23.2.2002
Für ihre Geburtstage nahm meine Mutter, die in jenen sechziger Jahren regelmäßig im Kaufhaus „Schleehauf“ arbeitete, sich frei, so konnte sie vormittags und über Mittag die Vorbereitungen für die Feier treffen, die aber auch schon am Tag davor begannen. Es mußte eingekauft werden, es mußten zwei Marmorkuchen mit Schokoladenstückchen darin gebacken werden, es mußte für den nächsten Tag alles bereit sein. In meinen Grundschuljahren und vielleicht auch noch als Dreizehnjähriger half ich manchmal beim Kneten des Teiges mit diesem klöpppelartigen Holzding, mit dem die Masse gewalkt wurde; dann wurde hin und wieder eines der Schokoladenstückchen aus dem Teig stibiezt, auch vom Teig ein Löffelchen. Diese Kuchen schmecken am Tag darauf köstlich. Torten aller Sorten entstanden entweder in Heimarbeit – wofür ich mich auf’s Fahrrad zu schwingen und Tortenböden und was es sonst noch so brauchte zu besorgen hatte, so daß ich dann, wenn der Einkauf ein größerer gewesen war, gar nicht zurückfahren konnte, weil links und rechts am Lenker volle Einkaufstaschen baumelten, und auf dem Gepäckständer (gut, daß dieses Wort mir kürzlich wieder eingefallen ist) war auch einer festgeklemmt – oder es wurden auch einmal Torten gekauft, oder von Frau H., die sich in ihre Küche gestellt hatte, geliefert. Am frühen Nachmittag der Geburtstagsfeier fuhr ich dann wieder „in die Stadt“ und holte „Berliner“, zu denen die Berliner Pfannkuchen sagen. „Berliner“ mußten da sein. (In den Tagen zuvor hatte ich auf eine Idee für das Geburtstagsgeschenk zu kommen, und einmal schenkte ich, neben dem obligatorischen Blumenstrauß, weil mir, auch angesichts der ohnehin stets schmalen Börse, die zwar auf diesen Tag hin mit Gespartem etwas voller geworden war, wirklich nichts anderes einfiel, eine Geflügelschere. Meine Mutter fühlte sich auch mit solch einem profanen Gegenstand beschenkt. Diese Geflügelschere war in vielen Jahren ein praktisches Ding, ich besitze sie noch, benütze sie aber nicht.
Für den Abend – die Mampferei setzte sich eigentlich ununterbrochen fort – wurde schlesischer Kartoffelsalat (mit Gurken- und Heringsstückchen darin) zubereitet, dazu aßen die Gäste Wiener Würstchen; auch Tartar und Wurst und Käse und Brot und ich weiß nicht mehr was sonst noch alles vervollständigten die Tafel. Getrunken wurde Bier, Malzbier, Sprudel; Wein selten, ein Schnäpschen hinterher war den Männern recht, denn diese Feiern waren keine reinen Damenkränzchen, wobei die Männer zum Anhang der Bekannten zählten. Nur Dr. Gawlik, der alte Richter, eine vornehme Erscheinung, war schwerlich als „Anhang“ seiner kleinen, zarten, liebenswürdigen Frau anzusehen; und auch der Pastor J. nicht, und auch die anderen zwei oder drei Herren mittleren und älteren Alters hätten sich so eine Einschätzung verbeten. Es war so reichlich aufgetragen, daß immer noch etwas übrig blieb, wenn die letzten Gratulanten, deren Geschenke, nichts allzu Üppiges darunter, auf einem Schränkchen aufgetürmt oder an es angelehnt oder in dessen ungefähre Nähe gestellt, gelegt wurden, spätestens gegen zweiundzwanzig Uhr den Weg nach Hause antraten; und zwar per pedes, denn niemand – außer dem Pastor am Ende des Dezenniums – verfügte über ein Auto. Manche ließen ein Taxi anfahren, das mit dem Telefon bei den Mietern unten bestellt wurde – von denen übrigens kaum jemand bei der Schlemmerei anwesend war, ich entsinne mich nur an ganz wenige Gesichter aus dem Hochparterre, die zuweilen an solchen Nachmittagen am Tisch saßen. Danach hieß es abräumen, die Küche voll stellen. Hatte ich am Geburtstagsnachmittag, während über dem Flur im Wohnzimmer die Gäste schnabulierten und quatschten, unermüdlich in der Kaffeemühle mit einer Kurbel Kaffeebohnen zerpulvert und das Pulver ebenso gleichmäßig und -mütig in die Kaffeefilter geschüttet, die unablässig in die Filtertütentrichter über unersättlichen großbauchigen Kaffeekannen gesteckt wurden, so besorgte ich mit derselben Schicksalsergebenheit zumindest große Teile des Abwaschs am Nachmittag des folgenden Tages. Und es war mir nur erfreulich, wenn ich schon nicht aus der Wohnung verschwinden konnte, daß ich in der Küche werkte, aus der Platten und Kannen und Flaschen hinaus- und leere Platten und Kannen – die Flaschen verblieben vorerst dort, wo sie geleert wurden – herein getragen wurden, von meiner Mutter, von Frau H., von Frau K., von anderen auch, je nachdem, wer sich nützlich machen wollte, denn das Getratsche dort an den Tischen, ein Brummen und Summen, war ja für die kritischer zuhörenden Ohren eines Jugendlichen nicht auszuhalten!
- Über Mittag heiterte „es“ sich unentschlossen auf, graue Wolken, blauer Äther mit Zirrhuswolken, dann düsterte der Tag wieder ein, aber auch das nur andeutungsweise. „Es“ blieb diesig-grau, und dann brannte plötzlich der Sonnenfleck wie ein kaltes weißes Feuer in einer Vertrübung; bald jedoch wurde diese fort geschoben, denn der Wind war zeitweilig kräftig, und unter ihr loderte über dem Dächerhorizont dieses gefährlich wirkende weiße Licht. Das geschah um 16.10 Uhr. Dann fraß das volle grelle Licht sich ungefiltert, wie die Höllenflamme eines göttlichen Schneidbrenners, durch. Schönes Abdämmern. Abends und nachts trocken und kalt.
23.2.2002
Für den Abend – die Mampferei setzte sich eigentlich ununterbrochen fort – wurde schlesischer Kartoffelsalat (mit Gurken- und Heringsstückchen darin) zubereitet, dazu aßen die Gäste Wiener Würstchen; auch Tartar und Wurst und Käse und Brot und ich weiß nicht mehr was sonst noch alles vervollständigten die Tafel. Getrunken wurde Bier, Malzbier, Sprudel; Wein selten, ein Schnäpschen hinterher war den Männern recht, denn diese Feiern waren keine reinen Damenkränzchen, wobei die Männer zum Anhang der Bekannten zählten. Nur Dr. Gawlik, der alte Richter, eine vornehme Erscheinung, war schwerlich als „Anhang“ seiner kleinen, zarten, liebenswürdigen Frau anzusehen; und auch der Pastor J. nicht, und auch die anderen zwei oder drei Herren mittleren und älteren Alters hätten sich so eine Einschätzung verbeten. Es war so reichlich aufgetragen, daß immer noch etwas übrig blieb, wenn die letzten Gratulanten, deren Geschenke, nichts allzu Üppiges darunter, auf einem Schränkchen aufgetürmt oder an es angelehnt oder in dessen ungefähre Nähe gestellt, gelegt wurden, spätestens gegen zweiundzwanzig Uhr den Weg nach Hause antraten; und zwar per pedes, denn niemand – außer dem Pastor am Ende des Dezenniums – verfügte über ein Auto. Manche ließen ein Taxi anfahren, das mit dem Telefon bei den Mietern unten bestellt wurde – von denen übrigens kaum jemand bei der Schlemmerei anwesend war, ich entsinne mich nur an ganz wenige Gesichter aus dem Hochparterre, die zuweilen an solchen Nachmittagen am Tisch saßen. Danach hieß es abräumen, die Küche voll stellen. Hatte ich am Geburtstagsnachmittag, während über dem Flur im Wohnzimmer die Gäste schnabulierten und quatschten, unermüdlich in der Kaffeemühle mit einer Kurbel Kaffeebohnen zerpulvert und das Pulver ebenso gleichmäßig und -mütig in die Kaffeefilter geschüttet, die unablässig in die Filtertütentrichter über unersättlichen großbauchigen Kaffeekannen gesteckt wurden, so besorgte ich mit derselben Schicksalsergebenheit zumindest große Teile des Abwaschs am Nachmittag des folgenden Tages. Und es war mir nur erfreulich, wenn ich schon nicht aus der Wohnung verschwinden konnte, daß ich in der Küche werkte, aus der Platten und Kannen und Flaschen hinaus- und leere Platten und Kannen – die Flaschen verblieben vorerst dort, wo sie geleert wurden – herein getragen wurden, von meiner Mutter, von Frau H., von Frau K., von anderen auch, je nachdem, wer sich nützlich machen wollte, denn das Getratsche dort an den Tischen, ein Brummen und Summen, war ja für die kritischer zuhörenden Ohren eines Jugendlichen nicht auszuhalten!
- Über Mittag heiterte „es“ sich unentschlossen auf, graue Wolken, blauer Äther mit Zirrhuswolken, dann düsterte der Tag wieder ein, aber auch das nur andeutungsweise. „Es“ blieb diesig-grau, und dann brannte plötzlich der Sonnenfleck wie ein kaltes weißes Feuer in einer Vertrübung; bald jedoch wurde diese fort geschoben, denn der Wind war zeitweilig kräftig, und unter ihr loderte über dem Dächerhorizont dieses gefährlich wirkende weiße Licht. Das geschah um 16.10 Uhr. Dann fraß das volle grelle Licht sich ungefiltert, wie die Höllenflamme eines göttlichen Schneidbrenners, durch. Schönes Abdämmern. Abends und nachts trocken und kalt.
23.2.2002
23.02.