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Mrz

8.3.2002

Die sechziger Jahre – für mich ein angenehmes Jahrzehnt, über das nur wenige Schatten fielen; die Siebziger begannen leuchtend, waren intensiv und lebendig und wurden gegen Ende immer düsterer; die Achtziger waren, trotz Till oder wegen ihm, aber auch wegen anderem, schlimm; die Neunziger wieder freundlicher – liefen allmählich aus und nun stand auch ein Band Beckett, der seine drei großen Romane enthielt, im Bücherbord; 1969 bestellte ich ihn vom Bertelsmann-Lesering. Ich lag auf der Coach und las darin, kam aber nie bis zum Ende auch nur eines der Romane. Erst viel später setzte ich diese Lektüre fort. Aber bis 1968 las ich wenig zeitgenössische Literatur. Böll; und Brecht („Das Leben des Galilei“, „Mutter Courage und ihre Töchter“) und Hemingway („Der alte Mann und das Meer“) als Schullektüre. Kein Grass, kein Thomas Mann. Auch später war Grass nie mein Fall; die „Blechtrommel“ ist mir als Roman unbekannt, nur Anfang der Siebziger sah ich kurz hinein, das war’s. Für Thomas Mann war dann in der ersten Hälfte der Siebziger Zeit. Die Siebziger waren mein Lesejahrzehnt; nach Schule, Bundeswehr, Zivildienst hatte ich die Jahre für mich und hütete mich vor einer „festen Tätigkeit“. Als Handke bekannt wurde, las ich „etwas Handkle“, wie ich in der kurzen Selbstdarstellung in der „Science Fiction Times“ 1969 von mir gab. Irgendwann in diesem Jahr kamen Oswald Wiener und Gerhard Rühm nach Biberach in die (volle) Aula des Wieland-Gymnasiums. Wiener las aus seinem Roman „Die Verbesserung von Mitteleuropa“, das war meine erste Begegnung mit der „experimentellen Literatur“, und ich bestellte mir das Buch und las es; es war ungewöhnlich, inspirierte mich. In der neuen Stadtbücherei las ich von der Wiener Schule, dort stand sogar „Der sechste Sinn“ von Konrad Bayer. Ich lieh das Buch aus. (1996, als die umgezogene Bücherei ihre Bestände neu organisierte und Nicht- und Kaumgelesenes hinauswarf, erwarb ich es, rettete ich es, zusammen mit etlichen anderen Büchern, zum Kilopreis. Kulturschande über Biberach, wo man die Bedeutung eines Konrad Bayer nicht einzuschätzen vermag!)
1969 hatte ich, ehe ich für die SFT zu schreiben begann, zwei Short Stories im Stil von Hemingway – das von der Schule geschenkte Buch hatte seine Auswirkungen gezeitigt – verfaßt, die ich 1970 nach Düsseldorf zu Horst Pukallus – mit dem ich mich befreundet hatte, und in den folgenden Jahren wechselten wir viele Briefe, ich war mehrere Male bei ihm und seiner Frau Sylvia in Düsseldorf zu Besuch, weil er eben auch zum Redaktionsteam der SFT gehörte – zur Ansicht schickte. Er korrigierte so viel, daß ich danach an den Stories gar nichts mehr tat. Schrott. Ich hatte eh begonnen, „experimentelle Texte“ zu fabrizieren, allerdings sehr wenige. Es waren die ersten ernst gemeinten Schreibversuche, denen weitere folgten. 1970 machte ich mich über Biberach etwas lustig, aber es war nicht der Rede und des Schreibens wert, leider, indem ich drei Seiten, in kargen Sätzen, hervorbrachte und das hieß „Auf der Idiotenrennbahn“, und der schöne Marktplatz, seine Passanten und der dort jährlich zu bewundernde Aufmarsch des Schützendienstagumzugs, in dem die Büste des Großen Sohnes der Stadt mitgeführt wurde und wird, sollten damit karikiert werden. (Wenn die Biberacher ihren Wieland nicht hätten, der 1769 ff. mit den Bewohnern des Städtchens gar nicht so einverstanden gewesen war und zugesehen hatte, es verlassen zu können. Ein Ruf nach Erfurt hatte ihn erlöst. („Von Biberach erlöset zu sein wäre Glückseligkeit, aber wohin, und wie ist es möglich, mit Ehre fort zukommen?“) Das Textlein war eher lasch und läppisch als satirisch. Warum auch auf den armen Biberachern – sie sind gar nicht so arm, gewerbesteuermäßig – rumhacken? Das war nie meine Absicht und ist es auch jetzt nicht. Schmunzeln allerdings muß erlaubt sein, denn das Abderitische, das Wieland nicht nur, aber auch in Biberach gefunden und so unnachahmlich zur Sprache und zur Welt gebracht hatte, auf daß man wisse, wie eigenartig und zum Lachen die Abderiten aller Länder – vereinigt euch besser nicht! – sind, ist ihnen nicht ganz verloren gegangen. Ich jedoch hatte um 1970 nicht viel zu sagen und nicht zu schreiben, Fragmente zeugen davon. Und heute?
- Viel milder Sonnenschein, kein auffälliges Wetter.
8.3.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
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