25.1.2002
Noch einmal zur Karl May-Lektüre und gleichzeitig in die DDR in der Mitte der sechziger Jahre, ins Karl May-Museum nach Radebeul bei Dresden, wo May in seinen späteren Jahren in einem Haus mit dem Namen „Villa Shatterhand“ gewohnt hatte.
An einem trüben Sommertag, es muß 1963 gewesen sein, und ich habe während einer langen Zeit angenommen: 1964, während der Ferien, die ich mit meiner Mutter zum größten Teil in Fischbach, jenem Dorf hinter Dresden, verbrachte, nahm ich an einer Besichtigung dieser Wohnstätte des Fabulierers teil, durch zwei oder drei Räume wurden wir geführt. Im etwas leiernden Tonfall solcher Damen erklärte die ältliche Kulturfrau, obwohl dieser schreibende Karl nicht zu den sozialistischen Klassikern gerechnet wurde und wird, und sein Werk und dessen Rezeption in jungen Jungenköpfen nur geduldet statt gefördert wurde, mit einiger Sachkenntnis und vorurteilslos Mays Wohn- und Lebensverhältnisse und ein paar Zusammenhänge mit seinen Romanen; freilich im Schnellverfahren, mehr wurde auch nicht erwartet. Bärentöter und Henrystutzen prangten an der Wand, auch ein indianischer Federschmuck, der kaum vom Stamme der Apatschen war. Ein schwerer Schreibtisch, Utensilien, vielleicht sogar original, aber so genau nahm ich es nicht. Allein die Tatsache, daß in diesen nicht sehr großen Räumen derjenige hin- und hergegangen war und einige der Bücher, deren Geschichten sich in meinem Kopf tummelten, geschrieben hatte, war beeindruckend genug. (Es war ein regnerischer Tag, und durch das dumpfe Tageslicht vor den Fenstern, das die Räume nur halb erhellte, wirkte das 19. Jahrhundert-Mobiliar noch altmodischer, noch verstaubter.) Andererseits war ich nicht naiv genug, um alles ehrfurchtsvoll anzustaunen; längst wußte ich: Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi und alle anderen waren weder durch den Wilden Westen noch durchs wilde Kurdistan geritten. Ich besah mir alles, und so viel war es überhaupt nicht, mit einer Spur von Belustigung in den Gedanken. Trotz des Wissens um die wahren Umstände dieser Abenteuerproduktion fühlte ich Genugtuung, diesen Ort gesehen und in meinen Expertenkenntnissen zugelegt zu haben. Leider las keiner meiner (wenigen) Freunde Karl May, so konnte ich mich zuhause nicht, wie ich mir beim Hinausgehen bedauernd sagen mußte, mit diesem Besuch im Heim eines weitberühmten Schriftstellers hervortun. Überhaupt fanden die Freunde es unverständlich, die Ferien in einem Land zu verbringen, das „Ostzone“ genannt wurde; dort konnte es nichts geben, dort herrschten böse Leute, was konnte man dort Spannendes erleben? Ich erzählte so gut wie nie von diesen Reisen und wurde auch nicht gefragt. Die „Ostzone“ war für junge Oberschwaben auf nicht ganz erklärliche Weise weiter fort als irgend ein anderes Land – eines, das eigentlich nur im Fernsehen vorkam, und auch die Erwachsenen interessierte es nicht. In diesen jungen Wahrnehmungssystemen hatte ich einige Zeit außerhalb des Bekannten und Gewünschten verbracht, außerhalb jeglichen Interessengebietes sozusagen, und es war wohl doch ein wenig erstaunlich, daß ich am Ende der Ferien wieder ganz normal zurück in der Lindelestraße war.
- Angenehmer Sonnentag am Vormittag, aber kalt. Ab Mittag graue Wolkenschichten, dazwischen Sonnenlicht, der Wind kräftig, später nachlassend.
25.1.2002
An einem trüben Sommertag, es muß 1963 gewesen sein, und ich habe während einer langen Zeit angenommen: 1964, während der Ferien, die ich mit meiner Mutter zum größten Teil in Fischbach, jenem Dorf hinter Dresden, verbrachte, nahm ich an einer Besichtigung dieser Wohnstätte des Fabulierers teil, durch zwei oder drei Räume wurden wir geführt. Im etwas leiernden Tonfall solcher Damen erklärte die ältliche Kulturfrau, obwohl dieser schreibende Karl nicht zu den sozialistischen Klassikern gerechnet wurde und wird, und sein Werk und dessen Rezeption in jungen Jungenköpfen nur geduldet statt gefördert wurde, mit einiger Sachkenntnis und vorurteilslos Mays Wohn- und Lebensverhältnisse und ein paar Zusammenhänge mit seinen Romanen; freilich im Schnellverfahren, mehr wurde auch nicht erwartet. Bärentöter und Henrystutzen prangten an der Wand, auch ein indianischer Federschmuck, der kaum vom Stamme der Apatschen war. Ein schwerer Schreibtisch, Utensilien, vielleicht sogar original, aber so genau nahm ich es nicht. Allein die Tatsache, daß in diesen nicht sehr großen Räumen derjenige hin- und hergegangen war und einige der Bücher, deren Geschichten sich in meinem Kopf tummelten, geschrieben hatte, war beeindruckend genug. (Es war ein regnerischer Tag, und durch das dumpfe Tageslicht vor den Fenstern, das die Räume nur halb erhellte, wirkte das 19. Jahrhundert-Mobiliar noch altmodischer, noch verstaubter.) Andererseits war ich nicht naiv genug, um alles ehrfurchtsvoll anzustaunen; längst wußte ich: Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi und alle anderen waren weder durch den Wilden Westen noch durchs wilde Kurdistan geritten. Ich besah mir alles, und so viel war es überhaupt nicht, mit einer Spur von Belustigung in den Gedanken. Trotz des Wissens um die wahren Umstände dieser Abenteuerproduktion fühlte ich Genugtuung, diesen Ort gesehen und in meinen Expertenkenntnissen zugelegt zu haben. Leider las keiner meiner (wenigen) Freunde Karl May, so konnte ich mich zuhause nicht, wie ich mir beim Hinausgehen bedauernd sagen mußte, mit diesem Besuch im Heim eines weitberühmten Schriftstellers hervortun. Überhaupt fanden die Freunde es unverständlich, die Ferien in einem Land zu verbringen, das „Ostzone“ genannt wurde; dort konnte es nichts geben, dort herrschten böse Leute, was konnte man dort Spannendes erleben? Ich erzählte so gut wie nie von diesen Reisen und wurde auch nicht gefragt. Die „Ostzone“ war für junge Oberschwaben auf nicht ganz erklärliche Weise weiter fort als irgend ein anderes Land – eines, das eigentlich nur im Fernsehen vorkam, und auch die Erwachsenen interessierte es nicht. In diesen jungen Wahrnehmungssystemen hatte ich einige Zeit außerhalb des Bekannten und Gewünschten verbracht, außerhalb jeglichen Interessengebietes sozusagen, und es war wohl doch ein wenig erstaunlich, daß ich am Ende der Ferien wieder ganz normal zurück in der Lindelestraße war.
- Angenehmer Sonnentag am Vormittag, aber kalt. Ab Mittag graue Wolkenschichten, dazwischen Sonnenlicht, der Wind kräftig, später nachlassend.
25.1.2002
25.01.