2.11.2002
Es muß an einem herbstlich sonnigen, wärmenden Nachmittag während der 10. Baden-Württembergischen Literaturtage im Frühherbst 1992 gewesen sein, als ich, durch die Stadt schlendernd, an der Bürgertumstraße an einem der weißen Plastiktische, die dort am Eingang eines Cafés standen, Mario Katz neben einer Dame bei einem Glas Wein sitzen sah, und näher trat und an diesem Tisch auf einem weißen Plastikstuhl Platz nahm. Mario war im Gespräch mit Frau Nestle, der Gattin eines Chefarztes am Kreiskrankenhaus Biberach, begriffen, ich gab ab und zu ein paar einsilbige Bemerkungen dazu; so wurde ich mit Frau N. bekannt, und als Mario gegangen war, seine Aktentasche, die er unvermeidlich immer, wenn man ihm begegnete, bei sich führte, hinter den Sattel seines Fahrrads geklemmt hatte und fortgefahren war, kamen Frau N. und ich auf die in jenem Jahr neu etablierte Jugendkunstschule, deren Leiterin sie war, zu sprechen. Frau N., die schon eine Laien-Theateraufführung mit dem Brecht-Stück „Der kaukasische Kreidekreis“ initiiert hatte, äußerte im Gespräch im Spätsommerlicht den Wunsch, daß es, wenn es irgend möglich wäre, doch auch die jugendlich-kindgerechte Arbeit mit Sprache, mit Literatur, an ihrer Institution geben möge, so bot ich ihr an, mir einmal Gedanken darüber zu machen. Sie kannte mich und meine literarische Kompetenz freilich noch nicht, gab jedoch ihrer Bereitschaft Ausdruck, einmal ein Konzept von mir zur Einrichtung einer Literaturwerkstatt für Kinder entgegennehmen zu wollen. Zwei Monate verstrichen, ohne daß ich das tat und ohne ermunternde Aufforderung, es zu tun, doch im Dezember formulierte ich ein paar Überlegungen und schickte das Papier ins Büro der Jugendkunstschule, das im Gebäude der Jugendmusikschule an der Wieland-Straße untergebracht war. Danach geschah etliche Monate wieder nichts, wieder war ein Winter meines Mißvergnügens Vergangenheit, ich verbannte im Frühjahr Alkohol und Nikotin aus meinem Leben. Zufällig begegneten Frau Nestle und ich uns in der frühsommerlichen Stadt und sie sagte, wir sollten uns endlich zusammensetzen, um die Eröffnung der literarischen Sektion der aufblühenden Jugendkunstschule zu erörtern. Das taten wir einige Tage danach auf den Holzbänken vor dem „Tweety“. Sie beauftragte mich, ein Faltblatt, ähnlich denen, die schon auf die Kurse und Veranstaltungen ihrer Schule hinwiesen, herzustellen, in dem etwas Aussagekräftiges zu einem zu beginnenden Literaturkurs für Kinder ab neun Jahren stünde. Ich arbeitete mit IBM und Schere und Klebstoff, bastelte ein grafisch und literarisch ansprechendes Blättchen und lieferte es nach wenigen Tagen ab. Der Schulleiterin gefiel es nicht übel, die nötigen Informationen waren optisch hübsch eingepackt; für’s Bewerbungsgespräch mit dem Vorsitzenden des Fördervereins, der diese nichtstaatliche Schule, die für ihre Kurse Gebühren verlangte, trug, dem städtischen Musikdirektor und Chef der Jugendmusikschule mit dem mir vertrauten Namen Marx, dessen Vater eine bedeutende Musikerpersönlichkeit in Stuttgart gewesen war, war nun noch ein sogenannter Lebenslauf vorzulegen. In den – diese Bewerbung war in meinem Leben die erste und letzte – schrieb ich kein Wort von meinem früheren marxistischen Funktionärswirken hinein. Das Gespräch wurde geführt, ich bekam den Job, den ich weniger wegen des Honorars, das, monatlich abgerechnet, nun auf mich zukam, angestrebt hatte, wie ich ja nie ein Streber war, sondern weil ich in mir spürte, daß ich dafür ganz gut geeignet sei und Lust hatte, etwas auszuprobieren. Das Studium der Pädagogik bei Professor Buck in Stuttgart hatte ich ja de facto nicht betrieben, neben der Politologie, die mich bald ebenso gelangweilt hatte, so war diese Tätigkeit eine Art Feldversuch in eigener Sache auch. (Prof. Buck, ein Mann nahe der Emeritierung, hatte oft und ausgiebig über seine Zeiten als Pädagoge an Waldorf-Schulen gesprochen. Hatte er nicht an der Odenwald-Schule gelehrt?) Eines Nachmittags in der Oktobermitte des Jahres 1993 war ich im kleinen Unterrichtsraum im Souterrain des alten Jugendmusikschulgebäudes – in das ich als Kind zum Erlernen des Blockflötenspiels hinein- und hinausgegangen war – , der auch für andere Kurse, Malkurse, benutzt wurde, von zwölf aufgeweckten Kindern umgeben, die gleich mir auf Holzstühlchen, die eher für sieben Zwerge als für zwölf Neun- und Zehnjährige beiderlei Geschlechts gedacht zu sein schienen, um eine große rechteckige, tiefblau angestrichene Holzplatte hockten und mich erwartungsvoll und etwas skeptisch beäugten. Ich erklärte, was hier stattfinden würde, begann das Wort zu erheben und Wörter zu erwähnen, mit denen auf die vielfältigste Weise gespielt werden könne; und alle Wörter sind ja dafür geeignet. Und daran beteiligte auch ich mich, bis zum Sommer `98. Es machte viel Spaß.
- Ein vormittags grauer Samstag, mittags kurze sonnige Auflichtung, blauer Himmel, weiße Wolken, danach Verdüsterung.
2.11.2002
- Ein vormittags grauer Samstag, mittags kurze sonnige Auflichtung, blauer Himmel, weiße Wolken, danach Verdüsterung.
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