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9.11.2002

Das untere Ende des Filmstreifens wird auf die untere Filmspule, die sich in der unteren Filmspulentrommel befindet, aufgelegt und durch „hartes“ Drehen der Spule auf ihr festgezurrt, möchte ich fast sagen, eben so fest angespannt, daß der Filmstreifen straff sitzt, denn nur so kann die sich bei anschließender Inbetriebnahme des Projektors drehende untere Spule – die obere dreht sich natürlich auch – den Film aufspulen, ohne daß er aus der unteren Trommel „hinausläuft“. Das Vorprogramm war somit eingelegt, nun wurde der Hauptfilm, der Film, den anzusehen die Kinobesucher da unten im Foyer oder im Saal, denn im Erdgeschoß, das auch im „Urania“-Kino ein Hochparterrre ist, ist nun Einlaß, gekommen sind, in den anderen „Bauer“-Projektor eingefädelt. Seit Mitte der achtziger Jahre verfügten auch die „Filmtheaterbetriebe K ...“ über eine sogenannte Filmtellervorführvorrichtung, im internen Kinojargon „Tellerbetrieb“ genannt, die von dem Ravensburger Kinobesitzer Burth erfunden worden war und auf die er ein Patent hält. Alle großen Kinos, die Kinocenter, und auch die mittleren und kleinen, von letzteren aus Finanzierungsgründen nicht alle, besitzen seit Anfang der achtziger Jahre oder auch erst später solch eine automatische Abspieleinrichtung. Diese Erfindung ermöglicht das Abspielen ein- und derselben Filmkopie, zeitlich versetzt, in mehreren Kinos: Der sehr lange Filmstreifen, der bei Zweistundenfilmen eine Länge von etwas mehr als eineinhalb Kilometern oder noch mehr hat, läuft über aufgehängte Spulen durch mehrere Projektoren in einer Vorführkabine oder mehreren, und einer der Vorteile dieses Verfahrens ist darin zu sehen, daß für den Abspielbetrieb nur ein Vorführer für alle Kinos statt zwei oder drei für die verschiedenen Vorführräume mit traditioneller Zwei-Projektoren-Vorführung benötigt wird. Die Burth’sche Erfindung ist auch aus diesem Grund für die Kinobetreiber eine sehr nützliche Rationalisierungsmaßnahme. Ein anderer Vorteil daran ist, daß der Vorführer, oder die Vorführerin, denn solche gab und gibt es auch, zu meiner Zeit in diesen Biberacher Kinos aber nicht, nicht alle fünfzehn oder zwanzig Minuten die Projektorenfilmspulen auswechseln mußte, wie es jahrzehntelang der Fall war, wenn ein Spielfilm so gezeigt wurde, wie der Kinobesucher es erwartete, nämlich ohne technische Pausen in der Filmhandlung. Das kam schon einmal vor, vor der Installierung der „Filmteller“, und auch mir unterliefen gelegentlich Projektionsfehler, als dieser vortreffliche automatische Betrieb noch nicht vorhanden war, also bis etwa 1984 im „Urania“. Im „Filmtheater“ wurde der Filmteller früher aufgebaut. Als ich zu Beginn der achtziger Jahre für einige Zeit auch in diesem Kino vorführte, geschah das noch – wie in diesen Jahren auch im „Urania“ – im Zwei-Projektoren-Modus, der noch mit Lichtbogenprojektion funktionierte. Der eine oder andere, die oder jene, der oder die im Physikunterricht etwas aufgenommen haben, erinnert sich nun vielleicht an das elektrische Zusammenspiel von Kathode und Anode, das zwischen beiden Polen, die vorzugsweise aus Kohlestäben bestehen, eine Verbindung aus Licht herstellt; Photonenfluß entsteht, Quanten schwingen; nach diesem Prinzip warfen diese alten Projektoren das Licht, also die Filmbilder, auf die Bildwand am anderen Ende eines Kinosaals. Der Vorführer hatte auch die schöne Aufgabe, diese Kohlestäbe, die sich, mitsamt dem Spiegel, der das Licht fokussierte, im breiten gewölbten Blechkasten hinter der mechanischen Apparatur befanden, alle zehn Minuten nachzuregulieren, um eine beständige Lichthelligkeit zu gewährleisten; andernfalls wurde der Film auf der Bildwand, während die spannende Geschichte, der er erzählte, fortging, immer dunkler, auch wenn die Filmstory eine durchaus optimistische war. Während der Filmstreifen durch einen der beiden Apparate mit ratterndem Geräusch durchlief (und am Geräusch, das sich aus den Geräuschen, die Apparat und Filmstreifen verursachten, zusammenmischte, hörte ein erfahrener Vorführer, und der war ich, heraus, wenn etwas nicht stimmte, wenn sich ein Defekt ankündigte), mußten regelmäßig die abgebrannten Kohlestäbe des anderen, im Augenblick nicht benutzten, durch neue, neue glänzende, denn eine dünne kupferne Metallummantelung hatten diese Stäbe, Stifte ersetzt und justiert werden. Leichte Gerüche, die nicht unbedingt gesundheitsfördernd sein konnten, entstiegen dann dem grauen geöffneten Blechkasten und verteilten sich mit Partikeln diverser Provenienz, die durch den Vorführraum reisten. Aber zurück in den Sonntagnachmittag. (Heute wäre übrigens so ein beschriebener Samstagnachmittag, arbeitete ich noch in diesem Job, und ich bin froh, daß dem nicht so ist.) Legte ich den Spielfilm – und manchmal war auch das Vorprogramm „davor“ angeklebt – , in den Projektor ein, 1992, dann nahm ich das innere Ende, den Anfang des Films, zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand – ich schreibe mit der rechten, vollziehe aber handwerklich-technische und ähnliche Tätigkeiten vorzugsweise mit der linken – und fädelte es in die Metallgabel und durch die breiten Spulen des „Steuerungskerns“ in der Mitte eines der drei Filmteller, die übereinander angebracht sind, ein; die Gabel dieses Teils der automatischen Anlage wird durch den Zug und die Bewegung des Filmstreifens hin- und herbewegt, nach links, nach rechts, und signalisiert in diesem Pendeln dem Steuerungsgerät an der Wand, wie schnell oder wie langsam die große runde Platte, auf der der große schwarze Kreis aus sechs, sieben oder acht oder noch mehr zusammengeklebten Filmakten liegt, rotiert (Jeder Film wird fast immer in Form von „Akten“ – die Bezeichnung leitet sich von den „Theaterstückakten“ ab – in flachen schwarzen oder braunen Kartons, in Kisten verstaut, von einem Filmspediteur angeliefert). Dreht sich die Platte aufgrund von Steuerungsstörungen zu schnell, droht Ungemach; dreht sie sich zu langsam, ebenfalls, dann nämlich stimmen die Abspielgeschwindigkeiten des Projektors und der Platte, die dem Apparat den Film zuführt, nicht mehr überein, der Zug wird plötzlich zu stark: der Film reißt und beschädigt, wenn das Unglück es so will, zusätzlich die Mechanik des Projektors. Das gibt dann viel Streß. Ich hatte manchmal solchen Streß; anderen aus anderen – nicht nur technischen – Ursachen natürlich auch. Jeder Vorführer, nehme ich an, flucht dann und drückt auf der Knöpfchenplatte unter dem Sichtloch, durch das er in den Saal sehen kann, oder anderswo ein Knöpfchen, schaltet Saallicht ein, greift zum Haustelefon, informiert die Platzanweiserin, was Sache ist und macht sich an die Arbeit, die Schweinerei in Ordnung zu bringen, was Zeit kostet. Ist der Vorfall größer, kann es sein, daß sich der Beginn der nächsten Vorstellung hinauszögert.
- Ein finster-verregneter Tag, naßkalt.
9.11.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
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