20
Okt

20.10.2002

Waren die RAF-Leute der „ersten Generation“ nicht spätexistentialistische Gestalten, die verspätet auf die deutsche Bühne traten, die de facto dem Mythos vom Sisyphos folgten, dessen „Arbeit“ bewerkstelligten, freilich nichts von ihm wissen wollten, sofern sie überhaupt die Ahnung davon hatten, sie könnten von der Vergeblichkeit seiner Vorstellungen und seiner Tat nicht sehr weit entfernt sein? Nichts davon, in ihrer grotesk operettenhaften Überheblichkeit und Auserwähltheit und verrutschten Wahrnehmung dessen, was sich nun einmal als Wirklichkeit festgesetzt hatte, wissen wollen, ahnen wollten, bis, vielleicht, während der letzten erschrockenen und düsteren Blicke in die Welt, ein Schimmer davon in ihnen aufstieg? War es nicht eigentlich die Geste des vergebens gegen die Welt und das sogenannte Schicksal des Einzelnen in ihr Rebellierenden, die Jean-Paul Sartre dazu veranlaßt hatte, die Häftlinge von Stammheim zu besuchen? Sich eine Vorstellung, am konkreten Subjekt, das Subjekt der Geschichte sein wollte, von diesen auf die beispielhafteste Weise gescheiterten Aufständischen einer mit hohen Hoffnungen aufgebrochenen Generation zu bilden, sich in diese Vorstellung zu begeben? Doch war das Stück, das so geboten wurde, dürftig. Beabsichtigte er, einige Figuren seines Widersachers Camus in Augenschein nehmen? Diese Leute wollten die Entfremdung bekämpfen und waren sich in der Welt, in der sie existierten, ganz entfremdet; waren in dieser Wahnwelt gelandet, in der die „Landshut“ nicht weiterflog. (Ist denn nicht alles Wahn in dieser Welt? Oder zumindest Verblendungszusammenhang?) Mit dem 19. Oktober 1977 endeten die „APO-Jahre“ endgültig, mit dem Untergang dieser drei Kinder der Revolution, mit dem symbolischen Mord an einem früheren Angehörigen einer Mörder-Organisation, an einem ihrer Widersacher, an einem ihrer Nazi-Väter, die Bühne war besudelt mit dem Blut von allen und floß ineinander.
An Günter Rehm will ich mich noch einmal erinnern, weil die Weise, wie er mit seiner schweren Krankheit, die seine Knochen zerstörte, umging, mich beeindruckte: fast nie sprach er über sie, klagte nicht, gab sich heiter, machte kein Aufhebens davon, sprach eher verächtlich über seine körperliche Verfassung, die es ihm erlaubte, noch die achtziger Jahre zu überleben. In der Fastenbrezelsaison im Februar und März arbeitete er aushilfsweise in einer Bäckerei am Museum. In den Siebzigern handelte er mit allerlei Trödel und mit alten Schallplatten; ich schenkte ihm LPS aus den Sechzigern, mit deren Musik ich nichts mehr anfangen konnte; drei Alben der „Bee Gees“ waren darunter. 1967 hatten ihre Songs mir gefallen. Das hatte ich freilich nicht laut sagen dürfen. Günter verkaufte diese Platten innerhalb weniger Tage. Er war mittelgroß, mager, nicht gutaussehend, stets freundlich, seine lebendige Art kompensierte die Krankheit, unermüdlich streifte er durch die Kneipen. Nachdem die „Karga“ aufgelöst war und ich auch bald im Kino die Filme vorführte, geriet er aus meiner Kleinstadtwelt, ich hörte kaum noch von ihm, sah ihn sehr selten. Er hauste in den Achtzigern in einem Zimmer nahe der Kneipe „Zum Schiff“, die Arndt ein paar Jahre lang im Ostteil der Innenstadt betrieb, in der sich Gäste einfanden, die früher zur Stammkundschaft des „Strauß“ gehört hatten, auch andere, die „nachgewachsen“ waren. Dort war er, wie ich hörte, oft. (Auch Till hatte diese Kneipe am Beginn des Achtziger-Jahrzehnts hin und wieder aufgesucht; dort hatten wir unsere erste längere Unterhaltung geführt, in der ich ihn fragte, warum um Himmels willen er seinen Grundwehrdienst leisten wolle. Die Umstände einer Verweigerung seien ihm zu doof, hatte er gemeint. Mir war so ein Verhalten seltsam vorgekommen.) Günter R. starb 1990, wie Schmidt mir später sagte; er hatte es von Arndt erfahren.
- Morgens Regen, mittags grau, am Nachmittag wieder von Regenwolken freier Himmel, sonnig bis zum Abend.
20.10.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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