26.2.2002
Ich habe noch etwas zu Gide schreiben wollen, sollte es aber nicht tun, denn ich kenne zu wenig von seinem Werk. In den Siebzigern erst kaufte ich mir „Die Falschmünzer“ in einer Taschenbuchausgabe; dieses Buch behielt Anfang der Achtziger jener, den ich damals liebte, der meine Gefühle aber nicht in gleicher Weise erwiderte, was mich für einige Jahre in eine labile emotionale Situation versetzte, über die ich mich noch äußern will, wenn ich auch nicht alles ausplaudern werde. Es gibt Tagebuchnotizen, die ihre Zeit der Veröffentlichung finden werden, oder auch nicht. Obwohl ich jeden Tag an diese Aufzeichnungen mit der Absicht, sie so genau und ehrlich, wie es mir möglich ist, zu schreiben, gehe, habe ich einen Kompromiß mit der Vergangenheit – nicht mit der Erinnerung – und mit mir geschlossen: bestimmte Vorkommnisse, gewisse Ereignisse werden, auch wenn sie in meinem Leben zu den wichtigen, vielleicht sogar wichtigsten, gehören, in einer Weise dargestellt, für die ich das Wort „oberflächlich“ nicht angemessen halte, aber dafür das Wort „diskret“. Es ist mir nicht möglich, bestimmte Personen – zwei, nur zwei – von denen einer das Wort „Liebhaber“ verdient, so zu charakterisieren, daß sie für alle Öffentlichkeit zu erkennen wären. Es mag spießig sein, kleinbürgerlich (J.D. hatte womöglich gar nicht so unrecht), und sofort über alles hier Geschriebene den Schleier der Halbwahrheit, den jedes Verschweigen und Heimlichtun parat hält, ziehen – ich empfand etwas für sie, was man nicht für jeden empfindet. Alles liegt seit vielen Jahren hinter uns, jeder ging andere Wege, die sich nicht mehr kreuzen. Ich weiß, sie würden es nicht schätzen, allzu deutlich in diesen Zeilen und über ihnen, in der Vorstellungswelt anderer, zu agieren. Ich gab mein Wort – damals, eines Tages, sofern es mir einfiele, etwas über mein Leben zu schreiben, vorsichtig damit umzugehen; es ist mir nicht möglich, es heute zu vergessen. Es gibt Männer, und das weiß jeder, die in ihrer Jugend sich bestimmten Neigungen nicht versagen, zumindest damit kokettieren, später jedoch diese hinter sich gelassen haben. Manche wünschen nicht einmal, daran erinnert zu werden, daß sie ihnen nachgaben. Vor allem wünschen sie nicht – auch in unseren Tagen nicht, in der schwul zu sein ja chic geworden ist (ich war dieser Meinung schon in Jahren, in denen das in Biberach noch nicht unbedingt so war), und das Fernsehen verzichtet neuerdings auch nicht auf seine Werbehomos –, daß es bekannt werden könnte, wenn sich alles längst erledigte.
So bin ich wieder bei Gide und bei Proust auch, bei der unterschiedlichen Handhabung, sozusagen, ihrer Sexualität gegenüber Welt und Gesellschaft. Ich präferierte stets die Gide’sche der Offenheit, was das Leben betrifft, und ziehe, was das hier Geschriebene angeht, die Proust’sche vor. Allerdings verwandle ich einen Albert nicht in eine Albertine. Und es war ja alles sehr harmlos, und lächerlich und peinlich ist es sowieso, wieder wird es sich zeigen, in langen Erklärungen überhaupt sich zu winden. Mir ist klar, andere verhielten sich „anders“ an meiner Stele, aber hier sind sie es eben nicht. Ich stelle fest: mir wär’s lieber, frisch von der Leber weg zu formulieren; ich bedauere durchaus, daß ich angehalten bin – überhaupt war ich in meinem Leben viel zu moralisch –, so nicht zu tun. Noch etwas: ich bin nicht nur homosexuell, sondern asexuell homosexuell. Gell. Könnte man meinen, meine ich manchmal selber.
- Bis in den Mittag hinein grau. Etwas Auflockerung. Nach 15 Uhr fegte die „Anna“ als Orkan über Berlin; flackerndes Sturmgewitter, ein Schmettern, als würden riesige Holzbretterstapel durch die Lüfte geworfen; Grollen, Gepolter ihres Begleiters, eines ungeschlachten Riesen, der über die Dächer wankte; die nackten Bäume bogen sich tief vor ihm nieder, schwankten im Hagelauswurf; der Regen wehte in fallenden Fahnen aus apokalyptischem Grau herunter. Dann riß der Horizont auf, die Sonnenstrahlen beleuchteten Berlin, die Großstadtluft, für eine halbe Stunde von den Giften gereinigt, roch frisch, zerfledderte Cumuli schwebten unter dem reingeblasenen Blau, filigrane Gebilde, aber auch großgebauschte Ballen ruhten woanders vor Ort, kleinere Streifenwolken, fast sausten sie, eilten vor dem Wind davon. Im östlichen Gehimmel auf oberer Höhe die helle Scheibe des Mondes über der Stadt, bis eine zweite schwarze Sturm- und Hagelfront sich entleerte. Auch nach dieser öffnete sich die Wolkenschicht in der abendlich-nächtlich dunkel gewordenen Schutzhülle des Planeten, der Mond, weiß, glänzte in der Nähe des Fernsehturms.
26.2.2002
So bin ich wieder bei Gide und bei Proust auch, bei der unterschiedlichen Handhabung, sozusagen, ihrer Sexualität gegenüber Welt und Gesellschaft. Ich präferierte stets die Gide’sche der Offenheit, was das Leben betrifft, und ziehe, was das hier Geschriebene angeht, die Proust’sche vor. Allerdings verwandle ich einen Albert nicht in eine Albertine. Und es war ja alles sehr harmlos, und lächerlich und peinlich ist es sowieso, wieder wird es sich zeigen, in langen Erklärungen überhaupt sich zu winden. Mir ist klar, andere verhielten sich „anders“ an meiner Stele, aber hier sind sie es eben nicht. Ich stelle fest: mir wär’s lieber, frisch von der Leber weg zu formulieren; ich bedauere durchaus, daß ich angehalten bin – überhaupt war ich in meinem Leben viel zu moralisch –, so nicht zu tun. Noch etwas: ich bin nicht nur homosexuell, sondern asexuell homosexuell. Gell. Könnte man meinen, meine ich manchmal selber.
- Bis in den Mittag hinein grau. Etwas Auflockerung. Nach 15 Uhr fegte die „Anna“ als Orkan über Berlin; flackerndes Sturmgewitter, ein Schmettern, als würden riesige Holzbretterstapel durch die Lüfte geworfen; Grollen, Gepolter ihres Begleiters, eines ungeschlachten Riesen, der über die Dächer wankte; die nackten Bäume bogen sich tief vor ihm nieder, schwankten im Hagelauswurf; der Regen wehte in fallenden Fahnen aus apokalyptischem Grau herunter. Dann riß der Horizont auf, die Sonnenstrahlen beleuchteten Berlin, die Großstadtluft, für eine halbe Stunde von den Giften gereinigt, roch frisch, zerfledderte Cumuli schwebten unter dem reingeblasenen Blau, filigrane Gebilde, aber auch großgebauschte Ballen ruhten woanders vor Ort, kleinere Streifenwolken, fast sausten sie, eilten vor dem Wind davon. Im östlichen Gehimmel auf oberer Höhe die helle Scheibe des Mondes über der Stadt, bis eine zweite schwarze Sturm- und Hagelfront sich entleerte. Auch nach dieser öffnete sich die Wolkenschicht in der abendlich-nächtlich dunkel gewordenen Schutzhülle des Planeten, der Mond, weiß, glänzte in der Nähe des Fernsehturms.
26.2.2002
26.02.