18.1.2002
Am späten Abend – man könnte auch die Nacht für solche Stunden in Anspruch nehmen – zu lesen war mir als Dreizehn- und Vierzehnjährigem zur Gewohnheit geworden. Das Schreiben am späten Abend fand dann, wenn am späten Abend, ab dem siebzehnten Lebensjahr statt. Aber über eine sehr lange Zeit hinweg schrieb ich, wieder waren Jahre vergangen, dann wirklich erst in der Nacht – sofern ich schrieb. Denn ich bin eigentlich immer nur – dies „nur“ ist nicht abwertend gemeint, oder doch? – ein Leser gewesen, und ein Schreiber nur – und dies „nur“ hat einen bedauernden Klang – sporadisch. Bevor ich aber zu schnell in den Jahren weitereile, komme ich zurück in die, die in der Mitte des sechsten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts lagen. An einen dieser Abende erinnere ich mich deutlich: in ihm schrieb ich das erste Gedicht, „Vogelsang“. Ich war sechzehn Jahre alt, man datierte also entweder das Jahr 1967 oder auch 1968, aber dann vor dem September. Ich bemerke, daß mir zwar der Abend klar im Gedächtnis ist, aber nicht, wann er war, ob im Herbst, im Winter, Frühjahr oder Sommer. Der Titel des Gedichts ist mir keine Hilfe, denn nur weil es sich mit Vögeln oder einem Vogel (so genau weiß ich auch das jetzt nicht mehr) beschäftigte, mußte es nicht in vogelfreundlicheren Jahreszeiten geschrieben worden sein. Ich schrieb dieses kleine Gedicht, das mir abhanden kam (vermutlich in den Siebzigern), und wußte danach, was ich getan hatte: ich hatte ein Gedicht geschrieben. Als ich zu Bett ging, war mir der Gedanke, ein Poet zu sein, einer zu werden, ganz selbstverständlich. An diesen Minuten war etwas Erhebendes. Es war einer jener Augenblicke – also die Zeitspanne, die man für diese Blicke braucht – , von denen man von Schriftstellern mitgeteilt bekommt, sie seien es gewesen, in denen man die eigene Bestimmung erkannt habe. Das Lesen spätabends ging mit dem Widerwillen gegen das morgendliche Aufstehen zusammen. Die Schulzeit hindurch, bis zum Ende der Pflichtübung, rasselte um 6.15 Uhr ein breiter Wecker mit einem Metallknopf auf seinem „Kopf“. Auf den schlug ich, das häßliche Rasseln abzustellen.
Ich war immer ein Nachtmensch. Meine Mutter auch. Die Ursache dieser Eigenschaft oder auch nur Angewohnheit war vielleicht die, daß sie als Mädchen in der Gastwirtschaft, die die Eltern auf dem Hof in Oberschlesien betrieben hatten, ausgeholfen, also manchmal bedient hatte, und dabei war es oft spät geworden. So erklärte sie sich mir gegenüber einmal. Auf mich ging dieses Verhalten durch Vererbung über. Das kommt vor. Die morgendliche Verstimmung, im Winter noch verstärkt durch die Gewißheit, in Kälte und/oder Schnee oder Schneeregen oder nur durch Regen, und dunkel war es zu dieser Stunde auch, zu jenem Ort hasten zu müssen, zu dem man als künftig halbwegs angesehenes Mitglied eines sozialen Gefüges eben zu hasten hat, ließ spätestens im achtzehnten Jahr der Anwesenheit in mir den Entschluß reifen, mich nur einer Tätigkeit, für die ich nicht so lächerlich früh aufzustehen brauchte, zu widmen. Doch, diese Unlust hatte ihren Anteil daran, daß ich nie einen Beruf hatte, nur für sechzehn Jahre einen Job; für’s Faulsein war ich immer talentiert.
- Naßgrau, nachmittags sanken ein paar Wasserschneeflocken zwischen die Häuser und in die Hinterhöfe, dann für einige Zeit Regentropfen, bis es Abend war.
18.1.2002
Ich war immer ein Nachtmensch. Meine Mutter auch. Die Ursache dieser Eigenschaft oder auch nur Angewohnheit war vielleicht die, daß sie als Mädchen in der Gastwirtschaft, die die Eltern auf dem Hof in Oberschlesien betrieben hatten, ausgeholfen, also manchmal bedient hatte, und dabei war es oft spät geworden. So erklärte sie sich mir gegenüber einmal. Auf mich ging dieses Verhalten durch Vererbung über. Das kommt vor. Die morgendliche Verstimmung, im Winter noch verstärkt durch die Gewißheit, in Kälte und/oder Schnee oder Schneeregen oder nur durch Regen, und dunkel war es zu dieser Stunde auch, zu jenem Ort hasten zu müssen, zu dem man als künftig halbwegs angesehenes Mitglied eines sozialen Gefüges eben zu hasten hat, ließ spätestens im achtzehnten Jahr der Anwesenheit in mir den Entschluß reifen, mich nur einer Tätigkeit, für die ich nicht so lächerlich früh aufzustehen brauchte, zu widmen. Doch, diese Unlust hatte ihren Anteil daran, daß ich nie einen Beruf hatte, nur für sechzehn Jahre einen Job; für’s Faulsein war ich immer talentiert.
- Naßgrau, nachmittags sanken ein paar Wasserschneeflocken zwischen die Häuser und in die Hinterhöfe, dann für einige Zeit Regentropfen, bis es Abend war.
18.1.2002
18.01.