nicht erst 1973, als sich in der so viel mehr Demokratie wagenden Kanzlerägide Willy Brandts – „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“ sagte Brandt mit seiner Cognacstimme ins Land – die SPD vor den Linksradikalen, vornehmlich der DKP, die Lehrer werden wollten und sollten, aus Angst in die Hosen schiß; sie schiß sich jedoch nicht wegen dieser paar Studenten in Lehrerstudiengängen in die Bundfaltenhosen, sondern wegen der noch reaktionäreren politischen Kräfte in Verkörperung noch besserer Demokraten, die ihren Franz Josef S. und Alfred D. folgten, die von Rechten, demokratischen, nichts hielten, wenn sie ihren Interessen zuwiderliefen und die sich um die ehernen Rechte von Großgrundbesitzern, Kardinälen und Konzerneigentümern kümmerten und nebenbei ihr eigenes Schäfchen ins Trockene brachten, und weil diese Herren Demokraten – ihr Nachwuchs ist auch nicht weniger geworden – ihnen bei gefürchteten fürchterlich demokratischen Wahlen die mühsam ergatterten Pfründe wieder hätten entwenden können (denn wie es der Zufall so wollte, hatten die ersten terroristischen Machenschaften „der Linken“ das Volk, den großen Lümmel, wie Heines Worte waren, schon gut genug geängstigt), und so kam’s ja auch, und warum auch nicht, es hatte sich nicht viel geändert und es änderte sich danach auch nicht viel; nur die Konten manch unternehmungslustiger Unternehmer änderten sich, wurden noch dicker, so dick wie der, der ihnen die Auffüllung, gegen Bares für die Parteikassen, verschaffte.
J., um die vierzig, vielleicht jünger, war der Klassenlehrer, wir gerieten ein wenig aneinander. Er trug die Haare kurz, fast militärisch (seine Ansicht, und nicht nur seine, wie der Unternehmer vorzugehen habe, bedenkend wäre „militaristisch“ wohl das richtige Wort), und eine Brille mit dünnem Rahmen um die Gläser. Eine kleine Ähnlichkeit mit Schiller – nicht Friedrich, sondern Karl, übrigens eine Figur aus den „Räubern“ – fiel mir auf. Der war in der Regierung Brandt in Personalunion Finanz- und Wirtschaftsminister und deswegen von den Medien zum „Superminister“ ernannt worden. War es nur Zufall, daß J. die Ähnlichkeit kultivierte? Allerdings hatte die Brille des Ministers dickere Ränder. Jedenfalls ließen die anerkennenden Ausführungen J.s zur mittelfristigen Finanzplanung und anderer Errungenschaften des Superminister vermuten, daß der sein heroe war. Superkarli. Oder Superkerli? J. war eher ein Verteidiger der Freien als der Sozialen Marktwirtschaft und plauderte zuweilen aus dem Wissensschatz des BWL-Lehrers zu den Einverstandenen der ersten beiden Reihen, in meinen Augen, die von ihrer Position über dem Stuhl unmittelbar vor der Rückwand des Raumes gelangweilt auf die Bilanzaufstellungen der doppelten Buchhaltung – die Zeichen der doppelmoralischen Haltung – an der Tafel blickten, die unkritischen Angepaßten, die mit mir nichts anzufangen wußten und vice versa.
- Mildes Sonnenwetter. Wolkenschleier über der Stadt.
11.3.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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