4
Feb

4.2.2002

Meinen ersten literarischen Text, also Prosa, den ich selber als solchen betrachtete, schrieb ich entweder in der zweiten Jahreshälfte von 1967 oder in der ersten von 1968. Schon wieder diese ungenaue Zeitangabe! Aber Tagebuch führte ich damals noch nicht. Übrigens in allen Jahren danach, nachdem die Siebziger begonnen hatten, auch nur dann und wann. Aber jene Tagebuchaufzeichnungen waren noch kurz, Kürzel eigentlich; es steht fest, denn vor einigen Jahren, in Biberach, sah ich sie mir, denn es waren gar nicht so viele, einmal an: manches, was dort festgehalten ist, verbirgt sein Geschehen wohl für immer selbst vor mir, die Notizen bringen die Szenen nicht mehr ins Gedächtnis zurück; zumindest nicht so, daß mir noch erkennbar wäre, was denn sich zutrug, die Zusammenhänge und Hintergründe sind oft zu stenogrammartig, und mit so manchen Initialen, Abkürzungen schon dort und damals, auf daß ja niemand mich der Indiskretion beschuldigen könne, eines fernen Tages, wenn ... , sofern ... , an den ich aber doch dachte, kann ich selber nichts mehr anfangen, diese Leute, Bekannten, Freunde von früher werden einzelne Buchstaben bleiben, hinter denen ein Punkt gesetzt ist. Mit den meisten habe ich sowieso seit langem nichts mehr zu tun – nehme ich doch an, denn wie gesagt, ich habe Schwierigkeiten, den Initialen Personen zuzuordnen. Womöglich wäre es eines Tages dem einen oder anderen (andere waren auch dabei) dann gar nicht so unlieb, doch zu erkennen zu sein? Aber, um hier keine falschen Hoffnungen bei jenen zu wecken, die nicht dabei gewesen sein konnten: es sind nur Kneipenreflexionen und -beobachtungen, nichts von wirklicher Brisanz in gewisser Hinsicht und Bedeutung ist darunter, jedenfalls fast nicht; dachte ich damals.
Also die erste Geschichte, die ich im stillen für gelungen hielt, als sie fertig war, war ein Aufsatz – nein, so kann man das ja nicht sagen, obwohl das „Thema“ für andere in der Klasse vielleicht ein Aufsatzthema war. Das Thema ist mir entfallen, das gestellte. Ich schrieb eine Geschichte, in der jemand ein Restaurant betritt, sich umsieht, setzt und eine Fliege beobachtet, die sich mit einer Tasse anfreundet. Die Geschichte ging noch weiter, aber wie? (Alle Hefte aus den Realschuljahren sind mir abhanden gekommen.) Ich hatte beim Schreiben ein paar Sätze aus einem Science Fiction-Roman im Kopf, einen bestimmten Stil, den ich zu treffen versuchte. Es gelang mir recht gut. Ein paar Tage später, die Hefte waren noch nicht zurückgekommen, sagte mir der Realschuldirektor A., ein großer, schlanker, nervöser Mann, den wir als Klassenlehrer hatten und der bei jeder Gelegenheit „gemma, Kinder, gemma, gemma“, sagte, was uns sagte, daß auch er nicht im Schwabenland gebürtig war, während er vorn an seinem Lehrertisch Papiere sortierte und ich gerade vorbeiging und er mich anhielt, murmelnd, meine Geschichte sei sehr gut, und ein wohlwollender Blick kam zu mir herüber. Offensichtlich hatte der Deutschlehrer – viele Jahre konnte ich mich an seinen Namen erinnern, und gerade jetzt nicht – ihm den Text gezeigt. Das Lob freute mich, überraschte mich aber nicht sehr, denn ich wußte ja, daß mir die Geschichte gelungen war. Bei der Abschlußfeier der Klasse, mit der die Realschulzeit endete, bekam ich als Preis „Sämtliche Erzählungen“ von Hemingway. Hemingway – hatte meine short story die Wahl des Schulleiters auf diesen Autor fallen lassen? Die Kennzeichnung „Diedrich 6a“, mit Bleistift unten rechts auf das leere Vorderblatt neben dem Kartonumschlag geschrieben, steht da noch immer.
- Sonne, aber kühler als gestern und vorgestern.
4.2.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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